Mehrfachschändungen des Max Liebster Denkmals

„Mehrfachschändung von Denkmälern, „Diebstahl von Bronze-Figuren“, „Vandalismus“, all das wird im Lautertal nicht passieren, waren sich die Initiatoren des Max-Liebster-Denkmals gegenüber der Felsenmeerschule in Reichenbach sicher, als dieses 2013 seiner Bestimmung übergeben wurde. Der Standort war auch Sitz des ehemaligen Wohnhauses von Familie Liebster. „Hier im Tälchen ist die Welt noch in Ordnung“, hätte man die übereinstimmende Meinung derer beschreiben können, die damals zur Einweihung gekommen waren und hierzu ein schönes Fest im Hof der Felsenmeerschule feierten. Max Liebster war zuvor 2004 durch Votum der Gemeindevertretung Ehrenbürger der Gemeinde Lautertal geworden. Grundlage hierfür war nicht der Umstand, dass er als Jude und Zeuge Jehovas den Holocaust überlebt hatte (u.a. verbrachte er viele Monate in Auschwitz), sondern dass er in seinen letzten Lebensjahren viel Zeit geopfert hatte, um weltweit Versöhnung zwischen Tätern und Opfern förderte, Frieden predigte. Dutzendfach hatte er beispielsweise auch Schulen besucht, um mit Schülerinnen und Schüler n, den Holocaust aufzuarbeiten.

Polizei und Staatsschutz untersuchten Beschädigungen

Mittlerweile sind 7 Jahre vergangen und man wurde eines schlechten Besseren belehrt. Schon einige Male wurden speziell die Bronzefiguren Opfer brachialer Attacken. „Als die erste der beiden Figuren schon wenige Monate nach der Einweihung abgebrochen und neben das Denkmal geworfen wurde, waren sofort viele Reichenbacher entsetzt“, erinnert sich Frank Maus, einer der Initiatoren, der damals auch von Ortsvorsteher Heinz Eichhorn sowie dem Verschönerungsverein Reichenbach, dem Bauhof der Gemeinde, der Mittelpunktschule Gadernheim und dem Studienseminar Heppenheim tatkräftig unterstützt wurde. „Ich wurde damals angerufen, bin sofort dorthin gelaufen, habe die Figur gesichert, im Rathaus bei Bürgermeister Kaltwasser abgegeben, welcher über die Hauptamtsleiterin eine sofortige Anzeige bei der Polizei aufgegeben hatte.“ Hieran hätten sich Untersuchungen der Polizei und des Staatsschutzes angeschlossen. Gefunden wurden die Täter indes nicht.

Die Gemeinde Lautertal sowie deren Kooperationspartner, die Arnold-Liebster-Stiftung, veranlassten damals die Reparatur der Figur und des Denkmals. Doch Unglaubliches trug sich weiterhin zu: Das Denkmal wurde mittlerweile regelmäßig weiterhin attackiert und geschändet. Glaubte die Gemeindeverwaltung zunächst noch an „Dumme-Buben-Streiche“, weil sich die Beschädigungen zweimal an der Reichenbacher Kerb zutrugen, steigerte sich jedoch die kriminelle Energie im Laufe der Zeit. Maus, der auch als Kontaktperson zur Arnold-Liebster-Stiftung agiert, wurde bei allen Beschädigungen mit Bürgermeister Kaltwasser an den Tatort gerufen. Sie fanden dort erst die eine, dann die andere Figur abgebrochen vor. Später wurden diese bei weiteren Attacken auf der Fensterbank in der Nachbarschaft abgelegt.

Rechte Gruppe in Lautertal ?

Eine weitere Gewaltsteigerung wurde registriert, als die Täter schließlich mit geeignetem Werkzeug, die verbessert befestigten Figuren professionell absägten. Bei der letzten Attacke wurden schließlich beide Figuren erneut abgebrochen, eine in die benachbarten Büsche geworfen und zweitere gestohlen. Die verschiedenen Tathergänge sprächen dafür, dass es mehrere Täter gebe, vermutet Uwe Klages von der Arnold-Liebster-Stiftung. Bei der Gemeindeverwaltung ist man sich inzwischen sicher, dass es gezielte Attacken gegen ein kritisch erinnerndes Mahnmal sind. „Ich hoffe und bin auch überzeugt, dass es in Lautertal keine rechte Gruppe gibt“, äußert Bürgermeister Andreas Heun. „Aber, zu oft passiert das hier. Es handelt sich immer um das gleiche Denkmal, immer richtet sich die Gewalt gegen das kritische Erinnern an die NS-Zeit. Das irritiert mich sehr“. Frank Maus gibt ihm hier traurig recht: „Ringsum gibt es keine solchen Beschädigungen an Häusern oder sonstigen Denkmälern. Die Gewalt ist konkret und spezifisch ausgerichtet. Insofern entsteht der Eindruck von politisch motivierten Attacken.“ Die aktuellen und damaligen Beteiligten sind sich einig: „Fortgesetzte Gewalt muss ernstgenommen und darf nicht verharmlost werden. Eine aufgeklärte Demokratie wird aber hier gewiss nicht einknicken.“

Neues Max-Liebster-Denkmal 2.0 im schützenden Rathaus

„Als ich meinen Dienst als Bürgermeister der Gemeinde Lautertal begann, fand ich eine Bronzefigur mit abgebrochenen Füßen auf dem Sideboard meines Amtszimmers. Auf Nachfrage im Hauptamt erfuhr ich, dass es sich um eine beschädigte Figur des Denkmals für Lautertals Ehrenbürger Max Liebster handelte“, beginnt Bürgermeister Andreas Heun seine Ausführungen gegenüber einer Seminargruppe des Studienseminars-Heppenheim, unter der Leitung des Lautertalers Frank Maus. „So begann ich mich mit Max Liebster, seiner Lebensgeschichte, seiner Friedensbotschaft und dem für ihn 2013 eröffneten Denkmals zu beschäftigen.“ Heun hatte die jungen Lehrkräfte eingeladen, um gemeinsam mit den jungen Historikern zu überlegen, wie mit einem mehrfach geschändeten Denkmal umzugehen sei.

Die Lehramtsreferendare Fatemeh Tabatabei & Mert Sahin, die sich schon privat intensiv mit politischen Verfolgungen im Nahen Osten auseinandergesetzt hatten, formulierten eine These für die Referendargruppe: „Kann es sich eine aktive Demokratie wie die Bundesrepublik Deutschland leisten, dass man Strömungen, welche die NS-Diktatur verharmlosen oder die kritische Auseinandersetzung damit stören wollen, das Feld überlässt? Wir sagen nein. Eine Demokratie muss sich gegen Gewalt in jedweder Form und jedweder Verkleidung zur Wehr setzen – friedlich natürlich.“ Dem pflichteten die anderen Seminarteilnehmer bei, nachdem sie sich mit Max Liebster und der Max Liebster-Stiftung auseinandergesetzt hatten.

Gemeinsam mit Bürgermeister Heun war man sich nach einer Vor-Ort-Erkundung in der Knodener Straße einig, dass eine erneute Reparatur am alten Denkmalstandort vermutlich die gleichen Vandalen aktivieren würde, welche auch bisher die Beschädigungen vornahmen. Aus diesem Grunde entschied man sich dafür, im Rathaus einen geeigneten Platz ausfindig zu machen. Dort solle den Figuren ein würdiger Platz zugewiesen und das Denkmal an der Felsenmeerschule quasi um einen zweiten Standort ergänzt werden. Die beiden Junglehrer Connor Hegemann und Nida Ranjah führen hierzu aus: „Wir gehen davon aus, dass eine neue Standortwahl der Figuren im Rathaus das Beste ist. Damit kann der friedvollen Botschaft Liebsters die Sicherheit gegeben werden, welche angebracht erscheint. Gleichzeitig ist das Rathaus ein öffentlicher Ort – ein Haus der Bürger. Somit kann das kleine Max-Liebster-Denkmal 2.0 dort an normalen Werktagen aufgesucht werden.“

Levinia Jones und Anabel Schied präsentierten zum Seminarende gemeinsam mit Nikola Kratzmann ihre erarbeiteten Vorschläge für Standort, inhaltliche Ausgestaltung sowie Design des neuen Klein-Denkmals. Anwesend waren die ursprünglich Projektbeteiligten Wera und Uwe Klages (Arnold-Liebster-Stiftung), Klaus Weber (ausführender Künstler), Bürgermeister Andreas Heun (Gemeinde Lautertal), sowie Seminarleiter Frank Maus. Wera und Uwe Klages zeigten sich sichtlich beeindruckt von den Erkenntnissen, welche die jungen Lehrkräfte aus der historischen Recherche zogen und wie sie es verstanden, das Gedenken an Max Liebster in all der gefühlvollen Absicht wiederzugeben: „Es ist sehr beruhigend, wie sie als junge Menschen die Absichten des betagten Max Liebster verstanden haben und zur Gestaltung des neuen Denkmals nutzen. Sie wollen Brücken bauen helfen zwischen Menschen – egal welcher Hautfarbe, Kultur oder Religion. Daher freuen wir uns schon auf die Umsetzung ihrer Konzeption.“

Junglehrkräfte des Studienseminars Heppenheim inspizieren das beschädigte Max Liebster Denkmal (von links: Nikola Kratzmann, Levinia Jones, Fatemeh Tabatabaei, Nida Ranjah)

„Worte können Menschen trennen – Worte können aber auch wertvolle Brücken zwischen Menschen bauen, sie zueinander führen. Worte helfen uns Gräben zu überwinden, sie sprechen uns Mut zu. Gute Worte weisen in eine friedvolle Zukunft.“ Mit dieser Botschaft präsentierten die Mitglieder der Arbeitsgruppe „Max-Liebster-Denkmal-2.0“ des Studienseminars Heppenheim ihre Ergebnisse zum Neuarrangement der Bronzefiguren des alten Max-Liebster-Denkmals. Die Figuren waren in den letzten Jahren Opfer verschiedener Vandalismus-Attacken im Zentrum von Reichenbach geworden.

Die Lehramtsreferendarinnen Nikola Kratzmann, Annabell Schied und Levinia Jones machten sich zuvor auf die Suche nach einem geeigneten Standort für das neue „Kleine Max-Liebster-Denkmal“. Um nun endgültigen Schutz vor Vandalismus zu bieten, war vereinbart worden, ins Rathaus zu wechseln. Das Haus der Bürger sei häufig geöffnet und daher auch gut der Öffentlichkeit zugänglich. „Nach Abwägung verschiedener Optionen einigten wir uns mit Bürgermeister Andreas Heun, das Foyer auszuwählen. Wir hatten allerdings ebenfalls den großen Sitzungssaal auf der Präferenzliste.“ Da dieser jedoch bei größeren Veranstaltungen aus allen Nähten platze, habe man sich dagegen entschieden. „Das Foyer ist großzügig gestaltet, bietet viel Raum und ist im Grunde der häufigst genutzte Raum im ganzen Haus“, so Jones. „Hierher kommen täglich eine Menge Bürger und andere Gäste des Rathauses, um Erledigungen zu tätigen. Da mit zwei verglasten Fronten auch viel Licht einfällt, identifizierten wir den idealen Standort dort“, ergänzte Annabell Schied. Wera und Uwe Klages, beide Vertreter der Arnold-Liebster-Stiftung, zeigten sich sehr zufrieden mit dem Vorschlag.

Aufgrund des Umstandes, dass bei der letzten Attacke auf das Denkmal gegenüber der Felsenmeerschule eine der beiden Figuren gestohlen wurde, berieten die Referendarinnen und Referendare längere Zeit in Begleitung ihres Ausbilders, Rektor Frank Maus, wie die „zwischenmenschliche Begegnung“ – ein Hauptanliegen Max Liebsters – dargestellt werden könne. Schließlich entschieden sie, eine neue Figur anfertigen zu lassen, die sich optisch vom „alten, überlebenden Bruder“ unterscheiden solle. Der mit involvierte Künstler Klaus Weber sagte zu, der neuen Figur eine andere Oberflächenstruktur zu geben, sodass sich die beiden neuen und alten „Brüder“ unterscheiden. „Begegnung findet immer zwischen Menschen statt, so wird Leben und Frieden möglich“, formulierten Mert Sahin und Fatemeh Tabatabaei. „Max Liebster stand für Begegnung. Denken wir nur an seine häufigen Besuche in Schulen, wo er den Schülerinnen und Schülern erklärte, wie Täter und Opfer in der NS-Diktatur miteinander, nebeneinander und teilweise ohne einander ihr Dasein fristeten, um am Ende auf beiden Seiten an der Diktatur zu zerbrechen. Hierfür brauchen wir ganz einfach zwei Figuren.“

Max Liebster begeisterte viele Schüler bei seinen Besuchen, wie zum Beispiel an der Mittelpunktschule Gadernheim oder der Geschwister-Scholl-Schule in Bensheim. Bei diesen Treffen zeigte sich stets, warum auch die Gemeinde Lautertal sich im Jahre 2003 entschied, ihn zum Ehrenbürger zu machen: Botschafter des Friedens und der Versöhnung sei er, war bei der Feierstunde zu hören. „Genau hier wollten wir anknüpfen“, so die Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst Connor Hegemann und Nida Ranjah. „Wir umgeben die Figuren mit Worten, die auch Max Liebster begleiteten, und ihm während der Haft in den Konzentrationslagern sowie dem Leben danach Kraft und Mut gaben: Glaube, Liebe, Toleranz, Versöhnung und Zusammenhalt. Der Glaube an einen großen, versöhnenden Gott bildete dabei den Kern, aus dem er immer Zuversicht schöpfen konnte.“

Der Künstler Klaus Weber, welcher den Entwurf des Denkmals in Realität überführt, gestaltete hierzu zwei gravierte Edelstahlbänder, welche die Figuren schützend und behütend umgeben. Da diese Worte gleichzeitig auch weltweit und universell gültige Werte darstellten, finden sie sich sogar in fünf verschiedenen Weltsprachen am Denkmal. Bürgermeister Andreas Heun zollte den jungen Lehrkräften Respekt: „Durch ihre Arbeit am neuen Denkmal haben sie die Rahmenbedingungen in Reichenbach und im Rathaus sehr überzeugend zusammengeführt. Gleichzeitig ist es ihnen gelungen, Leben und Wirken von Max Liebster auf eine Weise zu beleuchten, die ihn Bürgern und Besuchern näherbringt sowie einlädt, über ihr Leben nachzudenken – immer mit dem Ziel, Versöhnung zu  stiften.“

 

Frank Maus – Jan/Feb 2021

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vandalismus am Max-Liebster-Denkmal:

Die händereichenden Figuren wurden abgebrochen, die zugehörigen Füße stecken noch im Steinsockel.

Foto: Frank Maus