"Fast hätte es am Heiligen Abend im Zauberwald einen Aufstand gegeben:

zuerst kam ein sehr aufgebrachter St. Nikolaus angestampft, warf seinen Sack mit wütendem Schnauben auf den Waldboden und schimpfte: „Weihnachtsmänner aller Orten, nichts als alberne Weihnachtsmänner mit dämlichen Zipfelmützen, einer dämlicher als der andere! Den Nikolaus braucht heute wohl gar keiner mehr!“
Nur mühsam gelang es der alten Hutzel und den anderen Angehörigen des Kleinen Volkes mit viel Geduld und gutem Zureden, den Nikolaus etwas zu besänftigen.

Doch kaum hatte er sich friedlich wenn auch nicht zufrieden auf einem Baumstumpf niedergelassen, da kam schon der nächste: „wie soll man denn hier noch in Ruhe alte Großmütter oder Geißlein fressen, von kleinen Mädchen ganz zu schweigen! Pah, böser Wolf, daß ich nicht lache! Problemwolf sagen sie heute zu mir, Problemwolf! Dafür bin ich doch völlig überqualifiziert, aber keiner macht sich Gedanken über das Berufsbild des Bösen Wolfes. Ruck zuck wird man da zurückgestuft, ob man will oder nicht! Keine guten Zeiten...“

Auch dem armen bösen Wolf ging es also nicht gut, doch es kam noch dicker: aus dem Sack vom Nikolaus kullerten drei rotbackige Äpfelchen und fünf Nüsse heraus und beklagten mit feinen Stimmchen: „im Straßengraben verrotten unsere Brüder und Schwestern, die Apfelbäume auf den Wiesen rüttelt niemand und schüttelt niemand mehr, und keiner pflückt uns wenn wir reif und saftig sind! Statt dessen kaufen sie Äpfel aus Südafrika!“ Und die Nüsse stimmten in das Klagelied ein: „uns braucht auch keiner mehr, wir sind viel zu hutzelig und schief und krumm. Daß wir viiieeel besser schmecken als die kalifornischen Riesenwalnüsse, ist den Menschen ja sowieso egal.“

„Ach, wär das schön, wenn es euch bei uns im Supermarkt zu kaufen gäbe, ihr lieben Äpfel und Nüsse!“ seufzte da eine Verkäuferin, die zufällig gerade des Wegs kam und ließ sich bei der wunderlichen Gesellschaft mitten im Zauberwald nieder. „Aber ich muß im August schon Schokonikoläuse verkaufen und bekomme nichtmal Weihnachtsgeld.“ - „Wenigstens hat sie Schokonikoläuse gesagt und nicht Schokoweihnachtsmänner,“ grummelte da der Nikolaus in seinen langen weißen Bart hinein.

„Hoppla!“ stolperte da ein Jogger mit Walkman mitten hinein in all die seltsamen Figuren, die sich da unter einem großen alten Haselnußbusch versammelt hatten. „Verzeihung, aber ich hab ja immer nur dieses Weihnachtsgedudel im Ohr, und auf den Weg hab ich auch nicht geschaut, und so wäre ich beinah über euch gefallen! Aber was macht ihr eigentlich hier?“

„Wir halten Rat, was es mit der ordentlichen Weihnacht auf sich hat!“ riefen da die Äpfel, die gerade noch Glück hatten und nicht unter die Joggingschuhe geraten waren. Auch die Nüsse waren flugs zur Seite gerollt. „Aber sag, was für ein Weihnachtsgedudel denn?“ wollten sie wissen, denn Nüsse - ihr wißt es vielleicht nicht - sind sehr neugierig.

„Oh wißt ihr, ich arbeite beim Sender, erstes Programm. Und da hör ich mir doch auch an, was meine Kollegen so bringen. Aber die Musik dazwischen: einfach gräßlich, ein Weihnachtsschlager nach dem anderen, und das schon seit November!“ Darauf wußte keiner vom Kleinen Volk mehr etwas zu sagen. Wie schrecklich, dachte ein jedes für sich, bei den Menschen wollt’ ich wirklich nicht mehr leben müssen...

Ein altes Pferd auf der Weide gleich beim Wald konnte wohl offenbar Gedanken lesen, denn sogleich wieherte es herüber: „und ich erst! Früher war ich stolzes Kutschpferd und durfte zu Weihnachten die Kutsche durchs Städtchen ziehen, festlich geschmückt und mit dem Hafersack! Heute - ach, da haben uns ja die Rotnasigen Garderobenständer die ganze Arbeit abgenommen.“ Noch einmal wieherte es traurig, dann waren alle still.

Schließlich seufzte die alte Hutzel und sprach: „die Menschen brauchen uns  nicht mehr, nach Apfel Nuß und Mandelkern verlangt es sie nicht, auch selbstgedichtete Sprüche können sie nicht mehr, und das Wünschen,“ - hier seufzte sie wieder, „das Wünschen ist ganz und gar aus der Mode gekommen. Weihnachten ist bei den Menschen etwas ganz anderes geworden als es einmal war.“ Da gaben ihr alle Recht, aber die alte Hutzel war noch nicht fertig: „laßt die Menschen doch ihr Weihnachten feiern, mit all ihrem Kitsch und Überfluß, was haben wir damit zu schaffen? Wir haben unser Weihnachten, Weihnachten im Zauberwald. Und wir wissen auch noch, was es mit dem Wünschen auf sich hat! Wenn wir uns etwas wünschen, dann ist es etwas, das einem anderen Wesen nützt. Menschen wünschen sich neue Kleider, ein Auto oder eine Flugreise in die Karibik. Wer hat davon schon etwas?

Wir wollen uns jetzt alle etwas wünschen, schreiben es auf und hängen es an unseren Wunschbaum hier im Zauberwald. Dort sollen unsere Wünsche hängen bis die Menschen sich besinnen. Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät!“ Eifrig nickten der Nikolaus, jetzt schon fast ganz besänftigt, der böse Wolf und die Äpfelchen und Nüsse, und von der Weide wieherte der alte Kutschgaul. Ein dickes Märchenbuch, das bisher noch gar nichts gesagt und nur tief geseufzt hatte, blätterte sich nun auf und rief: „ihr dürft meine Seiten verwenden für eure Wunschzettel! Mich liest doch sowieso keiner mehr - wer glaubt denn noch an Märchen!“ Und schon teilte es seine Seiten an alle aus.

Verwundert sahen Verkäuferin und Jogger, wie ein jedes vom Kleinen Volk geschwind seinen Wunsch drauf schrieb, sogar das Pferd rief einen Kobold zu sich und diktierte ihm flüsternd, was auf seinen Zettel geschrieben werden sollte. Was sich Äpfel und Nüsse wünschten, könnt ihr euch sicher denken. Und so empfingen auch die beiden Menschen ihren Zettel, eine Seite aus einem alten dicken Märchenbuch, und durften einen Wunsch aufschreiben. Lange mußten sie nachdenken, denn was sie hier gehört hatten, das war etwas für Menschen ganz Neues. Und so bedachten sie sich wohl, und schließlich huschte ein Lächeln über ihre Gesichter, und sie schrieben. Schreibt nun auch ihr!"

Diese Geschichte erzählte mir Kobold Kieselbart am 24. Dezember 2012 im Zauberwald, nachdem er sie selbst erlebt hatte... Den Wunschbaum könnt ihr ganz leicht finden: öffnet euer Herz und denkt damit!

M. Hiller