400 Jahre Schulpflicht und Lehrerdasein
Brensbacher Schulordnung 1609, zu finden im Regionalmuseum Reichelsheim
Der Heimat- und Museumsverein Zotzenbach hat das „Rote Haus“ einladend hergerichtet, und hin und wieder finden hier interessante Vorträge statt. Im April 2018 war Günter Körner zu Gast. Die alte Stube, in etwa so groß wie eine frühere Schulstube, war gut gefüllt mit Zuhörern. Körner, einer der heimatkundlichen Autoren der Geschichtsblätter des Kreises Bergstraße, lebt seit 1975 in Birkenau und hat in seinem Wiki-Eintrag zahlreiche heimatkundliche Einträge zum Schmökern bereitgestellt.
In seinem Vortrag „Über das kärgliche Dasein von Schulmeistern im Weschnitztal im 19. Jahrhundert“ präsentierte er nicht nur Spannendes und Unterhaltsames aus Archivunterlagen, sondern er bewies zudem, daß es durchaus gelingt, nach knapp 45 Jahren Leben im Odenwald in Mundart vorzutragen. So schuf Körner gleich zu Beginn eine gemütliche Atmosphäre für die Zuhörer (die Zuhörerinnen sind hier immer mitgemeint, ihr kennt mich ja liebe Frauinnen), die zum Mitmachen animierte. Einer der Anwesenden ließ das Lied vom Schulmeisterlein hören, ein anderer erzählte die frischest abgestaubten Lehrerwitze. Körners ergiebiges Archivgestöber ergänzt unsere Vorstellungen von der historischen Schulentwicklung anhand konkreter Beispiele von Löhrbach, Nieder-Liebersbach, Unter-Flockenbach und Ober-Abtsteinach.
Schulpflicht: seit dem 16. Jahrhundert ein heißes Eisen
Das Thema Schule begann mit der Reformation. Vorher kamen nur begabte Kinder von Adligen in den Genuß der Schulbildung an elitären Kloster- oder Domschulen, und natürlich fast nur männliche Kinder. Für die Landbevölkerung gab es keine Schule. Martin Luther forderte 1524 die Ratsherren aller Städte deutschen Landes auf, christliche Schulen einzurichten. Aber erst im Zuge der Aufklärung kam es zu einer verordneten Schulpflicht für alle Kinder, was den Bauern nicht besonders gefiel - brauchten sie doch ihre Kinder als Arbeitskräfte in der Feldarbeit. Deshalb wurde die Schulpflicht um die Ferien ergänzt: in den Zeiten für Aussaat, Jäten und Ernten sowie für das herbstliche Verarbeiten der Erzeugnisse wurden die Kinder freigestellt. Die Schulpflicht wurde nur deshalb eingeführt, weil die Rekruten bis dahin körperlich in so schlechter Verfassung waren. Sie mußten als Kinder hart arbeiten.
Die älteste Schule im Überwald (südwestlicher Odenwald) stand in Wald-Michelbach (siehe Artikel von Hans-Günther Morr: Schulhäuser im Überwald, in Geschichtsblätter Kreis Bergstraße Band 50). Hier findet man auch zahlreiche Infos zur wechselnden Geschichte der Überwald-Dörfer - mal Kurpfalz, mal Kurmainz, mal altgläubig, mal reformiert, mal lutherisch. Wann die Dörfer ihre Schulen erbauten, bis schließlich in Wald-Michelbach 1965 die Mittelpunktschule sowie 1971 das Überwald-Gymnasium entstand, erläutert Morr. Dazu sieht man viele Fotos der historischen Schulgebäude und einzelner Schuljahrgänge.
Doch was die Schulpflicht tagtäglich für die Kinder zwischen 6 und 14 Jahren bedeutete, können sich moderne Helikoptereltern kaum vorstellen: die Kinder mußten anfangs von Löhrbach und sogar Unter-Flockenbach nach Mörlenbach zur Schule gehen, das sind rein in der Luftlinie 7-8 km! Als 1658 in Ober-Abtsteinach eine Kirche gebaut wurde, verlegte man auch die Schule dorthin, bis in Löhrbach und Nieder-Liebersbach jeweils eine eigene Schule gebaut wurde.
Die Schule orientierte sich immer an der Konfession, und so wechselten des öfteren auch die Lehrer. Diese kamen blutjung nach 1-2 Jahren Ausbildung von der Präparantenschule in Lindenfels oder Bensheim auf die Dörfer, wo sie in Klassen von 70-80 Kindern im Alter von 6-14 Jahren zu unterrichten hatten. Oft waren die jungen Lehrkräfte nicht imstande, für Ruhe und Aufmerksamkeit zu sorgen, zumal die ältesten Schülerinnen nur gut 5 Jahre jünger als sie selbst waren. Günter Körner liefert hier eine drastische Vorstellung der Zustände in einem historischen Schulsaal: der alte Schulsaal in Löhrbach hatte knapp 60 Quadratmeter bei einer Raumhöhe von 2,20 Metern. Im Winter, wenn geheizt werden mußte, herrschte hier bedrückende Enge und sehr schlechte Luft. Durch die Ritzen im Dielenfußboden zog zudem die Ausdünstung der Ziegen nach oben, die im Winter mit ihrem Hirten im Untergeschoß untergebracht wurden. So wird des öfteren eine kindliche Ohnmacht nicht auf mädchenhafte Schwärmerei für den jungen Lehrer zurückzuführen sein. Gut dokumentiert sind auch Prügel-Exzesse durch Lehrkräfte.
Wie alle Landgemeinden waren auch die Gemeinden Löhrbach, Birkenau, Trösel und Unter-Flockenbach bitterarm, mußten jedoch aufgrund der Schulpflicht Lehrkräfte einstellen. Diese wurden in vier Gehaltsklassen bezahlt. Erst um 1800 übernahm das Land Hessen die Besoldung der Lehrer.
Vorher wurden die Lehrer meist in Naturalien bezahlt: pro Jahr gab es 7 Malter Korn, außerdem Spelz und Frucht, 28 Pfund Wieseheu, Haferstroh, Kartoffeln. Oft gerieten die Bürger in Zahlungsrückstand, und der Lehrer versuchte sein dürftiges Auskommen durch Zeichenunterricht zu stützen. Günter Körner weiß von einigen Lehrern, daß sie nebenher als Gerichtsschreiber, Nagelschmied oder Theatertänzer arbeiteten. Ab 1840 begann man in Löhrbach ein neues Schulhaus zu bauen, und die Bedingungen gleichen den modernen: der Kostenvoranschlag belief sich auf 3000 Mark, die Endkosten auf 20.000 Mark, so daß der Gemeindewald zur Begleichung herangezogen werden mußte.
Für 1825 ist dokumentiert, daß Lehrer Wetter jährlich 10 Gulden mehr erhielt, doch mußte er dafür mit den Schülern die Beerdigungen in Ober-Abtsteinach mitgestalten.
10 Gulden pro Jahr mehr: das entspricht etwa 130 Euro, man bekam damals dafür 1/6 Kuh. Das Ruhegehalt von 140 Gulden jährlich war viel zu gering für ein Auskommen, und die Lehrerwohnung war sehr klein und feucht.
Später baute man in Löhrbach zwei neue Schulsäle zu je 50 Quadratmetern, was zu einer spürbaren Entspannung der Lernsituation führte. Aber, was man nicht bedacht hatte: nun brauchte man auch zwei Lehrer. Darauf bestand das großherzogliche Ministerium, wenn es auch einen Zuschuß zum 2. Lehrer gewährte.
Im 19. Jahrhundert wurden die Schulen überprüft, dies nahm meist der Pfarrer vor. Auch die Schüler wurden zweimal jährlich geprüft.
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Marieta Hiller, im April 2018