Der goldene Boden des Handwerks
Vorzeiten war ein Schneider,der drei Söhne hatte ...
Jeder kennt diese Zeilen: so beginnt das Märchen vom Tischlein-Deck-Dich der Brüder Grimm. Darin geht es um drei Brüder, die jeder ein Handwerk erlernten: ein Schreiner, ein Müller und ein Drechsler wurde aus ihnen. Die Märchen der Brüder Grimm fallen in eine Zeitströmung, in der sich die Weltsicht vom Adel hin zum einfachen Menschen orientierte.
Und dieser mußte zu allen Zeiten sein Brot verdienen, und mit etwas Glück auch noch Butter und Käse dazu. Die Erlebnisse von Handwerksburschen sind eine reiche Fundgrube für Erzählungen. Dies zeigten die Reichelsheimer Märchen- und Sagentage Ende Oktober 2014, die das Handwerk im Märchen zum Thema hatten.
Handwerkermärchen bieten eine gute Möglichkeit zu versteckter Gesellschaftskritik. Ein Handwerksbursche, der sein Ziel nicht erreichte, blieb auf der Landstraße und konnte sich nicht niederlassen, oder er verstarb auf der Walz: von ihm sagt man „er ist auf der Strecke geblieben“.
Zu jener Zeit hatten die Handwerkszünfte noch Bestandsschutz, aber mit der Industrialisierung kam die Gewerbefreiheit, der Bestandsschutz der Zünfte fiel weg. Dies geschah etwa zur gleichen Zeit, als die großen Räuberbanden ihr Ende fanden. Durch diese Entwicklungen wandelte sich der Erzählstoff ins Märchenhafte, das vor langer langer Zeit einmal war, und nicht mehr ist. In spannenden Vorträgen und Märchenerzählungen wurde das Thema bei den Reichelsheimer Sagen- und Märchentagen 2014 von allen Seiten beleuchtet, und das ganze Städtchen war märchenhaft geschmückt mit „bestrickenden“ Motiven.
Der Handwerker - ein Banause??
In der griechischen Mythologie war das Handwerk ein verachteter Berufsstand. Der Handwerker heißt auf griechisch banausos. Der Grund: durch handwerkliche Arbeit werde der Körper der Arbeiter und Aufseher geschädigt, da diese die ganze Zeit sitzen, oder unter einem Dach oder gar vor dem Feuer arbeiten müssen. Ihre Körper werden dadurch verweichlicht, was eigentlich verweiblicht meint, sprich ohne Sonnenbräune. Dies wiederum mache ihre Seele anfälliger für Krankheiten. Zudem bleibe den Handwerkern kaum freie Zeit, um sich um Freunde oder ihre Umgebung zu kümmern, was sie für geselligen Umgang und zur Verteidigung des Vaterlandes gänzlich unbrauchbar mache. Die alten Griechen hatten in einigen besonders kriegstüchtigen Städten ein Gesetz, demzufolge es Bürgern nicht erlaubt war, in handwerklichen Berufen zu arbeiten.
Aber durch die ganze Antike, das Mittelalter und den Feudalismus hindurch mußte das Handwerk doch stetig betrieben werden, denn Tisch und Stuhl, Rad und Messer, Kleidung und Haarputz brauchten sie doch, die vornehmen Herrschaften. Und so werkelte es emsig in den Werkstätten, während in den Stuben die Märchen erzählt wurden. Märchen vom tapferen Schneiderlein, vom Müllersburschen, vom Weber und der Spinnerin und von den sieben Zwergen - sie alle waren zu hören in Reichelsheim an drei märchenhaften Tagen. Lesen Sie auch unseren Buchtipp zum Wildweibchenpreisträger Andreas Steinhöfel!
Lesen Sie zum Thema märchenhaftes Handwerk auch, wie die Menschen früher ihre Stubenwände verzierten, als Tapeten noch etwas für Fürstenhäuser waren.
Unser Buchtipp: die unglaublichen Erlebnisse von Rico und Oskar
Rico und Oskar sind zwei besondere Jungen in Berlin: der eine ist hochbegabt, der andere tiefbegabt. Gemeinsam erleben sie die seltsamsten Dinge. Selten habe ich in den letzten Monaten so herzlich über ein Buch lachen müssen, hier eine Kostprobe zum Beweis für außerirdische Intelligenz:
Rico: Hoffentlich kriegte ich den Satz richtig hin. „Für ein tatsächliches Vorhandensein von extraterrestrischer Intelligenz fehlt nämlich bisher jeder Beweis.“ Ha, erste Güteklasse!
Oskar: "den Beweis gibt es schon längst."
Rico: Verdammt. ... "Na, da bin ich ja mal gespannt."
Wieder Oskar: "der unwiderlegbare Beweis für außerirdische Intelligenz ist daß sie sich bei uns auf der Erde nicht blickenläßt."
Der Autor Andreas Steinhöfel las während der Märchen- und Sagentage Reichelsheim 2014 aus der Rico-Oskar-Trilogie vor und wurde für sein Werk mit dem Wildweibchenpreis geehrt. Dieser Preis wird alljährlich in Reichelsheim an herausragende Jugendbuch-Autoren verliehen. Steinhöfel erzählte auch, wie er ans Kinderbuchschreiben gekommen ist: er hatte sich über ein Kinderbuch so geärgert, daß er dem Verlag einen Brief schrieb. Dieser antwortete schlicht „machs besser“, und Steinhöfel machte es besser. Seine Bücher lesen sich spannend wie Krimis und erheitern auch Erwachsene immer wieder mit überraschenden Einblicken.
Bd. I Rico, Oskar und die Tieferschatten, Bd. II Roco, Oskar und das Herzgebreche, Bd. III Rico, Oskar und der Diebstahlstein, alle drei im Carlsen-Verlag mit Bildern von Peter Schössow, zusammen 22,97 Euro, erhältlich in Ihrem regionalen Buchgeschäft! Viel Spaß beim Schmökern - Marieta Hiller