Für den Begriff "ethnische Säuberung" entschuldige ich mich gleich, er ist unangemessen.
Er bedeutete und bedeutet für unzählige Menschen Folter und Tod. Doch "political correctness" bedeutet für mich nicht "Schere im Kopf". Und so empfinde ich es als unerträglich, wenn Menschen auf die Idee kommen, in Kinderbüchern historisch entstandene Begriffe wie "Negerlein" durch andere zu ersetzen.
Otfried Preussler (geboren am 20. Oktober 1923 in Reichenberg, Nordböhmen, "Der kleine Wassermann", "Der Räuber Hotzenplotz", "Krabat", "Das kleine Gespenst" und "Die kleine Hexe") ist einer der wichtigsten Kinderbuchautoren der Zeit .....
Wie können wir sozusagen posthum von ihm verlangen, sein Wort "Negerlein" zu ersetzen, und wodurch? Wer darf das entscheiden?
Das sagt viel über unser Literaturverständnis aus: ist Literatur für uns nur schmückendes Beiwerk, das nicht nur aus einem Modegeschmack heraus entsteht, sondern auch jederzeit dem aktuellen Meinungsbild angepaßt werden darf?
Kürzen wir als nächstes auch Thomas Manns seitenfüllende Sätze auf ein lapidares "mir is' schlecht." oder Schillers Glocke auf ein SMS-taugliches "Bald schlägts 13!"
Und Frauenrechtlerinnen könnten fordern, daß das debile Grinsen der Mona Lisa endlich mit einem intelligenten Lächeln übermalt wird. Weitere böse Beispiele aus einer bösen Zeit möchte ich mir hier ersparen.
Apropos böse Zeit: der Begriff "Negerlein" entstammt leider nicht einem Kinderbuch, sondern war bei uns Sprachgebrauch, geboren aus einer Selbstherrlichkeit und Überheblichkeit über andere Volksgruppen, und Herrenmenschen waren wir nicht nur zwischen 1933 und 1945. Wir führen uns aktuell seit der Entdeckung Amerikas als diese auf und wir tun es auch noch heute: Rohstoff-Raubbau in Entwicklungsländern, Rinderfutter für Hamburger statt Regenwald, Seltene Erden statt seltener Naturparadiese, Bananen aus Chile und Erdbeeren aus Südafrika, BIO-Gemüse aus Spanien - die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Wir ändern auch nie etwas an den Fakten, aber die Bezeichnung dafür sollte dann schon political correct sein...
Literatur dagegen ist etwas Amüsantes, Weiches, Anpassungsfähiges, das wir uns zum Ausgleich für diese harten Wahrheiten gönnen. Für mich hat Literatur jedoch zwei wichtige Eigenschaften, die dabei verkannt werden: Erstens stellt sie einen Spiegel historischer Momente dar und lehrt uns so, wie unsere Vorfahren (auch die von vor 70 Jahren) gedacht und empfunden haben, warum bestimmte Aspekte des Lebens anders und vor allem wie bewertet wurden.
Sie gibt uns einen kurzweiligeren Überblick über unsere eigene geschichtliche Entwicklung als das jeder Schulunterricht tut. Sie fordert aber auch etwas dafür: wir müssen darüber nachdenken, und dann müssen wir darüber reden.
Denn das ist die zweite wichtige Eigenschaft: durch das Reden über Gelesenes sortieren wir es richtig ein, wir finden unsere historische und unsere aktuelle Identität. Wir erkennen Entwicklungen in sozialen Fragen, reflektieren das Vergangene und lernen so (vielleicht) für das Kommende. Rezeptionsästhetik nennt sich die betreffende Wissenschaft, und damit kommen wir auch gleich zur Quantenphysik: denn neuerdings beeinflußt ja bekanntlich der Betrachter das Objekt.
Für uns ist es unerträglich über "Negerlein" zu lesen, und schon müssen sie zensiert werden. Alles zum Schutz unserer Kinder, die mit solchen Begriffen nicht umgehen können. Schützen wir unsere Kinder auch davor, wilde Game-Monster niederzuballern? Sind nicht vielleicht die wilden Monster von heute schützenswerte Ethnien zukünftiger Zeiten?
Mal ehrlich: wir wollen nicht unsere Kinder vor bösen Wörtern schützen. Wir wollen uns davor schützen, mit ihnen über Gelesenes zu reden, denn das ist unbequem. Aber es hat auch niemand gesagt, daß kulturelle Identität bequem sein soll. Marieta Hiller, Januar 2013