Längst nicht so geschäftig geht es in der Lohmühle zu: ruhig läßt sie die Herbstwinde an sich vorüberziehen, still liegt sie im winterlichen Mondlicht. Die mühevolle Arbeit beginnt hier erst im Frühjahr. Und es ist auch kein Müller, der hier arbeitet, sondern der Gerber. So geruhsam der Winter für ihn ist, so anstrengend wird es im Frühjahr, wenn die Lohe hergestellt werden muß. Der Lohgerber und seine Lohmühle - die beiden sind eng mit dem tiefen Wald verbunden, denn beide brauchen die Rinde der Bäume.
Im Februar und März zogen in früheren Zeiten Kinder, Alte und Erwachsene in die Wälder, um von den dünnen Eichenstämmen im Niederhackwald abgeschälte Rinde ins Dorf zu schleppen. Dort trocknet die geschlissene Eichenrinde erst einmal bis in den frühen Sommer hinein, bevor sie zur Mühle gebracht wurde. Hier wurde sie dann so lange zerkleinert und gewalkt, bis sich Gerbsäure herauslöste.
Der Wald aber war damit nicht zerstört: die Baumstrünke konnten wieder austreiben, man baute auf den abgeholzten und abgebrannten Waldflächen zunächst Roggen, dann Buchweizen an, und danach zeigten sich schon wieder die ersten Stämme, die nach einigen Jahren dick genug zum Räumen waren. Diese alte Form der Waldwirtschaft nannte man Haubergwirtschaft.
Märchen künden uns von uralter Menschenkultur - und Dichter besangen sie
Was aber geschah mit der getrockneten Rinde in der Lohmühle? Nun, etwas sehr Wichtiges, denn seit alters her ist der Mensch im Gegensatz zu den Tieren nicht mit einer wärmenden Hülle ausgestattet, er muß sich mit fremden Häuten und Fellen schützen. Eichenrinde - auch Fichten- oder Kastanienrinde - enthält viel Gerbsäure, und das ist ein wichtiges Mittel um aus Häuten haltbares Leder zu machen. Mit Alaun machten das die Weißgerber, mit Gerbsäure die Rotgerber, mit der Gerbsäure die aus Lohe gewonnenen wurde. Weiß- und Rotgerber waren einst „anrüchige“ Berufe, die draußen vor den Toren der Dörfer und Städte ausgeübt werden mußten. Kurz gesagt: es stank. Und so gibt es noch viele Orte, die Lohmühle heißen - von alters her eine Erinnerung an ausgestorbene Waldberufe. Oft findet man heute dort Ausflugslokale!
Mit der Gerbsäure aus der Lohmühle ließ sich nun Leder gerben, auch Fischernetze, Taue und Segel machte man damit haltbar. Deshalb wurde die Lohe seit dem Mittelalter als wichtiges Handelsgut mit dem sogenannten Stapelrecht belegt. Sie mußte von durchreisenden Händlern in Städten gehandelt werden. Das war also eigentlich kein Marktrecht, sondern eine Marktpflicht.
Die älteste Lohmühle wird bereits 1311 in Siegen beurkundet, 1455 gab es dort eine starke Gerberzunft mit über 30 Mitgliedern, dreißig Jahre später waren es bereits fast fünfzig.
Der berühmte Dichter Hans Sachs reimte im 16. Jahrhundert:
“Die Heuwt die henck ich in den Bach
Werff sie in den Escher darnach
Dargleich die Kalbfel auch also
Darnach wirff ich sie in das Loh
Da sie jr ruhe ein zeit erlangn
Darnach henck ichs auff an die Stangn
Wüsch darnach ab mit einem Harwüsch
Und habs feyl auff dem Leder Tisch”
Eine Lohmühle im Betrieb: vor fast zwanzig Jahren kaufte Familie Hummel ein einsturzgefährdetes Gebäude mit seltsamem Innenleben, einem verfallenen Wasserrad, Resten vom Transmission, Walkfaß und Lederwalze. Mühsam bauten die Hummels das technische Kulturdenkmal wieder auf, zuguter Letzt stellten sie auch die Rindenmühle, das Herzstück einer Lohmühle, wieder auf. Das Museum, inzwischen längst vom Förderverein „Gerbermuseum Lohmühle e.V.“ betreut, gibt seit zehn Jahren Einblick in ein uraltes Handwerk. (Weitere Infos: www.Frickingen.de. Bei Führungen werden die Maschinen natürlich durch das oberschlächtige Wasserrad betrieben, wie es sich für eine ordentliche Mühle gehört.
Ein Wald, in dem sich Hänsel und Gretel wohl nicht verirrt hätten...
Seit der Eisenzeit veränderte der Mensch den Wald weg vom undurchdringlichen Dickicht und hin zum traditionellen Niederwald. In unseren Mittelgebirgen findet man in vielen Regionen der Eifel, des Siegerlandes und des rheinischen Schiefergebirges Lohhecken, Hauberge oder Hackberge. Sie sind eine ganz besondere Waldform, aus der stets auf Holzkohleherstellung - Holzkohle wurde zur Erzverhüttung gebraucht! - und Lohegewinnung geschlossen werden darf.
Hainbuche, Linde, Ahorn, Esche und Hasel, vor allem aber Eiche kultivierten die Alten in der Niederwaldwirtschaft, und später wurde daraus oft die Allmende, die Gemeindeweide. In vielen Märchen liest man über die vielen einsamen Waldberufe, wie sie in früheren Zeiten ausgeübt wurden. Der Schweinehirt mußte des Morgens die Schweine aus den Ställen des Dorfes zusammentreiben und mit ihnen hinauf in die Wälder ziehen, wo es sich die Schweine an Eicheln, Bucheckern und anderen Leckereien gutgehen ließen, währen der Schweinehirt Muße hatte, über dies und das nachzudenken oder in den Tag hinein zu träumen... Sauwohl fühlen sich die Schweine im Hutewald in Basdorf am Edersee auch heute noch, während ihre Artgenossen in hochtechnologischen Ställen ausharren müssen. Früher zogen die Schweine mit ihrem Hirten wochenlang durch die Herbstwälder und taten sich gütlich an Eicheln, bevor sie beim winterlichen Schlachtfest ihr Leben ließen.
Der Hirte - das ar so ein alter Waldberuf. Noch heute zeugen uns Worte wie Hütte von seiner Arbeit, dem Hüten im unergründlichen undurchdringlichen Wald. Kehrte der Hirte nach Hause, so kam er in den Ort - auch das ein altes Wort, das von Hort kommt und eine Umfriedung meint, gerade wie im Garten Eden. Denn auch das Wort Garten kommt von Hort.
So leben in unseren Wörtern noch immer die Erfahrungen der Alten, wie sie in Märchen erzählt werden, weiter. Auch Ortsnamen zeugen noch von der Waldwirtschaft: gerodete Wälder klingen durch in Rodenkirchen, Wernigerode, Rott, Reutlingen und Bayreuth, Rath, Reutte, Ried und Rüti. Namen auf Stock, Stubben, Horst wiederum weisen auf Niederwaldwirtschaft hin, ebenso wie auch Schlag, Hau, Schwende und Schwand.
Wenden wir uns der modernen Welt zu, die ja bekanntlich im 19. Jahrhundert begann, als die erzählten Märchen den gedruckten Nachrichten weichen mußten: Waldgenossenschaften gab es in den Dörfern, die gemeinsam mit Lohe, Brenn- und Kohlholz, Roggenbau und Schweinehutung wirtschafteten: so konnten sie aus einem Hektar Hauberg durchaus innerhalb knapp 20 Jahren gut 800 Mark erwirtschaften und so im Jahr einen Gewinn von knapp dreißig Mark pro Hektar erzielen, und den größten Teil des Geldes erbrachte die Gerblohe. Ein übliches Tagewerk dagegen war 3 Mark wert, ein Lehrer etwa verdiente das Gleiche in zwei Wochen, was ein Haubergbauer in einer Woche bekam. War der Eichenschälwald dann abgeerntet, zogen Kinder, Alte und Erwachsene müde und erschöpft hinunter ins Dorf und gönnten dem Wald eine ganze Generation lang Ruhe: 15 bis 30 Jahre dauerte es, bis er bereit war für die nächste Ernte. Allzu alt ließ man die Bäume nicht werden, damit ihre Rinde nicht trocken wurde. Immerhin brauchte man für 50 kg Leder 200 kg Lohe - ein wichtiges Gut, um Häute zu robusten Schuhen und schützender Kleidung zu verarbeiten. Und vielleicht - irgendwo in einem Wald hinter den sieben Bergen, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, irgendwo dort könnte es sein, daß auch heute noch - wenn es Frühling wird und die Säfte zu steigen beginnen - jemand hinauszieht, um Rinde zu schleißen, und die Lohmühle bekommt tüchtig zu tun.
Marieta Hiller, Mai 2019