Wo lag das legendäre Reonga aus dem Lorscher Kodex?
Laut Wikipedia sei Reonga der alte Name von Reichenbach, was jedoch so nicht stimmt. Im Lorscher Kodex wurde die Schenkung Karls des Großen im Jahr 795 an das Kloster Lorsch als Waldmark Heppenheim genau umschrieben. Wo jedoch der dort genannte Ort Reonga lag, darüber schweigt die Urkunde. Reonga wurde in der ersten Fassung von 773 erwähnt, die heute allerdings dem 10. Jahrhundert zugeordnet wird. In der Urkunde von 1012 (Schenkung des Forstbannes an Lorsch) fehlt Reonga wiederum. Karl Glöckner lokalisiert den geheimnisvollen Ort in seiner Schrift zum Codex Laureshamensis 1929 wie folgt: Der in der Heppenheimer Markbeschreibung (773) genannte Grenzpunkt wird heute auf der Wasserscheide zwischen Modau und Lauter mit dem Hinkelstein an der Grenze Beedenkirchen / Brandau identifiziert. Ob es ein Personenname war (Reun oder Hreun), ist nur schwach belegbar, auch um einen Gewässernamen handelt es sich nicht, da die Endung *ahe fehlt. Daraus schließt man, daß es sich um einen hoch gelegenen Ort gehandelt haben muß. Der Doppelvokal eo könnte aber auf die althochdeutsche Schreibung (h)rêo zurückgehen, was ‚Leichnam‘ bedeutet. Somit würde der Name auf eine frühe Begräbnisstätte hinweisen.
Grenzverlauf laut Lorscher Kodex: von Steinfurtau (Steinvortowa; Au mit der steinigen Furt über die Lauter an der Grenze zur Gernsheimer Mark nach Langwaden (Langwata) über Ginneswald (Ginnesloch bei Hähnlein) zum Woladam (Knüppeldamm über die Sumpffläche bei Zwingenberg) nach Alsbach (Aldolvesbach). Von hier zieht die Grenze zum Felsberg (Felisberk), von hier nach Reonga (auf dem Höhenrücken Felsberg-Neunkirchner Höhe als Wasserscheide Lauter-Modau), von da zum Winter-casten. Damit ist nicht das heutige Dorf Winterkasten bezeichnet, sondern die Windherrenhöhe, der Berg des Windgottes, die heutige Neunkirchner Höhe. Erst später übertrug sich der Name Winterkasten auf Dorf südlich der Neunkircher Höhe. Weiter geht die Grenze über die Arezgrefte nach dem Welinehouc (heutiger Kahlberg bei Weschnitz, auf dem die Walpurgiskapelle steht) und am Hildgersbrunnen (Hildegeresbrunno) vorbei zum Burgunthart, zum Vlisbrunnen (südlich von Untermossau) zum Mooswald (Mosehart, Mossauer Wald) und zum Lindelbrunnen. Von hier zieht die Grenzlinie zum Neckar bis zur Mündung des Flusses Ulfenbach, dann über Fränkeltal (Franconodal bei Schönmattenwag) zur Weschnitz (Wisgoz) und wieder nach Lorsch.
Rudolf Kunz und Hans Lorenz sind in ihrem Beitrag "Der Grenzpunkt 'Reonga' der Mark Heppenheim und die Gemarkung Beedenkirchen" 1982 näher auf die Lokalisierung eingegangen. Nachdem die Wasserscheide zwischen Grauelbach (nach Süden zur Lauter) und den im Atzenrod entspringenden Bächlein (nach Norden zum Wurzelbach, Modau) südlich der Beedenkircher Häuser durch das Flurstück Linsenfeld (oberhalb Grauelbach), dann nach Norden am Atzenrod entlang zum Halsberg (Grenzpunkt Beedenkirchen - Allertshofen - Brandau), von dieser im Wald liegenden Anhöhe wieder nach Südosten zum Brenner Eck und zum Hinkelstein, von dort weiter hinauf zur Neunkircher Höhe gezogen ist, ergeben sich vier Punkte. Kunz und Lorenz bezeichnen Halsberg, Kreuze (es gibt zwei! Das Bäcker-Schneider-Kreuz und die wüst gefallene Herrgottsbergs-Kapelle zwischen Beedenkirchen und Wurzelbach), Brandauer Eck und Hinkelstein als mögliche Reonga-Kandidaten. Letztlich plädieren sie für den Hinkelstein. Hier liegt ein Viermärker: ein Grenzpunkt mit vier Gemarkungen: Brandau, Beedenkirchen, Lautern und Gadernheim. Dieser ist in der Landschaft nicht sichtbar bzw. nur an den Wiesenrainen, das beklagte bereits vor 20 Jahren Geometer Georg Grohrock. Von der betreffenden Stelle jedoch, die im Flurstück Hinkelstein (so nennt sich die Flur in Gadernheim und in Beedenkirchen) liegt, kann man sowohl den Felsberg als auch die Neunkircher Höhe gut sehen.
Elisabeth Kleberger lokalisiert Reonga als Gemarkungspunkt zwischen Betenkiricha und Luddera (Lautern) aufgrund der Heppenheimer Markbeschreibung von 773.
Quellen: Chronicon Laureshamense (MGH SS 21), S. 347
Glöckner, Codex Laureshamensis, Bd. 1, Nr. 6a S. 278–281
Übersetzt in: Minst, Lorscher Codex, Bd. 1, Nr. 6a, S. 58–59
Im Heppenheimer Stadtarchiv sind die Quellen zu finden: www.heppenheim.de/fileadmin/_leben_in_hp/stadtarchiv/pdf/regesten_hp.pdf Seite 9 des Anhanges.
Über den Namen Reonga: http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/shfb/id/2792/chapter/commentary.
Rudolf Kunz, Hans Lorenz: Der Grenzpunkt „Reonga“ der Mark Heppenheim und die Gemarkung Beedenkirchen, Geschichtsblätter des Kreises Bergstraße Band 15, 1982
K. J. Minst, Die Heppenheimer Markbeschreibungen, Der Odenwald Heft 2 1962, Breuberg Bund
Kleberger, Elisabeth, Territorialgeschichte des hinteren Odenwalds (Grafschaft Erbach, Herrschaft Breuberg, Herrschaft Fränkisch-Crumbach) Selbstverlag der Hessischen Historischen Kommission Darmstadt, 1958
Marieta Hiller, z.T. erschienen im Durchblick Oktoberheft 2012
Beim Lesen des folgenden Artikels über den Bienensegen sollten Sie aufs Datum achten!
Versteckter Hinweis entdeckt
Aufschlußreiche Unterlagen über die Lage des geheimnisumwitterten Ortes „Reonga“ im Lorscher „Bienensegen“ entdeckt
Versteckte Botschaft unter dem „Bienensegen“ entdeckt
Im Kloster Lorsch bewahrt man neben dem weltberühmten Kodex und anderen Handschriften ein Manuskript mit dem „Bienensegen“ auf. Dieser Spruch in althochdeutscher Sprache aus dem 10. Jahrhundert steht kopfüber am Rand eines anderen Manuskriptes, das möglicherweise die apokryphe (= nicht kanonisierte) Paulusapokalypse aus dem frühen 9. Jh. darstellt. Dieser Bienensegen stellt eines der ältesten gereimten Dichtungen in deutscher Sprache dar. Der Fundort ist nicht verwunderlich: Pergament war sehr teuer, wurde oftmals abgeschabt und wiederbeschriftet. Auch einstmals großzügig angelegte Seitenränder wurden später mit Bewahrenswertem gefüllt.
Und so wurde erst vor wenigen Tagen offenkundig, daß der unbekannte Schreiber des Bienensegens tatsächlich einen älteren Text am Rand der Paulusvision abgeschabt und überschrieben hat: dank modernster wissenschaftlicher Möglichkeiten konnte die ursprüngliche Randbemerkung sichtbar gemacht werden.
Möglicherweise gibt diese alte Notiz eines der ersten Zeugnisse über den Grenzverlauf zwischen dem kurpfälzischen und dem hessischen Odenwald, der in jenen Jahrhunderten noch gar nicht existierte. Die Sprachgrenze ist jedoch sehr alt und noch heute deutlich hörbar, vergleicht man nur einmal das „hoste biste gehste“ im fränkischen Brandau und „hoschde bischde gehschde“ im alemannischen Gadernheim. Zudem verläuft genau an dieser Stelle die Wasserscheide zwischen Main (Modau in Brandau) und Rhein (Lauter in Gadernheim). Die Notiz ließ sich bislang erst sehr lückenhaft rekonstruieren, gibt aber offensichtlich einen Hinweis auf den Hinkelstein zwischen Gadernheim und Brandau, der ja schon vor Generationen verschwunden ist. Die Flur heißt allerdings noch heute „am Hinkelstein“. Demnach sei dieser Hinkelstein genau dort gestanden, wo noch bis in unsere Tage zwei Dreimärker in wenigen Metern Abstand die Grenzen zwischen Beedenkirchen-Brandau -Gadernheim sowie zwischen Brandau-Gadernheim-Lautern markieren. Und - das ist das Interessanteste an der rekonstruierten Notiz - dieser Hinkelstein befinde sich just an dem als Reonga bezeichneten Ort! Reonga wird erst im 12. Jahrhundert im Lorscher Kodex erwähnt, bezieht sich aber auf die Markbeschreibung aus der Schenkung Karls des Großen im Jahr 795 an das Kloster Lorsch als Waldmark Heppenheim. Bislang konnte nicht genau bestimmt werden, wo dieses Reonga liegt. Der Begriff kann auf eine Begräbnisstätte hinweisen, diese wiederum lagen in jenen Zeiten auf Anhöhen. Der verschwundene Hinkelstein und das verborgene Reonga liegen auf einer Anhöhe: auf der Wasserscheide zwischen Modau und Lauter, wodurch die Richtigkeit der Annahme bestärkt wird. Reonga könnte also tatsächlich die Stelle auf unserem Foto, dort wo der Obstbaum mit Gebüsch steht, bezeichnen. Die Blickachse geht weiter zum Kriegsgräberdenkmal in Brandau, das seinerseits als Überlagerung einer uralten Kultstätte denkbar ist.