Wollen wir liebe Märchenfreunde einen Ausflug ins Märchenland unternehmen, auf der Suche nach dem Glück?

So folgt mir in ein beschauliches Dorf, gleich unterhalb eines hohen herrschaftlichen Schlosses, am Rande eines tiefen undurchdringlichen Waldes. Im Dorf lebt ein Schuster, der sich redlich von seiner Hände Arbeit ernährt. Eines Tages fertigt er ein Paar wunderschön gearbeiteter geknöpfter Stiefel aus allerfeinstem Ziegenleder für die Dame des Schlosses, und erhält zum Dank ein Säckchen voll glänzender Dukaten.

Wäre er nun ein wahrer Unternehmer - und wären wir, liebe Märchenfreunde, nicht gerade mitten in einem Märchen - so würde er sich damit einen ordentlichen Vorrat an gutem Leder, neuem Werkzeug und vielleicht auch ein neues Licht für seine Werkstatt anschaffen.

Doch dort wo wir sind, ist es anders: unser Schuster, nennen wir ihn Hans, zieht lieber hinaus in die Welt, sein Glück zu suchen. Schon begegnet er auf seiner Wanderung durch den finsteren undurchdringlichen Wald einem merkwürdigen Gesellen, dem sicher nicht recht zu trauen ist. Doch gemeinsam erreicht man bald eine Waldschänke, hockt zusammen beim Bier, und versteht sich prächtig. Und das, obwohl hier schwarze Köhler mit ihrem Bauchladen voller Pech verkehren, ja dort hinten in der dunkelsten Ecke können wir sogar einen echten Räuber mit einem Sack voller Beute entdecken, die er sich nachher vom Spelunkenwirt in Scherflein teilen lassen will!

Wer würde sich da nun wundern, würde der merkwürdige Geselle unserem Hans drei Wünsche zur freien Verfügung überlassen? Hans jedenfalls wundert sich nicht. Er prostet dem merkwürdigen Gesellen fröhlich zu und läßt seine Dukaten springen. Uns wiederum würde es nun nicht wundern, sollte der merkwürdige Geselle genauso heimlich verschwinden, wie er erschienen war. Weg ist er und läßt Hans mit seinen drei Wünschen zurück!

Wäre Hans nun ein Vollblutökonom, ginge er vielleicht so vor: mit dem ersten Wunsch würde er sich eine neue Hose wünschen, denn die seine ist schon recht fadenscheinig und oft geflickt. Und mit einer neuen Hose erringt man gleich mehr Ansehen - Kleider machen schließlich Leute.
Mit dem zweiten Wunsch würde Hans das Ergebnis des ersten durch eine gute deftige Mahlzeit unterfüttern, denn das kommt der Erscheinung stets zu Paß.
Den dritten Wunsch aber würde Hans - wäre er ein gesunder Unternehmer wohlgemerkt - besonders geschickt einsetzen und sich damit drei neue Wünsche wünschen. Das wäre nicht so unverschämt, als würde er sich gleich mit dem ersten Wunsch unendlich viele Wünsche wünschen, es wirkte sozusagen bescheidener und auch seriöser, erhielte zugleich auch immer neuen Nervenkitzel.

Aber ach: unser Hans ist betriebswirtschaftlich völlig unbeschlagen, und während er noch nachgrübelt, was er sich als Drittes wünschen soll, kommt die Prinzessin vom Schloß auf einem stolzen Rappen einhergeritten, begleitet nur von ihren wunderschön gearbeiteten geknöpften Stiefeln aus allerfeinstem Ziegenleder und von ihrer vertrautesten Zofe. Bestimmt soll sie eigentlich nicht durch den finsteren undurchdringlichen Wald reiten, aber auch bei Königs müssen ja die Eltern nicht immer wissen, was ihre Sprößlinge so treiben. Und weil der Prinzessin immer schrecklich langweilig ist und auf der Suche nach einem Abenteuer (was Königs ebenfalls nicht wissen dürfen, versteht sich), so entdeckt ihr suchendes Auge sogleich unseren Hans in seiner guten Hose und seiner wohlgenährten Erscheinung.

„Der könnte doch sicher ein Abenteuer wert sein!“ denkt sich die Prinzessin, zügelt ihren Rappen und springt herab. Was folgt, lassen wir hinter märchenhaftem Nebel verborgen sein. Kurz und gut: die Prinzessin hat ihren Kick in der sonstigen Eintönigkeit des Prinzessinnendaseins, Hans weiß nicht wie ihm geschieht, aber da war ja noch der Wunsch, der dritte. Der schwirrt ihm jetzt im Kopf herum, so sehr er ihn auch zurückzuhalten versucht. Und schwupps: geradeso schnell wie die drei Wünsche in seine Welt hereingekommen waren, so sind sie auch schon wieder entschwunden - alle drei.

Was Hans sich als drittes - und eigentlich wollte er es doch gar nicht! - gewünscht hat, wird uns auf immer verborgen bleiben. Wir sehen ihn nur in all seinem Elend auf einer Bank unter dem Haselstrauch sitzen. Die Prinzessin ist hochnäsig von dannen geritten, der Bauch ist wieder leer und seine Beine stecken in einer alten geflickten Hose. Die Dukaten sind längst in der Spelunke verpraßt (wobei ihm besagter Räuber und ja, auch der Köhler, der schwarze Mann, tüchtig halfen), und der Weg nach Hause liegt nun lang und beschwerlich vor ihm. Trübsinnig erhebt sich Hans und setzt einen schweren Fuß vor den anderen. Doch wir wären schlechte Märchenerzähler, würden wir ihn so trübsinnig seines Wegs ziehen lassen.

Auch wir blicken ja von außen in die Märchenwelt hinein, wobei wir aber hoffen, daß unser „von außen“ ein anderes „von außen“ ist als dasjenige, aus dem jener merkwürdige Geselle mit seinen drei Wünschen erschienen war. Der nämlich ist der Vertreter der dunklen Seite, wir aber bringen ein Märchen stets zu einem glücklichen Ende, so wie es sich für rechtschaffene Märchen gehört. Und so wird unserem Hans mit jedem Schritt, den er aus dem finsteren undurchdringlichen Wald hinaus und der Heimat entgegen wandert, das Herz leichter. Als er sein Dorf erblickt, da jauchzt er und springt in langen Sätzen hinab zu seiner ärmlichen Hütte. Die Sonnenstrahlen im Holunderbaum gleich neben dem Fenster lassen ihn die Prinzessin vergessen, lassen Hunger und Durst vergessen, und auch die drei Wünsche vergißt er sowie das verpraßte Säcklein Dukaten. Und so lebt er glücklich und zufrieden bis ans Ende seiner Tage. Ein Paar Knopfstiefel für das herrschaftliche Schloß aber hat er nie mehr geschustert, denn mit Wunschökonomie und Glücksstatistik will er sich nicht herumquälen...

Marieta Hiller