Tympanon des Straßburger Münsters
Kaum ein historischer Beruf ist so geheimnisvoll wie die Steinmetzkunst: eigene Sprache, eigene Zeichen, eigene Figuren, die zu lesen sehr spannend ist - wenn man erfährt, wie es geht. An dieser Kunst ließ uns Dietmar Wolf, seines Zeichens Steinhandwerksgeselle in Straßburg und pädagogischer Ausbildungstrainer im europäischen Bildungszentrum für Steinhand-werksgeschichte UFWG, teilhaben. „Mit Gunst und Erlaubnis“ - so lautet die Eingangsformel im Wanderhandwerk der Steinmetzgesellen. Mit Berufsfremden sprachen sie nur das Nötigste, untereinander hatte die Bruderschaft der Straßburger Steinmetze fest definierte Regelzeichen, ihre Symbole.
So war der Novize, der um Aufnahme in die Bruderschaft bat, das Rindvieh. Als Hase lernte der Lehrling, „wie der Hase läuft“, doch zu sagen hatte er noch nichts: „mein Name ist Hase“. Wird er zum Gesellen, beginnt er mit der ältesten Tätigkeit der Welt: er buckelt nach oben und tritt nach unten. Der Fuchs wird fuchsteufelswild, kann aber auch gut ducken und schmeicheln.
Hat ein Geselle kein Geld mehr, dann sagt man, er sein »auf den Hund geraten«. In solch einem Fall kann er vom Meister oder auf der Herberge um Unterstützungsgelder bitten, welche er in der Regel auch erhält. Denn der Hund, das ist der Meister. Treu den Gesetzen der Natur und Gott, überwacht er alle Arbeiten und die Schar der Hasen und Füchse, ist am Abend hundemüde, fühlt sich dann hundsmiserabel und muß dennoch bei jedem Hundewetter hinaus zur Arbeit. Der Fuchs dagegen ist ein falscher Hund, einer der sich die größte Kompetenz anmaßt. Über Hund, Fuchs, Hase und Rindvieh steht der Affe, der Werkmeister. Er gab Begriffen wie Affenschande, dich sollte der Affe lausen, affenstark, affengeil ihren Inhalt.
Berufsfremde, die kein Handwerk ausübten, wurden als Hornickel bezeichnet, hinzu kamen die „unehrlichen“ Gewerke: Müller, Gerber, Prostitution. Die Steinhandwerksbruderschaften (11.-15. Jh.) grenzen sich gegen die unfreien Maurerzünfte aus weltlichen städtischen Steinhandwerkern ab als Freie-Maurer und Steinmetze, ihr Werkmeister war immer zugleich auch Kleriker. Bauwissen war ein wohlgehütetes Gut, es wurde in der Loggia, der Bauhütte, gelehrt und durfte weder schriftlich noch mündlich an Nichthandwerker weitergegeben werden, Wandergesellen hießen daher „diskret“. Man sprach „kochemer loschen“, die geheime Sprache, die noch heute von Wandergesellen gesprochen wird und aus dem 11. Jahrhundert stammt. Später nimmt diese Sprache Elemente aus dem Jiddischen, Rätoromanischen, Französischen und Intalienischen auf und wird unter anderem auch zum Rotwelsch oder Jenisch der Räuberbanden um 1800. Zinken, Kluft, Stenz, Walz, Beiz, Kohldampf, Penne, Kaff und Hornickel sind solche uralten Begriffe.
Gesellen erhielten keinen Gesellenbrief, sondern ihr persönliches Steinmetzzeichen. In der Freisprechungszeremonie mußte er schwören, alles was man ihm anvertraute bezüglich seines Handwerkes, „als nemlich der steinmetzehaimlichkeit, grueß und schenck sampt anderen was darzue gehörig“ niemals einem anderen zu erzählen oder niederzuschreiben.
Schaut man genau hin, so entdeckt man an den wundervoll ornamentierten Fassaden vieler großer Kirchen besondere Figuren, die sich oftmals hoch oben am Turmgesims oder versteckt in opulenten Tympanons oder Innenfriesen zeigen: Rindvieh, Hase, Fuchs, Hund und Affe. Betrachten Sie die nächste Kirche mal daraufhin, es ist erstaunlich! Nach Abschluß der fünfjährigen Lehrzeit durfte der Steinmetzgeselle ein eigenes Zeichen entwickeln, und diese Zeichen ziehen sich durch ganz Europa. Fast jeder Stein an jeder Kathedrale, jedem Münster, zeigt ein solches Zeichen. Daran läßt sich die Walz, die Wanderschaft des Gesellen termingenau nachvollziehen, denn die Bauzeiten der Gebäude sind dokumentiert. Und wenn Sie jetzt schon die ganze Zeit an Freimaurerlogen denken, dann haben Sie nicht unrecht, denn diese Logen entwickelten sich aus den Loggien, den Bauhütten. Aus der Zeit der Bruderschaften haben sie als ethische Prinzipien die Grundideale Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität übernommen. Kommt Ihnen 1-3 auch bekannt vor?
Freimaurer übten die sogenannte Königliche Kunst aus und verstanden sich daher als ethischen Bund freier Menschen. Ihre Überzeugung besagte, daß man durch ständige Arbeit an sich selbst zu menschlicherem Verhalten kommen kann. Unser Begriff Loge bedeutete im Ursprung Fremdenzimmer.
Noch heute ziehen Wandergesellen auf die Walz, ohne Bankkarte, Handy, Schlüssel, sie unterwerfen sich nur den Regeln ihrer Zunft und bleiben über (2-3) Jahr und Tag außerhalb der Bannmeile ihrer Heimat.
Und noch heute tragen Angehörige der Freimaurerlogen ein Vergißmeinnicht im Knopfloch, als Erinnerung an die Zeit des Dritten Reiches, als die Freimaurer verboten waren und im Untergrund lebten. Hase, Fuchs, Hund und Affe sitzen in Stein gemeißelt auf den Zinnen des Straßburger Münsters und künden von den strengen Regeln der Steinmetzbruderschaft. Etwas abseits ist auch ein steinerner Rindvieh-Kopf zu sehen. Er stellt eines der ursprünglichsten Steinmetzzeichen dar. Unzählige Steinmetzzeichen aus ganz Europa und aus vielen Jahrhunderten sind seit ein paar Monaten auf dem großen Platz im Süden des Münsters zu sehen, und beim nächsten Ausflug nach Straßburg lohnt sich die Ausschau, ob vielleicht auch das moderne Innungszeichen des Steinmetzhandwerks dort zu finden ist. Marieta Hiller - im Februar 2018
Interessanter Ausflugstipp zur Tag-Nacht-Gleiche: 19.-22. März - der grüne Lichtstrahl im Straßburger Münster!
Während der Tag- und Nachtgleiche vom 19.-22. März zeigt sich im Münster zu Straßburg ein interessantes Phänomen: ein grüner Lichtstrahl, durch eines der Hochfenster im Mittelschiff der Kathedralensüdseite fallendes Sonnenlicht, berührt fünf Figuren auf der Nordseite. Um ca. 11.38 Uhr scheint die Sonne im grünen Licht auf Jesus am Kreuz
um 11.40 Uhr auf Johannes den Evangelisten
um 11.43 Uhr auf Simon Petrus mit Schlüssel
um 11.45 Uhr auf Andreas mit Kreuz
um 11.45 Uhr auf einen schlafenden Pilger
Das Sonnenlicht fällt durch das grüne Glas im Fensterbild mit der Ahnenreihe Jesu. Genauer durch den linken Fuß des Judah, Gründungsvater des Israelitischen Volksstamms Judah oder Jehudah. Die angestrahlten Figuren sind auf der spätgotischen Meyger-Kanzel zu sehen. Hans Meyger war vorsitzführender Stuhl-Meister der Bruderschaft der Steinmetzen und Maurer zu Straßburg 1485-1490 und 1510-1519. An den genannten Tagen findet eine Erklärung der Symbolik statt in der deutschen Handwerkssprache Kochemer Loschen. Informationen gibt es beim Europäischen Bildungszentrum für Steinhandwerksgeschichte, 0033-388356398.
Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts...
Warum eigentlich weiß der Hase von nichts? Wenigstens zu Ostern sollte man sich einmal auf diese Frage einlassen.
Die Erklärung ist simpel, auch wenn sie überraschend klingt und kaum jemandem bekannt ist: landläufig glaubt man, daß die Redensart von dem Studenten Victor von Hase stammt, der 1855 einem Freund, der sich duelliert hatte, seinen Ausweis gab, damit er über die Grenze nach Straßburg fliehen konnte. Als die Sache aufflog, wurde Victor von Hase vorgeladen und vernommen. Dabei sagte er "Mein Name ist Hase, ich verneine alle Fragen, ich weiß von nichts". Allerdings findet man in Straßburg noch eine andere Erklärung: auf den Zinnen der Pfeiler sind steinerne Figuren von Hase, Fuchs, Hund und Affe zu sehen. Bei einer Münsterführung unter Steinmetz-Blickwinkel erfährt man, daß diese Figuren eine ganz weltliche Bedeutung haben und keineswegs verborgene religiöse Hintergründe. Handwerks-Kulturführer Dietmar Wolf erklärte, daß es in den Bruderschaften der Wandergesellen, die von Dombauhütte zu Dombauhütte unterwegs waren und dort zusammenarbeiteten, auch ohne daß alle die gleiche Sprache sprachen, eine klare und einheitliche Terminologie gab: die „koschemer Loschen“ - zu deutsch „die kluge Sprache“.