Ein Märchen für Große und Kleine

In einem Land weit hinter den tiefen Wäldern, verborgen zwischen den Hügeln, da gab es ein kleines friedliches Königreich. Die Sonne schien, und der König war zufrieden. Seine Hofbediensteten und seine Untertanen freuten sich am Sonnenschein, und auch sie waren zufrieden, selbst wenn es einmal regnete.

Da kam eines Tages auf einem buntscheckigen Pferd ein seltsamer Mann dahergeritten. Er wolle den König sprechen, und er ließ nicht ab von seinem Wunsch, bis daß die Torwachen ihn endlich einließen. Am dritten Tag ließ ihn der König vor seinen Thron treten und fragte ihn nach seinem Begehr. „Ihr habt keinen Hofnarren! Wißt ihr denn nicht, daß jeder König von Format einen solchen unabdingbar braucht? Ich biete Euch untertänigst meine Dienste an, und ihr werdet bald schon sehen, daß es sich mit Hofnarr um vieles komfortabler regiert!“

Der König ließ sich das durch den Kopf gehen, aber weil die Sonne schien war er’s zu guter Letzt zufrieden. „Wohl denn, so sollst du mein Hofnarr sein,“ sprach er. Der Hofnarr machte seine Späße, wie das für Hofnarren so üblich ist. Doch oft geschah es, daß dem König und seinem Hofstaat das Lachen im Halse stecken blieb. Zuweilen verschluckte sich auch einer der Höflinge an einem jener Späße. Es dauerte gar nicht lange, da hatte sich etwas Graues, Zähes über das ganze Land gelegt.

Kein Lachen klang mehr unbekümmert, kein Witz der nicht erst von allen Seiten betrachtet werden mußte, ob man denn auch wirklich drüber lachen sollte. Nicht einmal die Sonne schien mehr hell und klar. Alles war dem Hofnarren zu schlecht: der Schloßgarten bot keinen Schatten, das Dach hatte Löcher, die Untertanen waren frech, das Frühstück kam zu spät, die Hof-damen waren zu fett, die Pferde zu lahm, der Hofstaat zu steif und der König zu nachgiebig. Schlecht war alles, worauf der Hofnarr schaute, und laut posaunte er es an der königlichen Tafel heraus.

Bald gab es bei Hofe niemanden mehr, der noch wußte wie man unbeschwert lachte. Die Hofmusikanten spielten schwermütige Weisen, ohne Begeisterung und Kunstfertigkeit, wie man es sonst von ihnen gewohnt war. Tanzen wollte sowieso niemand dazu. Der Geschichtenerzähler sagte nur noch „ach“ und „weh“, und der Hofmaler hatte sich auf abstrakte Grautöne verlegt. Die Frauen stickten keine bunten Blumen mehr in ihre Tücher, und den Kühen schien das Gras nicht mehr zu schmecken. Bald kam der Herbst, und nicht einmal das Laub der Bäume wollte sich bunt färben.

Der erste Schnee bedeckte das Grau, doch es war nur ein hellerer Ton von Grau. Am Weihnachtsabend endlich war des Königs Herz so schwer geworden, daß er in seiner Kapelle beim Gebet so tief seufzte, daß es in den Wänden widerhallte. Drei kummervolle Seufzer tat er und vergrub das Gesicht in den Händen. Ein Lufthauch zog ihm um die Ohren, und als er aufblickte, da standen im Dämmer drei Feen vor ihm.

„Ich will dir für deinen ersten Seufzer etwas Glücksstaub geben. Streu eine Prise davon über das, was dich so unglücklich macht!“ sprach die erste Fee und gab ihm ein Töpfchen.
„Dein zweiter Seufzer soll auch nicht vergebens gewesen sein,“ sprach die zweite: „nimm dieses Tüchlein, und wo auch immer du etwas Graues siehst, so fahre damit drüber und es wird strahlen.“
Die dritte Fee aber, die sagte nur „ich kann dir für deinen dritten Seufzer nichts geben, denn was du brauchst, das hast du schon.“

Der König schüttelte verwundert den Kopf, rieb sich die Augen und nahm endlich das Töpfchen mit dem Glücksstaub und das Tüchlein gegen das Graue an sich. Was aber die dritte Fee gesagt hatte, das verstand er nicht. Er merkte es sich gut und nahm es mit zum Geschichtenerzähler. „Was hat sie damit gemeint?“

Doch der Geschichtenerzähler sagte nur „ach“ und „weh“. „Was hat sie damit gemeint?“ fragte der König darauf seine Königin. Doch die fädelte schweigsam einen neuen grauen Faden in ihre Sticknadel und antwortete nicht. „Was hat sie damit gemeint?“ fragte der König schließlich seinen Hofnarren. „Papperlapapp, wer glaubt denn schon einer Fee, wenn er einen Hofnarren hat!“ schimpfte dieser. Der König bedachte sich einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang, doch wollte ihm keine Antwort einfallen. Wohl freute er sich daran, daß der Glücksstaub das Genörgel und Gemäkle des Hofnarren an allem und jedem erträglicher machte, wohl konnte er mit dem Tüchlein etwas Licht in das Graue bringen, doch all das war nicht von Dauer.

Der Hofnarr machte alles schlecht, nichts war ihm gut genug, nichts konnte man ihm recht machen. Endlich hatte er es geschafft, daß der König, seine Königin, der ganze Hofstaat und alle Untertanen im Land so mißmutig und mürrisch das Weihnachtsfest begingen, daß selbst die Kirchenorgel nur noch knarrte und pfiff, daß es in den Ohren wehtat. Und der Hofnarr sprang vor den Altar und schimpfte laut, daß ein König der etwas auf sich hielt, doch nicht eine solche alte Orgel in seiner Kirche dulden könne. Auch sei die Kirche viel zu kalt und die Kronleuchter zu dunkel, die Kissen auf den Bänken zu dünn und der Pfarrer zu langweilig.

Da wurde es dem König zu viel. Er schlug mit der Faust auf die Kirchenbank, daß es nur so schallte. „Ich will, daß du endlich verschwindest! Und nimm all das Graue mit dir fort!“ Puff, machte es da - gerade als es Mitternacht schlug - und eine giftgrüne schwefelstinkende Wolke stand gerade dort, wo vorher der Hofnarr gewesen. Niemand wußte, wie es sich zutrug, aber der Hofnarr ward von Stund an nicht mehr gesehen.

Der König, seine Königin, der Hofstaat und die Untertanen, sie alle konnten plötzlich die Schönheit der Winternacht sehen, sie hörten das Säuseln des Windes in den Wipfeln der Bäume, sie freuten sich am Schnee, der blütenweiß die Felder bedeckte, und an den Sternen die vom Himmel funkelten. Das Königreich aber, das wurde fortan „Ich will“ genannt, und wenn sie dort nicht alle schon gestorben sind, dann sind sie noch heute glücklich und zufrieden miteinander.                Marieta Hiller