"Ich habe Angst" - spannendes Projekt des Hessischen Rundfunks mit 39 zufällig ausgewählten Mitmenschen
Fast übersehen, denn im Programmheft stand es nicht drin: der Hessische Rundfunk veranstaltete im Sommer ein Diskussionsprojekt, das am 14. Oktober 24 ausgestrahlt wurde. Unter dem Thema "Meinungskampf statt Dialog" wurden 39 ganz unterschiedliche Menschen aus Hessen eingeladen. Sie kannten sich vorher nicht, einige sagten auch daß sie ohne diese Veranstaltung niemals miteinander gesprochen hätten. Es waren Alte und Junge, Männer und Frauen, Biodeutsche und Migranten, Unternehmer und Pflegekräfte, Konservative und Aktivisten.
Alle durften sagen, was sie bewegt, aber mehrere äußerten Bedenken, weil sie berufliche oder gesellschaftliche Schwierigkeiten zu erwarten hätten, wenn sie ihre Meinung öffentlich sagen. Das ist etwas, was sich erst in den letzten Jahren so entwickelt hat. Man muß tatsächlich jedes Wort auf die Goldwaage legen und weiß nie, wem man gegenübersteht. Seit der Corona-Pandemie breitete sich das Mißtrauen in der Gesellschaft aus.
Und so wurde das Thema Angst, eines von sechs Themen, besonders emotional behandelt. Gesprochen wurde über Heimat, Ängste, Meinungsfreiheit und Demokratie, Medienkritik, gesellschaftlicher Zusammenhalt und Umgang mit der Corona-Pandemie.
Der HR hatte gefragt: " Was bewegt euch, Hessen?" und daraus die Initiative „Weil Hessen mehr verbindet” gestartet. Er möchte damit Kommunikation, Meinungsbildung und Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken.
Respektvoller Austausch und demokratische Vielfalt ist noch immer möglich, das hat das Projekt gezeigt.
Es gibt drei Filme dazu, die in der ARD-Mediathek zu sehen sind:
- "Meinungskampf statt Dialog – Demokratie in Gefahr?”
- „Was bewegt euch, Hessen?”, Fernsehfilm von Autor Sergey Moya
- „Making-of: Was bewegt euch, Hessen?”, Making-of-Dokumentation von Autorin Dominik Nourney
- Im Magazin „Alles Wissen” am 21. November (ebenfalls in der Mediathek zu finden) wird die Initiative vorgestellt und unterschiedliche Aspekte der gesellschaftlichen Kommunikation beleuchtet.
Im Novemberheft des Durchblick habe ich passend zum Thema die Rubrik "Zeitalter der Desinformation" anders als geplant weitergeschrieben:
Unter der Überschrift "IX: Kürzungen bei den Öffentlich Rechtlichen sind gefährlich" habe ich auf eine Aktion von campact.de hingewiesen, die in der öffentlichen Diskussion nur wenig beachtet wird, obwohl sie immens wichtig ist um eine objektive breitgestreute Information für alle zu gewährleisten.
"Die Bundesländer wollen die Angebote von ARD und ZDF massiv kürzen. Unabhängige Berichterstattung war noch nie wichtiger. Mit einem Appell setzen wir uns für Vielfalt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein." so Campact.de. Campact ist ein eingetragener Verein, der mittels Kampagnen Mitzeichner für Appelle und Petitionen an die Politik sammelt, um so eine laute Stimme gegen Ungerechtigkeiten und Mißstände zu bekommen. 2019 wurde dem Verein die Gemeinnützigkeit aberkannt, so daß keine Spendenquittungen mehr ausgestellt werden können. Damit wurde der zivilgesellschaftliche Protest von campact stark eingeschränkt, denn der Verein erhält keine staatliche Unterstützung.
Für Millionen Menschen in Deutschland sind die Programme unter dem Dach von ARD, ZDF und Deutschlandradio die erste Quelle für Nachrichten, Informationen und Unterhaltung. Ihre Bedeutung für die öffentliche Meinung ist enorm. Doch die Länder sagen, daß es eine so genannte Presseähnlichkeit der Online-Angebote von ARD, ZDF und Deutschlandradio gebe. Diese wolle man nun zusammenlegen. In meinem Beitrag fragte ich (17. Oktober 2024: "die Presseähnlichkeit wird doch wohl nicht darauf zurückzuführen sein, daß dort die Wahrheit gesagt wird? Und daß diese nunmal eindeutig ist, gleich wie oft und von wem sie gesagt wird?"
Inzwischen (31. Oktober 2024) konnte campact über 500.000 Unterschriften sammeln, aber "Trotz unseres Einsatzes haben die Länderchef*innen letzten Freitag für Kürzungen bei ARD und ZDF gestimmt. Fünf TV- und rund 20 Radiosendern droht das Aus – auch Online-Angebote wollen sie einschränken. Das ist gerade in Zeiten von rechtsextremer Propaganda und Fake News fatal. Auch wenn alle Ministerpräsident*innen der Reform zugestimmt haben, konnten wir gemeinsam viel erreichen. Unsere Tour mit der WDR-Maus brachte den geplanten Kürzungen enorm viel Öffentlichkeit. Großflächig berichteten die Medien über das Anliegen der Maus: die Bildungs- und Informationsangebote von ARD, ZDF und Deutschlandradio zu retten."
Zur Info: die Maus war verschwunden! DIE Maus vom WDR, die ältere Menschen an keinem Sonntag morgen versäumen! Mehr zu der spektakulären Mausklau-Aktion von campact lesen Sie hier: Liveblog: Die Maus steht wieder vor dem WDR
Und hier lesen Sie, welche Änderungen die Länder beschlossen haben: https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/reformstaatsvertrag-presseaehnlichkeit-online-100.html
Der Durchblick gehört zwar formal ebenfalls zu den Privaten Zeitungsverlegern, ist jedoch nicht im Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) organisiert. Dieser BDZV wirft den Öffentlich Rechtlichen vor, daß in ihren Formaten eine zu starke "Presseähnlichkeit" zu den Angeboten aus der Wirtschaft bestehe. Dies sei eine beitragsfinanzierte Konkurrenz, die der Meinungsvielfalt schade, so der BDZV. Die Redaktion des Durchblick sieht sich in ihrem schmalen Rahmen eher im Dienst einer möglichst objektiven Information, und diese kommt nicht unbedingt von verkaufszahlenfinanzierten privatwirtschaftlichen Medien. Aus diesem Grund zahle ich gern meine Rundfunkgebühren, auch wenn das langweilige Sommerloch der Öffentlichen gefühlt sechs Monate gedauert hat. Und ich habe die Campact-Aktion unterstützt, weil zivilgesellschaftliche Proteste fernab von Verschwörungsdemos sich unbedingt weiterhin Gehör verschaffen können müssen (boah: drei Verben in einem Satz!)
M. Hiller, 5.11.2024