Anachronismus: das Telefonbuch
Man sieht sie kaum noch im öffentlichen Bereich: Telefonbücher aus Papier. Würde der Herausgeber die DSGVO ernst nehmen, müßten alle privaten Einträge geschwärzt sein - aber das möchte nun auch wieder niemand...
Das Foto entstand im Sammlungsdepot des Museums für Kommunikation Frankfurt, Außenstelle Heusenstamm. Das Depot öffnet alljährlich am internationalen Museumstag im Mai inklusive ausgiebiger Führungen. Weitere (kürzere) Führungen finden jeweils am ersten Freitag im Monat statt. Infos: https://www.mfk-frankfurt.de/
Der Wert eines Telefonbuches: eine repräsentative Sammlung an Familiennamen
Telefonzellen gibt es ja nicht mehr, also auch keine Telefonbücher mit herausgerissenen oder vollgekritzelten Seiten.
Seit die Deutsche Telekom keine Monopolstellung für Telefonanschlüsse mehr hat und seit immer mehr Menschen gar keinen Festnetzanschluß mehr haben, verlieren wir ein mächtiges Kulturgut: das Telefonbuch.
Und so machten sich Wissenschaftler im Jahr 2005 daran, diesen Schatz zu konservieren. Am 30. Juli 2005 gab es über 28 Millionen private Telefon-Festnetzanschlüsse in Deutschland, die auch fast alle in Telefonbüchern verzeichnet waren, das waren 92% aller Haushalte. Dies bildete die Datengrundlage für den großen Familiennamenatlas der Deutschen Forschungsgemeinshaft der Universitäten Freiburg und Mainz. Der Atlas umfaßt sieben Bände mit 60.000 Familiennamen, mit unterschiedlichen Schreibweisen und Verbreitung, erschienen 2022. Für den privaten Gebrauch wurde dieses Jahr ein Kleiner Familiennamenatlas mit "nur" 730 Seiten herausgegeben. Damaris Nübling (Johannes Gutenberg Universität Mainz) und Konrad Kunze (Albert Ludwigs Universität Freiburg) verfolgen darin die Entwicklung der Familiennamen seit der Zeit ihrer Entstehung im 12. Jahrhundert.
Als immer mehr Menschen ihre Dörfer verließen und sich in Städten niederließen, wurde für die Verwaltung eine genauere Unterscheidung erforderlich. Frankfurt hatte um 1400 bereits 20.000 Einwohner. 1312 lebten hier noch 66% der Menschen mit einem Namen, dem Vornamen. 1351 hatten bereits 66% der Einwohner auch einen Familiennamen. Anfangs bekamen die unzähligen Bertold, Gerhard, Eckhard, Hildegard, Gerlinde oder Hildebrand Beinamen, oft aus persönlichen Charakteristika wie "Strubbel" oder "Schwarz", oft aber aus der Berufsbezeichnung: Schneider, Zimmermann, Meier (Meyer, Maier, Mayer) - und vor allem Müller. Auch Herkunft oder Wohnort konnte den Familiennamen bilden. So nannten sich Menschen beispielsweise Kunibert von Erlangen (fiktiver Name). Das "von" wurde später vom Adel requiriert: ab dem 17. Jahrhundert war ein "von" ein Adliger. Der Adel erhielt bereits Ende des 10. Jahrhunderts Familiennamen, auch Ministeriale und Patrizier. Später erst folgten Bürger und Bauern. Erst 1874 mit Einführung der Standesämter sind alle Einwohner mit Vor- und Familiennamen verzeichnet, und ab dem 1. Januar 1900 trat das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft und schrieb die Namensschreibung fest. Seitdem kann man Änderungen nur noch auf dem Rechtsweg erlangen. Bereits die Regelung von 1900 sorgte übrigens für eine Verarmung an Namen, da die Ehefrauen den Namen des Mannes annehmen mußten.
Viele Namensschreibweisen sind regional begründet, die Grenzen der Dialekte stimmen weitgehend damit überein.
Viel viel mehr steckt im Kleinen Familiennamenatlas, und Sie werden darüber im Oktober in meinem Jahrbuch 2023 lesen können - oder Sie kaufen sich das Werk selbst, aber bitte im örtlichen Buchhandel: ISBN 978-3-11-018626-0, 49,95 Euro. Weitere Infos: https://www.namenforschung.net/dfa/projekt.html
Nachrichtenzustellung früher und heute
Heute meinen viele, die wichtigsten Neuigkeiten kommen über social media. Die Verbreitung hat sich technisch so stark vereinfacht, daß alles, wirklich alles, als Nachricht erscheint. Im Gegensatz zu früheren Zeiten werden die Nachrichten auf eine ganz andere Art und Weise gefiltert: nämlich "was könnte dich interessieren" und nicht "was darf bekannt werden". Was früher eine staatliche Hoheitsaufgabe war, erledigen heute Algorithmen, künstliche Intelligenz.
Als während der französischen Revolution (1789 bis 1799) zahlreiche Angehörige der Adelshäuser ermordet wurden, schlossen sich die Monarchien der anderen Länder zusammen, um mit Frankreich einen Krieg zu beginnen. Napoleon schuf daraufhin landesweite Strukturen zur Nachrichtenübermittlung: über zentrale Semaphorenlinien konnte so schnell über militärische Vorgänge informiert werden. Es gab einen Zeichenkatalog, jedes Zeichen war eine semiotische Einheit, z.B. „Truppenbewegung östlich“. Die Semaphoren standen in Abständen, die durch die Erdkrümmung begrenzt werden: in 10 Meter Höhe kann man max. 12 km weit sehen. Eine weitere Voraussetzung für diese Form der Nachrichtenübermittlung war die Entwicklung des Fernglases.
Bei einer Führung im Sammlungsdepot Heusenstamm des Museums für Kommunikation in Frankfurt konnte ich zwei Semaphorenmodelle betrachten, Fotos aus der Sammlung finden Sie auf dblt.de Suchwort Kommunikation. Dort finden Sie auch spannende Infos zur Nachrichtenübermittlung von den römischen Lärmfeuern über reitende Boten bis zu Telex, Fax und der eigentlich unzulänglichen voice-over-IP-Telefonie (früher war halt alles besser...). Interessant auch: Telex over internet - "real communication makes noise". Die Hobbytechniker der Sammlung haben sich einen Spaß gemacht und im open-source-Fernschreibnetz mittels Internet mitgearbeitet. Mit lautem Geratter kommen die digital übermittelten Nachrichten im "Ticker" an. Infos: www.i-telex.net. open source bedeutet, daß viele Menschen an einem Programm arbeiten ohne kommerziellen Hintergrund.
Infos: https://www.mfk-frankfurt.de/ und https://sammlungen.museumsstiftung.de/
Lesetipp / Film-Tipp:
Terry Pratchett "Ab die Post" - der begnadete und leider viel zu früh verstorbene Fantasyautor hat hier in seinem Karikatur-Universum von Ankh-Morpork den Aspekt der Nachrichtenübermittlung geschildert.
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