Ein Zauberglanz in ihren Augen...

Wer kennt es noch: das Gefühl, wenn die Nase an der Schaufensterscheibe festgefroren scheint, weil man so lange, lange hineingeschaut hat in all die Herrlichkeit! Puppen mit Schlafaugen und seidiger Haarpracht, Sternenflitter und Kerzenschimmer, rauchende Schornsteine auf winzigen Häuschen, an denen eine Eisenbahn mit Dampflokomotive vorbeirattert! Drücken wir - und unsere Kinder - uns heute noch Nasen platt an Computerbildschirmen? Stehen wir mit zu Eis gefrorenen Händen und Füßen da und schauen, stundenlang?

Längst ist all die Spielzeugpracht nicht mehr unerreichbar, versperrt durch eine große kalte Glasscheibe, hinter einer Tür, an der wohl ein klingendes Glöckchen erklingt, aber auch eine gestrenge ältere Dame dafür sorgt, daß wir nichts anfassen...

Längst können wir alles auf Knopfdruck bekommen, bequem per Internet bestellen und zahlen. Aber ist es damit auch noch so unvergleichlich erstrebenswert?

Fiebern wir heute noch so hin auf das Fest der Feste, auf Weihnachten, wenn all unsere Wünsche in Erfüllung gehen könnten? Meist taten sie es nicht. Glücklich waren wir, wenn auch nur einer unserer Herzenswünsche erfüllt wurde, und nicht nur Socken und Schulhefte unter dem Weihnachtsbaum lagen.

Verheißungsvoll schien uns früher Sternenglanz, Glockenklang und Kerzenschein - Zeichen einer ganz besonderen Zeit, der Zeit des Wünschens.

Schenken war noch etwas sehr Durchdachtes: zunächst mußten unsere geheimsten Wünsche ja erforscht werden! Dann galt es, heimlich heimlich genau das Richtige zu finden, es zu erstehen - was oftmals schon das größte Hindernis war, denn soviel Geld wir heute haben, hatten die Leute früher nicht - es nach Hause zu bringen und gut zu verstecken; so daß unser Geschenk wirklich bis zum Abend der Bescherung ein Geheimnis, eine Überraschung blieb! Und was konnte uns ein schönerer Lohn sein als der Zauberglanz in ihren Augen, wenn sie unsere liebevoll verpackten Geschenke auswickelten...

Wir können ihn uns nicht zurückholen, diesen Zauberglanz - kein Internetshop der ganzen WWWelt kann das. Aber wir können ihn in unserer Erinnerung behalten, können Bilder heraufbeschwören. Bilder vom strahlenden Weihnachtszimmer, das Glöckchen, das uns beim Abendessen - so überraschend! - ruft, der Sturm auf die Tür, jeder will zuerst den Baum sehen, den Baum! Und dann Sturm auf die Geschenke, Papierrascheln, versunkenes Betrachten.

Ein Abglanz jener glücklichen Zeiten erscheint uns vielleicht in den verwinkelten Gassen einer ganz besonderen mittelalterlichen Kleinstadt mitten in Deutschland: in Rothenburg ob der Tauber. Denn hier ist ganzjährig Weihnachten, in vielen Geschäften finden Weihnachtsbesessene hier, was das Herz begehrt. Christbaumschmuck, mundgeblasene und handbemalte Kugeln, Lauschaer Glasvögelchen, die guten alten Wachskerzen, erzgebirgische Räuchermännlein, gold- und silbernglimmernde Feen, aber auch Weihnachtsgurken! Skurril ist es, das Weihnachtsdorf - wie Rothenberg ob der Tauber auch spöttisch genannt wird. Skurril, mitten im Sommer geschmückte Christbäume zu sehen, Schaufenster voller Schlitten im Kunstschnee, fast fürchtet man, daß es nach Bratäpfeln und Glühwein riecht, kommt man um die nächste Gassenecke.

Doch nirgends läßt es sich besser in Erinnerungen an die Kindheit schwelgen, als hier in einem Straßencafé im August, und wenn auch die Räuchermännlein qualmen auf Teufel komm raus!

Wem all das Weihnachtsgeglitzer zu bunt wird, der kann trotzdem durch die Gassen streifen, um schiefe Sandsteinhausecken spähen, durch weinbehangene Torbögen schreiten, vergessene Winkel und liebevolle Türeingänge entdecken. Vielleicht stößt man dabei ja auf das Kriminalmuseum, das einzige Rechtskundemuseum in ganz Europa. Gruselig wird einem hier ums Herz beim Betrachten all der Züchtigungsmethoden in den Kellergewölben, die Todesstrafe mag manchem da gnädig erscheinen. Auf Holzschnitten und Kupferstichen sind alte Kriminalfälle dargestellt, es gibt eine Abteilung für Hexenverfolgung und Hexerei, Darstellungen von Gerichtsverfahren, Folter und Strafvollzug in früheren Zeiten. Wie man als unbescholtener Bürger in Rothenburg lebte, das läßt sich im Alt-Rothenburger Handwerkerhaus im Stadtgraben 26 entdecken, und wie es im Dreißigjährigen Krieg zuging, soweit es damals noch jemanden gab, der es berichten konnte, sieht man im Historiengewölbe mit Staatsverlies.

Doch zurück zur Welt des Zauberglanzes: es gibt in Rothenburg auch ein Puppen- und Spielzeugmuseum, wo die Welt im Kleinformat auf Besucher wartet. Über 800 Puppen gibt es hier, eine jede ein  Abbild ihrer sozialen und kulturellen Welt. In zwei Häusern aus dem 15. bzw. aus dem 17. Jahrhundert sind Puppenstuben, Puppenschulen, Kaufläden, Eisenbahnen und Blechspielzeug zu sehen.

Wer weiß, vielleicht bringt ein Ausflug ins Taubertal und in das mittelalterliche Städtchen Rothenburg uns ein Stück heile Welt zurück, zumindest aber können wir uns für eine kurze Zeit vorstellen, daß es sie einmal gegeben haben muß...

Marieta Hiller

Weitere Infos:

www.rothenburg.de

www.spielzeugmuseum.rothenburg.de

www.kriminalmuseum.rothenburg.de

www.weihnachtsmuseum.de

wohlfahrt.com/76-0-weihnachtsstadt_rothenburg

www.alt-rothenburger-handwerkerhaus.de