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Veranstaltungstipp 10. Oktober 2024: Demokratie in der Defensive?
Vortrag zu den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen, Brandenburg von Prof. Dr. Wolfgang Schröder (Kassel) um 19 Uhr im Gartensalon auf Schloß Heiligenberg bei Jugenheim. Anmeldung erforderlich: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.
I: Das "postfaktische Zeitalter"
II: Methoden zum Erkennen von Fake news
III: Wie kann man populistische Äußerungen entlarven?
IV: Internet-Wildwuchs kontra Öffentlich Rechtliche
V: Haben wir uns die Empathie wegdesinfiziert?
VI: "meine Suchmaschine liefert mir vertrauenswürdige Informationen!"
VII: Wie die Zeitung entstand und was von objektiver Nachrichtenverbreitung zu halten ist...
VIII: Wie zerbrechlich Demokratie wirklich ist
I: das "postfaktische Zeitalter"
Auf das Zeitalter der Agrargesellschaft folgte das industrielle Zeitalter, inzwischen abgelöst vom Informatinszeitalter mit Computervernetzung und Digitalisierung. Doch die Vorzüge der digitalen Revolution bringen auch Mißstände mit sich.
Das Goethe-Institut erläutert dazu: der Begriff "postfaktisches Zeitalter" wurde 2016 durch das Oxford Dictionary geprägt.
"Journalisten und Politexperten zeigten sich besorgt über dieses neue Phänomen, das bewusst Fakten verändert, um dadurch die öffentliche Meinung direkt zu beeinflussen."
Bei Trump nennt man das "Alternative Fakten": Informationen werden zugunsten einer bestimmten Überzeugung und Ideologie manipuliert. De neue Wahrheit besteht aus gut konstruierten Geschichten...
In einfacher Sprache und in populistischer Absicht werden der Gesellschaft so Zerrbilder und Verschwörungstheorien vorgelegt. Was Trump in USA kann, das setzen einige politische Gruppierungen in Deutschland ebenfalls um.
"Was, wenn wir Menschen die wahre Beschaffenheit unserer Umgebung gar nicht erkennen können?
Die Wahrheit zu erkennen ist für jeden von uns eine ständige Herausforderung, fehlen uns doch Mittel und Möglichkeiten für eine präzise Darstellung des tatsächlichen Maßes der Dinge. Wenige Wörter beschreiben die neuen, durch das schiere Übermaß an Informationen entstandenen Leiden und Krankheiten, welche etwa im Technofeudalismus und der künstlichen Intelligenz ihren Ursprung finden. Gefühle der Euphorie und des Unbehagens fordern die menschliche Intuition heraus. An ihnen lässt sich ablesen, in welchem Maße die Unwahrheit Beachtung findet. Um diese falschen Wahrheiten zu bezwingen, sollten wir in Leben und Alltag eine Art „Lügendetektortest“ einführen." Soweit das Goethe-Institut. Gesellschaftliche Manipulation geht einher damit, das Wissen (die Fakten) so zu nutzen, daß es der Bevölkerung nicht vollständig zugänglich ist. Vielmehr wird die öffentliche Meinung genutzt, um Entwicklungen im eigenen Sinne voranzutreiben. Das wußten bereits die antiken Griechen und Römer. Der eklatanteste Mißbrauch geschah durch die Nationalsozialisten, die Medienmanipulation an die Stelle der Pressefreiheit zwangen. Brillante Demagogen verschleierten mit ihren Hetzreden den wahren Hintergrund ihrer Absichten.
Nach dem Ende der NSDAP-Herrschaft hörte das jedoch nicht auf: die Methoden der "alternativen Wahrheiten" kamen auch in der darauffolgenden Wohlstandsgesellschaft zum Einsatz. Wieder spielten die Medien eine große Rolle dabei: die Sensationspresse entstand und das Trash-Fernsehen. Der "kleine Mann - und die kleine Frau - auf der Straße" ließen sich bereitwillig entführen in Schwelgerei, Kitsch und Traumwelten. Die 50er und 60er Jahre wurden zum zweiten Biedermeier.
Daraus wiederum entwickelte sich die Gegenströmung: Flower power, Hippies, Studentenrevolten. Und ein ganzes Literaturgenre blühte auf: Romane, die in eine Welt weit weit weg entführen, die in einer Zeit lang nach der unseren spielen. Man könnte denken, hier wurde ein Strukturprinzip der Volksmärchen zugrunde gelegt: in einer lang lang vergangenen Zeit, an einem entlegenen Ort weit hinter den sieben Bergen, da trug es sich zu, daß .... Aber nein - es geht nicht um Märchen und nicht um Idylle. Es geht um Science Fiction.
Wissenschaftler sind gut darin, Entwicklungen zu erkennen und mit einiger Treffsicherheit künftige vorhersagen zu können. Ihr Problem ist, daß die Gesellschaft - insbesondere die Politik - nicht auf sie hört. Die Atombombe, die Wasserstoffbombe, die Neutronenbombe wurden entwickelt entgegen eindringlicher Warnungen aus der Wissenschaft. Deshalb verlegten sich viele auf die Literatur und schrieben Parabeln.
Eine Parabel stellt in einfacher Weise eine Lehre dar, die zum Beispiel aus der Verletzung ethischer Grundsätze resultiert. Der Leser muß aus dem Text selbst herleiten, was damit gemeint ist.
In den 70ern und 80ern wurden viele gute Science fiction Romane geschrieben, die unsere aktuelle Zeit vorhersagten. Niemand hat auf sie gehört, ebensowenig wie man auf den nonfiktionalen Bericht des Club of Rome "Die Grenzen des Wachstums" hörte.
Seit Mitte der 1990er entwickelten sich die "social media", und alles wurde noch viel viel schlimmer. Heute kann sich ein einzelner Techmilliardär ein komplettes soziales Netzwerk kaufen. Einflußreiche Personen können auf diese Weise ihre eigenen "Informationen" sichtbarer machen als die anderer. Das Goethe-Institut spricht von einer neuen "Kolonialherrschaft über eine der meistbesuchten Regionen des Internets".
Aktuell - seit etwa 10 Jahren - erleben wir wiederum eine Biedermeierzeit. Zeitschriften wie Landlust, Landliebe, Landidylle gaukeln uns vor, daß alles gut ist. Wohlhabende Stadtmenschen holen sich so die Illusion ins traute Heim, daß sie sich den Bezug zum agrarischen Zeitalter bewahrt haben. Und Landmenschen verschließen die Augen vor der tatsächlichen Realität: Pestizide, Bodenausbeutung, Qualtierhaltung.
In diese Idylle sticht der Demagoge gern hinein, aber nicht um sie zu enttarnen, sondern vielmehr um sie für seine Zwecke zu nutzen. Zwangsläufig ruft eine Biedermeierströmung in der Gesellschaft den Populismus auf den Plan. Denn wer ließe sich leichter manipulieren als jemand, der die Wahrheit nicht sehen will. Und so erzeugen die Höckes, Aiwangers, Merz und Rukwieds bei den Biedermeiern das Gefühl, daß sie von außen bedroht werden, daß ihnen Freiheiten genommen werden sollen, Privilegien gestrichen, Zahnarzttermine Wohnungen Arbeitsplätze vorenthalten werden.
II: Methoden zum Erkennen von Fake news
Wenn Sie nicht sicher sind, ob eine Information echt ist:
- Prüfen Sie ob das Datum aktuell ist und eine Quelle angegeben ist
- Ist ein Verfasser genannt? Lassen sich biografische Hintergründe finden, gibt es Kontaktdaten?
- Wird die Information von Suchmaschinen gefunden?
- Stören Werbeeinblendungen und Pop-up-Fenster, die die Sicht auf Inhalte verdecken?
- Ist die Sprache neutral gehalten oder wird Ihnen etwas suggeriert?
- Werden Fotos oder Videos von mehreren Internetportalen aufgegriffen?
Zugleich empfiehlt das Goethe-Institut, die Alphabetisierung der Bevölkerung voranzutreiben und mittels einem internationalen Organismus Regeln für ethischen und normativen Umgang mit dem Menschenrecht auf Information zu erarbeiten. Der Beitrag auf den Seiten des Goethe-Institut wurde im September 2023 von Mariana Gonzáles erstellt, sie ist Schriftstellerin mit Master in Bibliotheks- und Informationswissenschaften. Copyright: Text: Goethe-Institut. Dieser Text ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.
Ein sehr spannender Lesetipp:
1977 als Science Fiction Roman geschrieben, erkennt man heute in Algis Budrys' Buch "Michaelmas" unsere aktuelle Realität wieder. Laurent Michaelmas ist Fernsehhkommentator und handelt mit Information bzw. sogenannten "Nachrichten". Er verkauft diese an Nachrichtenmagazine, Sendestationen und Verlage. Interessant aber ist, wie er an seine Information herankommt: er besitzt ein Datengerät, Domino genannt. Dieses kann weltweit in jedes Datennetz eindringen, es kann die Texte für Michaelmas vorformulieren, kann mögliche Konsequenzen bestimmter Formulierungen abwägen. Domino kann noch mehr: es kann Haustechnik manipulieren, Computernetzwerke lahmlegen oder Falschinformationen einspeisen. Es kann sogar Telefonate als "Michaelmas" führen.
Erkennen Sie den aktuellen Bezug? Datenkraken, künstliche Intelligenz, Sabotageanfälligkeit von Smart homes und Vorspiegelung alternativer Realitäten...
Während in Budrys' Roman die in manipulativer Weise erzeugten "Nachrichten" von Medienmogulen gekauft werden, können wir hier und heute froh sein, daß unser Wetterbericht nur von Seitenbacher gesponsert wird. Es könnte schlimmer sein!
Am Ende übrigens entdecken Michaelmas und sein Kommunikationsgerät Domino, daß die seltsamen Sabotagevorfälle durch ... (SPOILERALARM) - das müssen Sie nun selbst herausfinden. Das Buch war 1977 im Heyne Verlag erschienen mit 253 Seiten zum Preis von 5,80 DM. Heute erhältlich unter ISBN 978-0445203167 als Kindle e-book oder zu horrenden Preisen bei Amazon, wo ich jedoch niemals kaufen würde. Die Gründe dafür finden Sie hier: Bücher kauft man vor Ort und nicht in jenem fernen Buchhändlerfresserland.
Fragen Sie Ihren Buchhändler - und dann viel Spaß beim Lesen, Gänsehaut inbegriffen.
III: Wie kann man populistische Äußerungen entlarven?
Kürzlich habe ich - entgegen meines eigenen Ratschlags, Märchen NUR zu hören oder zu lesen - den ARD-Märchenfilm "Das kalte Herz" angesehen, und einige der Zitate, die der Film aus dem Märchen von Wilhelm Hauff von 1827 brachte, klangen erschreckend aktuell! Kopfkino: ich konnte Friedrich Merz oder Christian Lindner hören anstelle des Schwarzwälder Köhlers Peter Munk, der sein Herz für Reichtum an den Holländermichel verpfändet bis zum Tod und seither nur noch einen kalten Stein in der Brust trägt.
Peter Munk übrigens schaffte es, sein schlagendes Herz zurückzubekommen, aber das ist leider nur ein Märchen...
Unsere Reihe "Wie kommt man klar im Zeitalter der Desinformation" (Heft 02/2024 Seite 9 und Heft 03/2024 Seite 14) wird fortgesetzt mit der Frage, wie sich populistische Äußerungen entlarven lassen. Populismus ist neben manipulierten Fake news das zweite Mittel, mit dem sich machthungrige Soziopathen das Gehör des "einfachen Volkes", des "kleinen Mannes / der kleinen Frau auf der Straße" verschaffen.
Sehr klar verständlich stellt die in Heppenheim geborene Mai Thi Nguyen-Kim in ihrer Mai-think Show "Wie populistische Politiker uns verarschen" die Strategien von Populisten vor.*
Die Maithink X Show vom 24. Februar 2024 ist bis 2029 in der ZDF-Mediathek zu sehen, mehr dazu gibt es hier: populismus.online
Und keine Angst vor Fremdwörtern, alles wird in einfacher Sprache erklärt!
- Ad-hominem-Attacke (= gegen den Menschen): Statt sachlich zu argumentieren, greifen Populisten persönlich an. Es geht nicht darum, WAS gesagt wird, sondern WER es sagt! Dahinter steckt der Versuch, dem Gegenüber die Glaubwürdigkeit abzusprechen.
- Falsche Dichotomie/falsches Dilemma (= Schwarz-weiß-Malerei): Populisten stellen Streitfragen so dar, als gäbe es dazu nur zwei gegensätzliche Positionen - von der eine besonders abwegig erscheint. So zwingen sie die Gegenseite zu einer Wahl zwischen zwei konstruierten Extremen, statt über die vielen Möglichkeiten dazwischen zu diskutieren.
- Motte-and-Bailey-Argument
(= Burghof - Turm): Stoßen Populisten mit einer besonders kontroversen Aussage auf Kritik, schwächen sie ihr Argument so sehr ab, dass es einfacher zu verteidigen ist. So erscheint auch die ursprüngliche Aussage schwerer angreifbar. Die Metapher: Auf dem Burghof (Bailey) darf man schon mal eine große Klappe riskieren, bei Gegenwehr kann man sich ja auf den sicheren Turm (Motte) zurückziehen. - Appell an die »schweigende Mehrheit«: Populisten unterstellen, dass es eine schweigende Mehrheit gibt, die von der Politik nicht gehört wird. Die einzigen, die die Interessen der vermeintlichen Mehrheit angeblich kennen und vertreten können, sind (natürlich) die Populisten selbst.
- Strohmann-Argument: Statt gegen das tatsächliche Argument der Gegenseite zu diskutieren, unterstellen Populisten ihr ein Argument, das leichter zu widerlegen ist. Sie kämpfen also gegen einen Strohmann, einen erfundenen Gegner, der leichter zu besiegen ist.
Bestes Beispiel für Motte-Baily-Verhalten zeigte kürzlich Herr Weselsky, als er den Bahnstreik bis ins Unerträgliche auswalzte, obwohl die Bahn bereits eingelenkt hatte. Er ließ diese Tatsache in seiner lauten Brandrede einfach weg und räumte das später kleinlaut ein. Aber da war das laute Gebrüll schon in der Welt, und wen kümmert schon das Kleingedruckte oder Kleinlaute einer Gegendarstellung...
Wenn Sie die Äußerungen mancher Politiker unter diesen fünf Aspekten aufmerksam anhören, anschauen oder lesen, werden Ihnen sicher zahlreiche weitere Beispiele auffallen.
Die Redaktion freut sich stets über Ihre Zuschriften, wenn Sie etwas besonders Starkes entdeckt haben.
*Haben Sie es gemerkt? Hier ist eine Information versteckt, die Sie nicht brauchen. Nämlich wo Frau Nguyen-Kim geboren ist. Müssen Sie das wissen oder soll es vielleicht etwas anderes verschleiern?
VHS-Vortrag von Prof. Dr. Michael Hüther - Thema "Abschied von der Öffentlichkeit":
Er stellt fest: verstärkt durch die fundamentalen Krisen der letzten Jahre gibt es eine Erosion des öffentlichen Raums als Ort der Kommunikation und des Gesprächs, aber auch der wirtschaftlichen Geschäfts- und Austauschbeziehungen. Der öffentliche Raum war immer beides: Agora und Markt. Wenn wir uns aber alle immer weiter ins Private zurückziehen, stehen unsere politischen, sozialen und wirtschaftlichen Strukturen zur Disposition. Doch wie kann der öffentliche Raum neu bestimmt und damit auch die moderne Demokratie zukünftig gesichert werden? Seit ca 2016 sieht man immer klarer daß das Ökonomische nicht isoliert gesehen darf. Soziale Marktwirtschaft sollte konsistente Welt bieten: Kultur Recht Politik Wirtschaft. Handeln muß gesellschaftlichen Rahmen berücksichtigen. Soziale Mitwirkung ist nur in einer demokratischen Ordnung mit bürgerlichem Engagement der Zivilgesellschaft denkbar.
Weitere empfehlenswerte vhs-Vorträge auf https://www.vhs-wissen-live.de/:
Donald Trump und der Populismus in den USA, Prof. Dr. Michael Hochgeschwender
Normalisierung der extremen Rechte und die Rolle des Populismus, Prof. Dr. Paula Diehl
Der Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas stellte bereits 1990 zur politisch fungierenden Öffentlichkeit fest: „Tendenzen des Zerfalls der Öffentlichkeit sind unverkennbar: Während sich ihre Sphäre immer großartiger erweiter, wird ihre Funktion immer kraftloser“...
IV: Internet-Wildwuchs kontra Öffentlich Rechtliche
Warum wirkt das Internet so viel anders in unsere Gesellschaft hinein als die Programme der öffentlich rechtlichen Sender?
Oftmals abfällig als Kukidentfernsehen oder -Rundfunk abgetan, haben die Öffentlich Rechtlichen dennoch eine wichtige Aufgabe: sie vermitteln Information unter staatlicher Aufsicht. Das macht sie nicht nur jugendlichen Rebellen verdächtig, sondern auch populistischen rechtsgerichteten Gruppen. Die sprechen von Zwangsgebühren und würden sie am liebsten abschaffen. Statt dessen äußern sie sich in sozialen Medien in einem aggressiven Schlagzeilenstil, der die Bildzeitung vor Neid erblassen läßt. Zugeschnitten sind diese - durchweg nach populistischen Schnittmuster gestalteten - Posts auf junge Menschen, denen man inzwischen eine Aufmerksamkeitsspanne von nur noch 47 Sekunden zugesteht, während diese 2004 noch 2,5 Minuten lang war. Wer bloß alle fünf Minuten auf die Push-Nachrichten im Handy reagiert, ist noch lange nicht gut informiert.
Das ist jedoch auch nur die halbe Wahrheit: junge Menschen können zwar genausowenig wie ältere mehrere Dinge gleichzeitig tun, aber sie können viel schneller hin- und herschalten und bedienen durch das Erledigen mehrerer Aufgaben "gleichzeitig" ihr Belohnungssystem.
Die Sendung Quarks hat dazu eine interessante Seite mit Tipps, wie man die Aufmerksamkeitsspanne erhöhen kann: "Macht Social Media unsere Konzentration kaputt?"
https://www.quarks.de/gesellschaft/psychologie/konzentration-aufmerksamkeit-handy-konzentrationsfaehigkeit/
Demnach kostet uns das Hin- und Herwechseln zwischen mehreren Aufgaben bis zu 40 Prozent unserer Produktivität. Handy, Computer und Apps beanspruchen uns parallel und gleichzeitig, deshalb ist es für Politik und Wirtschaft wichtig, unsere Aufmerksamkeit einzufangen. Um das zu erreichen, werden die Inhalte immer kürzer und plakativer. Grob gesagt: Ihre Aufmerksamkeit würde spätestens bei diesem Satz einfach zusammenbrechen: "Die sprechen von Zwangsgebühren und würden sie am liebsten abschaffen."
Dagegen ist die Darbietung von Inhalten in den Programmen der Öffentlichen ausführlich und kostet Anstrengung, ebenso wie das Lesen eines Buches. Wo es früher gedruckte Ratgeber gab, die durch ein Lektorat und durch die Verlagsprüfung gehen mußten, blasen heute Influencer ihre "Kompetenz" zu allen Fragen des Lebens über das Internet in die Welt, und wer sich nicht aktiv wehrt, ist ruck zuck in solch einer Blase gefangen.
Im 3. Reich hatte der Rundfunk aufgrund der Übernahme durch die Nationalsozialisten eine ähnliche Wirkung wie moderne Influencer oder kommerzielle Sender.
Zum zweiten wäre es für die AfD zur Zeit recht einfach, beispielsweise den MDR abzuschaffen. Das erläutert der Jurist Lennart Laude im Podcast "Die AfD und die Öffentlich-Rechtlichen: Ein Szenario" (SR2 KulturRadio in der ARD-Audiothek).
Die Kündigung der Medienstaatsverträge durch jeweilige AfD-Ministerpräsidenten ohne Zustimmung des Landtags ist möglich. Wenn dies in Thüringen, Sachsen und Brandenburg eintritt, müßte sich der MDR auflösen, sobald zwei der drei Länder den Vertrag kündigen, weil er nicht mehr senden darf wenn er nur noch von einem Land betrieben wird. Selbst der digitale MDR-Empfang wäre möglicherweise nicht mehr möglich. Jurist Laude dazu: "nur eine vorbereitete Demokratie ist eine wehrhafte Demokratie". Die Öffentlich Rechtlichen sollen die Grundversorgung für die Bevölkerung gewährleisten, etwa für Informationen im Katastrophenfall. Die ARD als Arbeitsgemeinschaft der 16 Länder ist nicht von Auflösung bedroht, wenn ein Land ausfällt. Es müßten jedoch Finanzierung und Gremien neu aufgestellt werden. Fraglich sei jedoch, ob die ARD in oben genanntem Fall in Thüringen, Sachsen und Brandenburg weiter senden dürfte.
Es sei daher wichtig, vor der nächsten Wahl eine Verfassungsänderung mit 2/3 Mehrheit des Landesparlamentes festzulegen, daß diese Kündigung der Zustimmung des Landtages bedarf.
Was sonst passiert, sieht man in Polen, wo die PIS-Partei demokratische Spielregeln zu eigenen Gunsten umgestaltete, man sieht es in der Geschichte, wo die Gleichschaltung der Medien einer der ersten Schritte autokratischer Regierungen ist.
Auch in einer Demokratie werden öffentliche Sender gern diskreditiert, damit der Einfluß auf die Berichterstattung von privaten Sendern größer werden kann.
Laude empfiehlt daher: Spielräume für politische Einflußnahme auf unsere Medienlandschaft müssen jetzt eingeschränkt werden, bevor es zu spät ist.
Natürlich schimpfen Populisten dann, "daß korrupte staatliche Eliten unethische Schritte unternehmen" - Sie erkennen das Muster sicher, wenn Sie den Beitrag Nr. III gelesen haben.
Das Jahr der Nachricht 2024
Die Initiative "#UseTheNews" der Deutschen Presse-Agentur dpa gemeinsam mit namhaften Medienpartnern und prominenten Unterstützer/innen (ARD, ZDF und weitere öffentlich rechtliche Sender, das Bundesministerium des Innern und für Heimat, Bundeszentrale für politische Bildung, Correctiv, Heise, und viele weitere) wendet sich an junge Konsumenten von Information. Sie erklärten 2024 zum Jahr gegen Desinformation, Fakes und Manipulation. "Die im Grundgesetz verankerte Pressefreiheit ist eine unserer größten Errungenschaften. Weil sie seit fast 75 Jahren einen unabhängigen Journalismus sicherstellt. Einen Journalismus, der Missstände aufdeckt, der wahr und wahrhaftig ist und der die Bevölkerung umfassend aufklärt." Die Initiative erforscht die Nachrichtennutzung und -kompetenz junger Menschen und entwickelt neue Informations- und Bildungsangebote. https://www.jahrdernachricht.de/
Unter dem Motto "Vertraue Nachrichten, die stimmen statt Stimmung machen" gibt es hier Informationen, zum Beispiel: Wo finde ich Faktenchecks von Profis? 58% der 12-19-jährigen kamen zwischen Mai und Juli 2023 mit Desinformation in Berührung. Einen Faktencheck nutzen die wenigsten. Viele sind verunsichert und können nicht zwischen Fake und News unterscheiden, aber 78% der 16-29-jährigen glauben, daß sie über sozial media den schnellsten Zugang zum aktuellen Weltgeschehen haben.
V: Haben wir uns die Empathie wegdesinfiziert?
Corona veränderte unsere Welt grundlegend. Dabei war es eigentlich eine "schwache" Pandemie verglichen mit der Spanischen Grippe (sie forderte zwischen 1918 und 1920 geschätzt 20 bis 50 Millionen Tote), der aktuellen Covid-Pandemie erlagen etwa 7 Millionen Menschen. Trotzdem sah sich unsere Gesellschaft dem Virus ziemlich schutzlos ausgeliefert. Medizinisch ließ es sich in den Griff bekommen, aber unter dem sozialen wie auch dem wirtschaftlichen Aspekt wirkte es sich katastrophal aus. Wir haben uns bis heute nicht davon erholt. Tief sitzt der Schmerz, wenn Angehörige im Altersheim verstarben, ohne daß man sie noch einmal besuchen durfte. Kinder und Jugendliche leiden chronisch unter der Kontaktlosigkeit während der Isolationszeit - obwohl alle gedacht hatten, daß Smartphone und digitaler Unterricht vollkommen ausreichend für sie wären. Erwachsene Menschen werden handgreiflich und beleidigend - der Umgangston in der politischen Landschaft hat sich drastisch zum Schlechten verändert.
Woran liegt das? Haben wir uns unsere Empathie wegdesinfiziert?
Wer weiß, vielleicht liegt tatsächlich genau darin der Grund: jeder erwachsene Mensch beherbergt etwa zwei Kilogramm Mikrolebewesen, die für unsere körperliche und psychische Gesundheit unerläßlich sind. Unser Mikrobiom sorgt für unser Wohlbefinden, aber es entscheidet auch darüber, wen wir gut leiden können und wen nicht. Wenn zwischen zwei Menschen "die Chemie stimmt", wenn sie "sich gut riechen können", dann ist das den Mikroben und Bakterien in unserem Verdauungstrakt zu verdanken.
Interessant wäre eine Untersuchung der Frage, ob unser Mikrobiom durch Abkapselung von anderen Menschen leidet, und ob ihm wichtige Fähigkeiten verloren gehen. Es würde vieles erklären...
Digitale Medien ersetzen kein Miteinander
Der Mensch ist ein soziales Wesen, bei Isolation (der Begriff Isolation kommt von isola, Insel) leidet er und wird krank. Kontaktpflege ist eines der wichtigsten Elemente für unser gesellschaftliches Zusammenleben. Während der Pandemie beschränkten sich Kommunikation und zwischenmenschliche Kontakte auf Zoomkonferenzen. Unser virtuelles Leben führte zu immer stärker gefilterten Realitäten.
Kann man seinem Gegenüber nicht in die Augen schauen, seinen Atem spüren, ist auf digitale Hilfsmittel angewiesen: Telefon, Internet, Printmedien. Gerade im Internet aber erfährt man nur das an Zuwendung, was der Algorithmus der Künstlichen Intelligenz für passend hält. Eine Künstliche Intelligenz (KI) kann uns aber keine Wärme und Zuwendung zukommen lassen, statt dessen fangen uns in Desinformations-Blasen, erliegen Falschmeldungen oder sitzen falsch gewichteten "Informationen" auf.
Damit haben selbst kluge Soziologen nicht gerechnet: Jeremy Rifkin postulierte im Jahr 2011, als sein Buch „Die 3. Revolution - die Zukunft der Wirtschaft nach dem Atomzeitalter“ erschien, daß nach Eisenbahn & fossiler Energie, Autoverkehr & Telefon, Internet und dezentraler Energie ein Zeitalter der Kollaboration (=Zusammenarbeit) folgen würde.
Einer der wichtigsten Faktoren dabei ist die Vernetzung. Genau wie sich dezentrale Energie und Wissensquellen vernetzt haben, sollte sich auch der Mensch vernetzen. Doch eine vertrackte Eigenschaft von Algorithmen stört diese Vernetzung empfindlich: unsere persönliche Echokammer in den digitalen Medien zeigt uns nur das, was wir nach Erkenntnis der KI sehen und hören wollen.
Jeremy Rifkin postulierte das Zeitalter der Kollaboration nach der 4. industriellen Revolution: Verwaltung Bürger Wirtschaft und KI würden dann Hand in Hand zusammenarbeiten - aber zum Wohle wessen? Rifkin ging davon aus, daß der Mensch der Profiteur sein würde...
Carsten Kaven veröffentlichte 2013 eine lesenswerte konstruktive Kritik dazu:
https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/59844/ssoar-2013-kaven-Transformation_zur_Nachhaltigkeit_eine_kritische.pdf?sequence=1
Soziologischer Neuansatz erforderlich?
Zwischenzeitlich ereignete sich die Atomkatastrophe in Fukushima, es gibt noch immer keine vertretbare Lösung für die Endlagerung von Atommüll, und doch fordern konservative Kräfte in Deutschland, Europa solle auch auf Kernenergie setzen...
Zwischenzeitlich hat sich der Klimawandel so ausgeprägt, daß Rapsfelder, die 2011 noch im Mai blühten, jetzt im April schon verblüht sind...
Zwischenzeitlich gab es eine Pandemie, und spätestens seit dieser zeigt sich, daß eine rein digitale Vernetzung der Menschen einen gravierenden Mangel hat...
Zwischenzeitlich haben wir akuten Arbeitskräftemangel, während Rifkin noch Arbeitsplatzwegrationalisierungen durch das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz befürchtete...
Die Menschen, die heute in wirklich relevanten Funktionen ihrer Arbeit nachgehen, also im Bereich Pflege und Transport, verdienen so wenig daß die Öffentlichkeit ständig durch Streiks genervt ist und übersieht, daß es sich um ein strukturelles Problem handelt.
Die Zukunft von 2011 wurde dann zu einer ganz anderen Gegenwart, mit den Worten Georg Christoph Lichtenbergs ausgedrückt: "Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muß anders werden, wenn es gut werden soll."
Wie gehen wir mit dem zunehmenden Verlust unserer Kooperationsfähigkeit um? Können wir sie wiederfinden?
Warum uns Schwarmverhalten helfen kann
Die Gruppe bietet dem Individuum Schutz, Empathie bildet den Zusammenhalt. Die Regeln für Schwarmverhalten sind einfach:
1. bewege dich in Richtung des Mittelpunkts derer, die du siehst
2. kommt dir jemand zu nahe, vergrößere die Distanz
3. bewege dich in die gleiche Richtung wie deine Nachbarn
Allerdings müssen diese drei Regeln meiner Ansicht nach unbedingt ergänzt werden um die vierte: prüfe deine Nachrichten auf Echtheit!
Natur Heft 1/24 S. 38: Heuschrecken bewegen sich bei Berührung parallel in die gleiche Richtung von einander weg = kollektive Bewegung. Als die Heuschrecken 1988 begannen, 5000 km über den Atlantik von Mauretanien bis in die Karibik zu fliegen, ertranken die ersten. Sie bildeten eine schwimmende Plattform für die Nachfolgenden. Zur Verdeutlichung: Ein Schwarm von 1 Mrd. Heuschrecken wiegt ca. 1500 Tonnen.
Sie agieren nach diesen beiden Regeln:
1. Spring nach vorn wenn dich etwas hinten berührt (=jemand will dich fressen)
2. bleibt beieinander, dann seid ihr besser geschützt
Zum Thema Schwarmverhalten gibt es interessante Beiträge auch im Sonderheft Natur 2024.
Interessant dazu ist die vielfach bemühte Gauß'sche Verteilungskurve: in einer Gruppe gibt es etwa 70% "Normale" und je 15% "Abweichler am rechten und am linken Rand. In meiner alten Schule nannten wir die Kurve zur Ehren des Mathematiklehrers Stutt die "Stutt'sche Kartoffelkurfe", denn es gibt immer etwa 70% mittlere Kartoffeln, 15% große und 15% kleine Kartoffeln. Schauen Sie mal in ihrem Kartoffelkeller nach...
Anmerkung: dieses V. Kapitel ist nicht durch Belege von Forschungsergebnissen oder wissenschaftliche Abhandlungen untermauert, es ist ein Ruf aus meiner Echokammer, der hoffentlich die Ihren erreichen wird...
Zur Erholung empfehle ich Ihnen ein erfrischendes Interview: "Florian Schroeder wählt Peer Steinbrück", gesendet am 20.12.2023 23:45 Uhr
In diesem Satireshow Spezial rechnet Peer Steinbrück mit vielem ab, und - einmal hat er sogar gegrinst! Auf Florian Schröders Frage zu Habecks Heizungsgesetz, das "kommunikativ kollossal gescheitert" ist, um die Schlagzeilen der Bildzeitung mal ins Vokabular normaler Menschen zu übersetzen, verzog Steinbeck das Gesicht. Die Förderung für Wallboxen, Tankrabatte, Energiekostenzuschuß kämen nicht den wirklich Bedürftigen zugute, sondern nur den Besserverdienenden. "Die verteilungspolitische Achse all dieser Vorschläge ist schlicht und einfach Schrott". Weiter meinte er: "Die Ampel ist zu einer Zeit ins Amt gekommen wo niemand vorhersehen konnte daß wir es wirklich mit einer Zeitenwende zu tun haben." Die Schuldenbremse sei 2009 richtig gewesen, da vorher Schulden in Höhe der Investitionen aufgenommen werden durften. "Grotesk: die Ausgaben für den Autobahnbau waren investiv, während Ausgaben in Schulbildung konsumptiv eingeordnet wurden. Das müßte eigentlich umgekehrt sein."
Steinbrück fordert, die Erbschaftssteuer drastisch zu erhöhen bei höherem Freibetrag, und den Ertrag daraus ausschließlich in die Bildung der Kinder stecken! "Eingespart werden soll immer, aber nicht bei mir..." Die Kindergrundsicherung sei ebenfalls komplett zur Katastrophe geworden.
VI "meine Suchmaschine liefert mir vertrauenswürdige Informationen!"
Diese Reihe soll aufmerksam machen, worin sich seriöse Informationsquellen gegenüber Fake News und Manipulation unterscheiden.
Das Ergebnis der Europawahl hat gezeigt, daß ich meine Beiträge besser so gestaltet hätte:
Aber wer weiß, ob jemand aus der Durchblick-Leserschaft das gesehen hätte...
Also weiter für alle diejenigen, die noch längere Texte lesen - und verstehen - können. Im letzten Heft war es an dieser Stelle um Echoblasen und den Verlust von Sozialkompetenz und Empathie gegangen.
Hier geht es um die Vertrauenswürdigkeit von Suchmaschinen. Wie finde ich eine seriöse Nachricht?
Vor dem Erscheinen des allerersten Durchblick im Mai 1995 haben wir uns in der Redaktion viele Gedanken über Nachrichten und ihre Zuverlässigkeit gemacht. Der Durchblick erblickte das Licht der Welt, weil wir über längere Zeit zwei Tageszeitungen lesen konnten, die beide zu verschiedenen Pressehäusern gehörten, jedoch beide über Lautertal berichteten. Die Unterschiede waren frappierend, selbst wenn der Autor für beide Erscheinungen derselbe war! Mehr über die Entstehung des Durchblick lesen Sie im Jahrbuch "Spinnstubb 2.0" von 2021.
Es sind nicht die Nachrichten, die uns manipulieren: es ist die Auswahl.
Wer entscheidet, was wir zu lesen / zu hören / zu sehen bekommen? Welcher Konzern, welcher Unternehmer steckt hinter dem Medium? Dürfen Reporter wirklich ALLES veröffentlichen?
Ebenso verhält es sich bei Suchmaschinen. Ein lustiger Zeitgenosse postet in einem asozialen Medium sein Lieblingsrezept, damit der Käse nicht von der Pizza rutscht, nur so zum Spaß. Der nächste liest es und nimmt es für bare Münze. So kam es, daß Google dank künstlicher Intelligenz diese Quelle unter der Überschrift "cheese not sticking to pizza" (Quelle X, formarly known as twitter - siehe hier!) als völlig ernst auflistet. Pizzakäse kann man also mit einem ungiftigen Kleber auf dem Belag befestigen.
Wie so eine Nachricht entstehen kann? Die KI von Google kann Jux nicht von ernsthaften Nachrichten unterscheiden - wie auch!
Doch zurück zu den Suchmaschinen: bevor es sie gab, mußte ja zunächst das worldwide web erfunden werden, das Internet. Vorher gab es Bibliothekskataloge mit echten Zettelkästen, alphabetisch geordnet nach Autor, Buchtitel oder Schlagworten. Es gab Ratgeber in Buchform, hinter denen echte Menschen mit Fachkompetenz steckten. Und aktuell war so ein Zettelkasten oft auch nicht, es gab Supplemente, und das Bibliographieren war ein eigenes Seminar im Studium, das wollte gelernt sein. Heute gebe ich das komplizierte Wort "Bibliographieren" in die Suchmaschine ein und gelange innerhalb Sekundenbruchteilen zum Beispiel zu Wikipedia, wo es erklärt wird.
Noch viel früher gab es das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm. Sie trugen im 19. Jahrhundert alles auffindbare Wissen zu Schlagworten zusammen und kamen zu ihren Lebzeiten bis zum Buchstaben F. Fertiggestellt wurde das Wörterbuch 1961, die letzten Aufarbeitungen dauerten bis 2016. Es ist online verfügbar, aber das Wort "Bibliographieren" kennt es nicht.
"Wie seid ihr früher ohne Handy ins Internet gekommen?"
Diese Frage könnte abgewandelt lauten: "wie habt ihr früher ohne Google überhaupt was gefunden?" Mein Kollege Thomas Glaser hat für Sie die Geschichte der Suchmaschinen zusammengestellt, mit Informationen zu den Kriterien, die diese bei Suchanfragen anwenden und wie man unerwünschte Suchergebnisse ausschalten kann. Google war nicht die erste, hat jedoch inzwischen fast den gesamten Suchmaschinenmarkt an sich gezogen.
Vor 1990 war eine Internetrecherche noch recht aufwändig.
1990: die Geburt von Archie
Während Google als Spätzünder erst 1998 an den Markt kam, entwickelte man bereits 1990 die erste Suchmaschine. Sie startete nicht in den USA, sondern in Kanada, genauer gesagt an der Universität McGill in Montreal. Der heute eher unbekannte Name war „Archie“. Aber Archie war nicht das, was man heutzutage unter einer Suchmaschine versteht. Archie durchsuchte Ordner und Dateien in FTP-Verzeichnissen. Diese bildeten eine Sammlung, welche noch sortiert und aufbereitet wurde und dann durch den Suchenden abrufbar war. Bereits zwei Jahre nach der Gründung von Archie hatte die Suchmaschine für damalige Verhältnisse unglaubliche Zugriffszahlen. Das Hauptproblem an Archie war, dass die Suchmaschine nicht Texte durchsuchte, sondern eben nur Dateien und Ordner. Es gab also keine Suchmaschinen wie sie heute üblich sind. Es gab Listen mit Internetseiten, diese waren von Menschen zusammengetragen und oft nach Kategorien oder Stichwörten sortiert. Die Grundidee des Internets waren die Links, es sollte davon leben bzw. mit Leben erfüllt werden. Auf Seiten zu einem Thema sollte man Links zu anderen Seiten zu dem Thema finden. Hatte man einmal einen Einstieg gefunden konnte man sich selbst von einer Seite zur nächsten hangeln und so verschiedene Informationen finden.
Ohne Schlagwort geht es nicht
Das Recherchieren im Internet war allerdings nicht so "einfach" wie heute. Es galt den Einstieg ins Thema zu finden. Die genannten Kataloge, Fachzeitschriften sowie eigene Listen halfen dabei. Glaser: "ich hatte mir eine eigene kleine Datenbank aufgebaut, in die ich halbautomatisch Links und Stichworte aufgenommen hatte."
Ende 1995 ging mit AltaVista die erste große Suchmaschine online, bis 1999 war es die bekannteste Volltextsuchmaschine. 1998 wurde die Betreiberfirma DEC von Compaq übernommen. Daneben gab es z.Bsp. noch HotBot und auf den deutschsprachigen Raum spezialisiert Fireball.
Dann rollte Google das Feld auf und hat fast alle anderen Anbieter verdrängt. Mit dem Werbespruch "Don't be evil", einem sehr einfach gehaltenen Erscheinungsbild und schnellen und umfassenden Suchergebnissen hat Google überzeugt. Heute gibt es im Prinzip nur noch Google und Bing (Microsoft) als eigenständige Suchmaschine. Daneben existieren einige spezielle Suchmaschinen, Z.Bsp. für die wissenschaftliche Recherche.
Die Datenbank ist - fast - immer dieselbe
Hinter den Datenbanken von Google und Bing steckt enorm viel Technik und Knowhow. Sie müssen eine enorme Flut an Informationen aufnehmen, dabei ressourcensparend bleiben und schnell durchsuchbar sein. Die komprimierende Speicherung von Daten, das Verhindern der Speicherung redundanter Informationen und ausgefeilte Sortierkriterien sind dazu notwendig. Über die eingesetzten Technologien lassen die beiden Firmen möglichst wenig nach außen dringen. Letztlich fällt es aber in den Bereich "BigData" dessen Techniken auch anderweitig häufig genutzt werden.
Fast alle anderen Anbieter, wie Ecosia, DuckDuckGo, etc. beziehen ihre Suchergebnisse aus den Datenbanken der beiden Branchengrößen. Lediglich Quant und Brave hat wohl eigene Datenbanken. Bei einem Marktanteil von ca. 90% in Deutschland (ca.70% weltweit) hat Google aber herausragende Bedeutung erlangt. Aktuell wird spekuliert, dass Google auch die Klicks von Nutzern des Chrome-Browsers in das Ranking einbezieht, auch wenn Google das dementiert. Vom Credo "Don't be evil" ist nicht mehr viel übrig. Google ist ein profitorientiertes Unternehmen, solche Leitsätze gelten nur solange sie den Profit nicht schmälern. Für die Platzierung von Werbung setzt Google auf alle möglichen Techniken zum Tracking und Profiling.
Das Geschäftsmodell: personalisierte Werbung - laut Google ganz anonym - wer darin einen Widerspruch findet darf ihn behalten und Alternativen nutzen. Ebenso gab es Gerüchte, dass auch Suchergebnisse personalisiert wurden, z.Bsp aufgrund der Kennung von Browser und Betriebssystem.
Die bisher erhobenen Zensurvorwürfe sind zwiespältig zu sehen. Einerseits findet zwar tatsächlich eine Zensur statt, Diese basiert bei Google auf sogenannten Qualitätsrichtlinien die auch öffentlich kommuniziert werden. (Darunter fallen auch die genannten YML Seiten). Diese Richtlinien betreffen überwiegend allgemein anerkannte Regeln (Kinderporno, Gewaltverherrlichung, Aufruf bzw. Anleitung zu Selbstmord, etc.) Die Umsetzung dieser Richtlinie schießt jedoch manchmal über das Ziel hinaus.
Erstens weil die Umsetzung per Software (regelbasierend und per KI) geschehen muss, die Datenflut ist nicht durch Menschenhand zu bewältigen. Diese Software irrt oft und hält z.Bsp. antike Götterstatuen für Kinderpornographie. Zum zweiten werden die Maßstäbe des prüden Amerikas auf die ganze Welt angelegt. Ein nackter Busen landet im Filter, Kinder mit scharfen Schusswaffen jedoch nicht.
Hundertschaften von SEO-Anbietern versuchen den Algorithmus zu ergründen, zu überlisten und zu ihrem eigenen Zweck bzw. dem ihrer Kunden zu nutzen. (SEO = search engine optimizing, Suchmaschinenoptimierung)
M. Hiller / Thomas Glaser
Den vollständigen Beitrag von Thomas Glaser zu Suchmaschinen, ihren Kriterien und Alternativen finden Sie hier: Geschichte der Suchmaschinen !
https://www.lmn1.de/die-geschichte-und-entstehung-der-suchmaschinen/
VII: Wie die Zeitung entstand und was von objektiver Nachrichtenverbreitung zu halten ist...
Diese Reihe soll aufmerksam machen, worin sich seriöse Informationsquellen von Fake News und Manipulation unterscheiden.
Im letzten Heft ging es um die Erkenntnis, daß es nicht die Nachrichten sind, die uns manipulieren: es ist die Auswahl. Wer entscheidet, was wir zu lesen / zu hören / zu sehen bekommen? Welcher Konzern, welcher Unternehmer steckt hinter dem Medium? Dürfen Reporter wirklich ALLES veröffentlichen?
Nun kommt als vorletzte Folge dieser Reihe ein Ausflug in frühere Jahrhunderte: beginnen wir bei der allerersten Zeitung und der Entwicklung der Nachrichtenverbreitung. Am 1. Juli 1650 erschien in Leipzig die erste Tageszeitung der Welt. Herausgegeben wurde sie von Drucker Thimotheus Ritzsch, der nicht ahnen konnte, welche Flut an "Information" er damit auslöste. Am 350. Geburtstag seiner Zeitung an 1. Juli 2000 gab es in Deutschland 355 Tageszeitungen mit täglicher Auflage von 24,6 Millionen Exemplaren und etwa 50 Millionen Leserinnen und Lesern.
Die allererste Zeitung war eher ein Flugblatt mit dem Titel "Einkommende Zeitungen". Es hatte weder Schlagzeilen noch Bilder oder Anzeigen. Wie SZ-Redakteur Peter Ufer am ersten Juliwochende 2000 anmerkte: "Die Informationen waren staubtrocken, geschrieben von Fachleuten im Dunstkreis der Macht, Diplomaten, Staatsrechtlern, Offizieren, die für ihresgleichen schrieben und sich nicht darum scherten, sich einem weniger eingeweihten Leserkreis verständlich zu machen."
Liest man die aktuellen Bekanntmachungen der Kreisverwaltungen zur Afrikanischen Schweinepest, dann kommt einem doch der Verdacht, daß hier dieselben Schreiberlinge am Werk sind. Oder wie es ein Jurist ausgedrückt hat: "je unverständlicher und umständlicher ein Text ist, desto besser eröffnen sich findigen Juristen Möglichkeiten für Winkelzüge".
Wer weiß, vielleicht soll gar niemand verstehen, was diese Bekanntmachungen aussagen.
Timotheus Ritzschs "einkommende Zeitungen" erschienen an sechs Tagen die Woche. Hierfür mußte der Drucker zunächst vom Sächsischen Kurfürsten ein Zeitungsprivileg erwerben, das ihm vom Landesfürsten mit den Worten gewährt wurde: "Er soll Nachrichten fleißig korrigieren, aufs reinlichste drucken und gutes weißes Papier dafür nehmen."
Ob der Kurfürst mit "fleißig korrigieren" wirklich das gemeint hat, was heutzutage mit Nachrichten geschieht bevor sie veröffentlicht werden?
Vorläufer der Zeitung war der Brief (von lat. breve = kurz). Man schrieb als Anhang an Briefe jeweils einen kurzen Abriß aktueller Neuigkeiten. Flugblätter entwickelten die Zeitungsform des Bänkelsangs fort. Das Wort Zeitung bedeutete im 16. Jahrhundert "Neuigkeit". Die revolutionäre Neuerung all dieser Mitteilungsformen lag in der regelmäßigen Erscheinung täglich, wöchentlich oder monatlich. Nach Beginn der ersten Leipziger Tageszeitung 1650 erweiterte Ritzsch das Erscheinen auf den Sonntag mit der "Neueinlaufenden Nachricht von Kriegs- und Welt-Händel".
Die erste Wochenzeitung übrigens erschien bereits 1605 in Straßburg, und der 30jährige Krieg löste eine ganze Welle an Zeitungsgründungen aus, die jedoch alle nicht täglich erschienen.
In Kriegszeiten besteht ein großer Bedarf an Orientierung und Information.
Krieg ist ein Motor für Nachrichten, auch Krieg im übertragenen Sinne. Denn Zeitungen berichten am liebsten über Mord und Totschlag, über Diffamierung und Verleumdung.
Peter Ufer (SZ): "Die Politik und ihre Akteure standen nicht mehr im höheren Glanz, sondern wurden irdisch, für die Untertanen zu diskussionsbedürftigen Objekten. Genau daran hat sich nichts geändert."
Die ersten Nachrichtenblätter waren Amtsblätter mit Anzeigenteil. Im 18. Jahrhundert wurden sie gerne "Intelligenzblatt" genannt. Heute gibt es vor allem ein Blatt, das vor Intelligenz strotzt, das aber täglich von fast acht Millionen Menschen gelesen wird. Darin wird vor allem mit handtellergroßen Schlagzeilen Meinung verbreitet. Und gar nicht so weit entfernt von den Schautafeln der mittelalterlichen Bänkelsänger, die ihre Botschaft ebenfalls gerne prägnant, kurz und manipulativ präsentierten.
Apropos manipulativ: es ist wohl per Definition ausgeschlossen, daß News objektiv sind. Sie werden von Menschen gemacht, unter deren jeweiligem Blickwinkel - und dieser ist subjektiv. Man muß dies immer im Hinterkopf haben, gleich in welcher Zeitungsblase man lebt: Bild, Spiegel, FAZ oder Zeit. Die Frage ist nur, wo Sie gut recherchierte Beiträge finden, die mehrere Meinungen erläutern und über Hintergründe aufklären.Schlagzeilen tun das nicht.
- GEO Heft Juni 2024: Eine Revolution zum Lesen von Peter-Matthias Gaede
- Sächsische Zeitung vom 1./2. Juli 2000: "Ein brauner Falter entpuppt sich" von Peter Ufer
- Im Zusammenhang der Zeitungsentstehung steht das Postwesen. Seiner Entwicklung, man ist versucht zu sagen "Aufstieg und Fall" wird nächsten Monat der allerletzte Beitrag dieser Reihe gewidmet.
Zeitalter der Desinformation VIII: wie zerbrechlich Demokratie wirklich ist
Diese Reihe soll aufmerksam machen, worin sich seriöse Informationsquellen von Fake News und Manipulation unterscheiden. Im letzten Heft ging es um die Erkenntnis, daß es nicht die Nachrichten sind, die uns manipulieren: es ist die Auswahl.
Eigentlich war an dieser Stelle das letzte Kapitel "Postwesen. Entwicklung, Aufstieg und Fall" geplant. Doch mir ist noch etwas Wichtiges eingefallen:
die Wahlenergebnisse in Thüringen und Sachsen fielen nicht ganz so düster aus wie erwartet (Brandenburgwahl nach Drucklegung). Aber bei Berichten "aus dem Volk" wurde eines sehr deutlich: es schwelt Wut.
Viele können ihre Wut gar nicht sachlich ausdrücken. Wut ist selbstredend nicht die richtige Stimmung für Sachlichkeit. Man wirft der Ampel vor, in drei Jahren mehr verbockt zu haben als Kohlära und Merkelära zusammen zuvor in zwei mal sechzehn Jahren.
Erstaunliche Leistung!
Tatsächlich kann man ja der Ampel einiges vorwerfen, ungeschickte Öffentlichkeitsarbeit etwa, oder daß die Pünktchenpartei jegliche proaktive Arbeit blockiert und keiner etwas dagegen sagt.
Aber die Wut in den drei genannten Bundesländern rührt woanders her.
Bereits in meiner Schulzeit begann das, was in der DDR sowieso in bezug auf Allgemeinbildung vorherrschte: die schulischen Inhalte im Westen - und nur die kann ich beurteilen - orientierten sich weg von humanistischer Bildung hin zu Wirtschaftstauglichkeit.
17 Semester studieren: Pustekuchen, seit es Bachelor und Masterstudiengänge gibt, ist ein "Überziehen" nicht mehr drin. Es werden nur noch maßgeschneiderte Inhalte gepaukt, ohne Hintergründe, ohne das Erlernen eigenständiger Beurteilung von Situationen oder Zeitströmungen.
Früher nannte man das Fachidiotentum. Heute ist es cool, hip oder was auch immer grade für ein Unwort in Gebrauch ist dafür. Nichts gegen BWL, aber unsere Gesellschaft entscheidet nicht mehr nach menschlichen, sondern nach betriebswirtschaftlichen Kriterien.
Wie leicht es in diesen Zeiten ist, Menschen zu manipulieren, zeigen die social-media-Blasen, in denen sie unterwegs sind. Das Ergebnis ist besagte Wut. Aber nicht die eigene Desinformation ist schuld, sondern der Demokratie wird die Schuld gegeben.
Immer weniger Menschen suchen echten Kontakt zu anderen Menschen, in Vereinen zum Beispiel.
Mir liegen mehrere Rundschreiben des Odenwaldklub Hauptvorstandes von 1933 (Sie haben richtig gelesen: 1933) vor, in dem alle Mitglieder aufgerüttelt werden sollen: 1924 hatte der Ortsverein Michelstadt 203 Mitglieder, bis es 1932 nur noch 111 Mitglieder waren. Jährlich wurde die Zahl kleiner. Nun sollten die Ortsgruppenführer, Werbewarte und Ausschußmitglieder "aufgerüttelt" werden. "Wir haben also Recht und Pflicht, im dritten Reiche Adolf Hitlers an unserem Teil mitzuarbeiten am Aufbau unseres Vaterlandes."
Im Juli des gleichen Jahres erfolgt die Gleichschaltung: "Nichtarier und Marxisten [...] haben aus dem Klub auszuscheiden. Sämtliche Jugendgruppen sind mit Wirkung vom 13. Juli 1933 als selbständige Organisationen aufgelöst." An die Ortsgruppen ergeht die Aufforderung: "Der Reichsführer der deutschen Gebirgs- und Wandervereine hat am 28.7.1933 angeordnet: die Gebietsvereine stellen fest, welche - reinen - Wandervereine außer ihnen und ihren Ortsgruppen noch in ihrem Arbeitsgebiet bestehen und melden die Namen dem geschäftsführenden Vorstande des Reichsverbandes. Mit diesen Vereinen haben die Gebietsvereine sofort Verhandlungen aufzunehmen, um sie zur Überführung ihrer Mitglieder in den betr. Gebietsverein oder zum körperschaftlichen Anschluß als dessen Ortsgruppe zu veranlassen. [...] abseits stehende Gruppen und Vereine dürfen nicht mehr bestehen. Bei diesen Verhandlungen ist besondere Vorsicht geboten, um nicht getarnten staatsfeindlichen Gruppen unsere Reihen zu öffnen." Zur Werbung neuer Mitglieder erging die Direktive: "In erster Linie ist dabei auf [...] die nationale Pflicht hinzuweisen, einen Heimat- und Volksverein wie den Odenwaldklub zu fördern.
Die Gleichschaltung der Ortsgruppen erfolgte weitgehend reibungslos, wo nötig wurde mit Druck nachgeholfen. Im Dezember 1933 erging die Aufforderung: "Alle Veranstaltungen müssen im Dienste des Heimatgedankens stehen, alle Reingewinne sind an das Winterhilfswerk abzuführen." Und weiter: "die Hauptversammlung 1934 ... wird etwas anders durchgeführt werden wie seither. ... ein machtvoller Aufmarsch auf einem öffentlichen Platz mit einer öffentlichen Kundgebung. .... Mit deutschem Wandergruß 'Frischauf!' und Heil Hitler!"
Genau so erfolgte die Gleichschaltung bei allen Vereinen, nicht nur beim Odenwaldklub. Ihnen blieb gar keine andere Wahl. So konnten mit einfachen strukturellen Eingriffen Mitglieder zu willigen Ausführungsorganen umfunktioniert werden. Wie leicht das vor sich ging, sollte uns alle tatsächlich "aufrütteln". Mit uninformiertem "Stimmvieh" haben demokratiefeindliche Kräfte leichtes Spiel. M. Hiller
Marieta Hiller, Januar 2024 bis September 2024