Vorab: was Kieselbart zu Quellen und Riesen zu sagen hat...
„Es gibt im Felsbergwald neben Kobolden, Zwergen, Irrlichtern und der weißen Frau natürlich noch mehr Lebewesen. Zu ihnen gehören die Riesen. Ich will Euch jetzt nicht erzählen, wie sie einst hierher gekommen sind, das könnt Ihr anderswo nachlesen.
Doch von einer ihrer zahlreichen Unarten muß ich Euch berichten.
Ihr wißt, daß wir vom Kleinen Volk unsere Zauberkraft aus klarem Quellwasser bekommen. Ein jeder von uns gehört zu einer Kobold- oder Zwergenfamilie, und jede Familie hat ihren Wohnort an einer Quelle. Meine Familie lebte über Jahrmillionen von Jahren an einer frischen, klaren Quelle oben auf dem Felsberg. All unsere Schätze horteten wir dort, und das Wasser versorgte uns täglich mit neuer Lebenskraft.
Doch eines Tages trampelten die Riesen durch unseren Wald, ohne nach rechts oder links zu schauen. Sie knickten Bäume, verschreckten alle Lebewesen, und schließlich landete der eine mit seinem Riesenfuß genau in unserer Quelle.
Seit dieser Zeit findet man an ihrer Stelle nur noch ein matschiges Loch. Das Wasser aber suchte sich seinen Weg unter den Steinen hindurch, bis es klar und hell wieder ans Tageslicht sprudelte. Meine ganze Familie mußte damals umziehen, und nun wohnen wir am Fuße des Felsberges, ganz in der Nähe der Quelle, die Ihr Menschen die Siegfriedsquelle nennt.
Nicht daß Ihr denkt, die Riesen hätten unseren Lebensspender umsonst zerstört: ich habe seit all diesen Jahren immer meinen Spaß mit ihnen getrieben und sie oft gezwickt und gezwackt, und sie wußten nie, wer es war!"
Aus: Abenteuer Felsberg - Felsenmeere und Römersteine, Marieta Hiller, Lautertal 2007 (vergriffen).
Der Felsberg und das Wasser
Umgeben ist der Felsberg ringsum von kleinen Bächen: im Nordwesten vom Quattelbach, im Südwesten von der Auer, im Süden vom Emmerlingsborn, im Südosten von der Graulbach und im Nordosten von mehreren Rinnsalen, die sich zur Wurzelbach vereinigen. Dennoch ist der Felsberg selbst ein eher wasserarmes Gebiet, dessen steinige Böden mit Buchenmischwald und Nadelforsten bewachsen sind. Etwa 15 kleine Rinnsale führen ganzjährig Wasser vom Felsberg hinunter in die Bäche. Eine Quelle oben auf der Kuppe versorgt die drei Häuser auf der Lichtung.
Ein Stück unterhalb der Kuppe findet sich ein Schlammloch, das - zufällig oder nicht - die Form eines Riesen-Fußstapfens hat. Von hier und von einigen anderen kleinen Quellen sammelt sich das Wasser und fließt unter den Steinen des großen Felsenmeeres nach Südosten. An manchen Stellen kann man es unter den Felsen murmeln hören, und die Sage erzählt, daß dies nicht das Wasser, sondern ein schnarchender Riese sei - doch davon wird uns Kieselbart später mehr erzählen.
Über 250 Meter Höhenunterschied sucht sich das Wasser unter den Steinen seinen Weg, bis es - vom Steingrus (so nennen die Geologen den groben Sand, zu dem die Felsen zerfallen) gefiltert und geklärt - in der Siegfriedsquelle klar und rein zu Tage tritt, um den durstigen Wanderer zu laben.
Mit dieser Siegfriedsquelle hat es natürlich auch etwas Besonderes auf sich: beanspruchen doch nicht weniger als dreizehn Odenwaldquellen für sich, die einzige originale Quelle zu sein, an der einst Siegfried seinen Durst stillte und hinterrücks vom grimmen Hagen ermordet wurde.
Es bleibt dem Besucher überlassen, seine Phantasie spielen zu lassen und sich selbst vorzustellen, an welcher Quelle sich die Sage zugetragen haben könnte - wissenschaftliche Belege gibt es dafür nicht. Weil aber nicht nur die Nibelungen in alter Zeit an Quellen und anderswo ihre Intrigen spannen, darf die Siegfriedsquelle im Felsberg gewiß auf eine ereignisreiche Vergangenheit zurückblicken.
Seit unsere Vorfahren im Odenwald Landwirtschaft betreiben, hat das Wasser einen besonderen Stellenwert erhalten, und auf vielen Hügeln finden sich Zeugnisse, daß noch vor hundertfünfzig Jahren viel mehr Land unter dem Pflug stand als heute, wo die Wälder wieder bis weit ins Tal hineingewachsen sind, oder wo das Vieh auf Weiden grast. Die Siegfriedsquelle allerdings wurde niemals vom Pflug erreicht, liegt sie doch geschützt zwischen den unteren Ausläufern des Felsenmeeres. Doch den feuchten Wiesen unterhalb des Felsenmeeres spendete sie ihre Lebenskraft.
Wie stark Wald und Wasser unsere Umwelt beeinflussen, läßt sich nachlesen auf einer Schautafel des schön gelegenen Vogellehrpfades im Felsberg, den die Vogelschutzgruppe Reichenbach angelegt hat: ein Hektar gutdurchwurzelter Waldboden kann zwischen 500 und 2000 Kubikmeter Regenwasser aufnehmen. Davon versickern 10 % im Grundwasser und weitere 5 bis 10 % verdunsten und sorgen so für ein angenehmes Klima.
Aus: Abenteuer Felsberg - Felsenmeere und Römersteine, Marieta Hiller, Lautertal 2007.