Lutz Fähser berät den Runden Tisch Wald in Seeheim-Jugenheim
Der Entwickler des vielfach ausgezeichneten Lübecker Konzepts für naturnahe Waldbewirtschaftung Dr. Lutz Fähser kam am 23. und 24.6.2024 zur Beratung in die Gemeinde Seeheim-Jugenheim. Dort wird aktuell im Rahmen eines Runden Tischs über die Zukunft des Waldes debattiert. Die zu entwickelnden Leitlinien sollen in die anstehende Forsteinrichtung, den 10-Jahres-Plan für die Waldbewirtschaftung, eingehen.
In zwei Waldbegehungen und einem Vortrag erläuterte Dr. Lutz Fähser die Grundlagen des von ihm entwickelten Konzepts des Lübecker Stadtwaldes, den er als leitender Forstdirektor von 1986 bis 2010 bewirtschaftete. Bürgermeisterin Kannegießer, Vertreter der SPD, CDU, den Grünen, des NABU und BUND, des Netzwerks Bergsträßer Wald sowie interessierte Gemeindevertreter aus anderen Gemeinden und Bürger waren bei den Waldbegehungen und beim Vortrag zugegen. Dr. Christian Storm, Vegetationsökologe der TU Darmstadt, ergänzte bei der Exkursion am Langen Berg die Ausführungen des ehemaligen Försters mit ökologischem Fachwissen.
Maxime: Natürliche Prozesse im Wald möglichst wenig stören
Die Ausrichtung an den natürlichen Prozessen im Wald bildet das Grundgerüst dieses Bewirschaftungsmodells. Auf nicht mehr bewirtschafteten Flächen wird die Natur beobachtet. Diese Beobachtungen gehen als Referenz stetig in die Art der Bewirtschaftung mit ein.
Der Leitgedanke ist: Ein Ökosystem ist am stabilsten und widerstandsfähigsten, wenn es sich nach den Regeln der Natur und ohne Störungen von außen entwickeln kann. Auf den bewirtschafteten Flächen werden forstliche Eingriffe demzufolge selten und schonend vorgenommen. Anstatt öfter kleinere und dünnere Bäume zu ernten, erfolgen Durchforstungen seltener und die Holzernte konzentriert sich auf dickere und wertvolle Bäume. Auf Harvestereinsätze wird dabei verzichtet, Holz wird bestandsschonend aus dem Wald gezogen. Die Befahrung des Waldbodens wird minimiert, um die unterirdische, lebensnotwendige Vernetzung der Bäume nicht übermäßig zu beeinträchtigen.
Stehendes und liegendes Totholz sowie alte, gesunde Bäume werden systematisch gefördert, weil sie die Stabilität des Waldes und die Artenvielfalt erhöhen. So weist der Lübecker Stadtwald einen Totholzvorrat von 50 Festmeter pro Hektar auf, während etwa in Seeheim-Jugenheims Wäldern nach den Ermittlungen der letzten Forsteinrichtung gerade einmal 2,42 Festmeter/ha vorrätig sind. Auf Totholz und alte Bäume angewiesenen Tier- und Pflanzenarten können unsere Wälder kaum Heimat geben, die Kapazitäten zur Wasserspeicherung sind zudem stark eingeschränkt.
Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie
Der Erfolg dieses Modells, das mittlerweile viele Städte und Gemeinden in ganz Deutschland übernommen haben, liegt sowohl in seinem ökologischen als auch ökonomischen Erfolg. Alte, gesunde, qualitativ hochwertige und zweifach zertifizierte (Naturland und FSC) Bäume können zu guten Preisen auf den Holzmarkt gebracht werden. Zugleich werden Kosten dadurch gesenkt, dass nur ein Minimum an Maßnahmen erfolgt.
Die am Runden Tisch teilnehmenden Naturschutzgruppen - NABU, BUND und Netzwerk Bergsträßer Wald - befürworten die Übernahme dieses Modells für den Seeheim-Jugenheimer Gemeindewald. Herr Dr. Fähser berichtete in seinem Vortrag: „Konflikte zwischen uns Förstern auf der einen Seite und Bürgern und Naturschutzverbänden auf der anderen Seite lösten sich mit der Umsetzung der neuen Bewirtschaftung in Luft auf.“ Da sich mit diesem Modell Erholung, Naturschutz, Klimaschutz und Holzwirtschaft vereinen lasse, gehen die Naturschutzgruppen davon aus, dass es durch eine Einigung auf das Lübecker Modell auch in Seeheim-Jugenheim positive Effekte auf die Interaktion zwischen den verschiedenen Akteuren geben wird.
Details zur Umsetzung und eventuellen Anpassung des Modells könne der Runde Tisch in den folgenden Sitzungen diskutieren.
Eine Investition in die Zukunft
Selbst wenn zu Beginn der Umwandlung des bisher konventionell bewirtschafteten und zu Teilen stark geschädigten Seeheim-Jugenheimer Waldes in einen perspektivisch resistenteren naturnahen Wald noch nicht mit Überschüssen gerechnet werden kann, so werden laut der Naturschutzgruppen kommende Generationen von einem im Klimawandel möglichst widerstandsfähigen Wald profitieren, der ihnen auf Dauer Raum zur Erholung gibt, Kohlenstoff und Wasser speichern sowie Sauerstoff und Holz produzieren kann.
Text: Yvonne Albe und Gunnar Glänzel
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