Märchenzauber und Fachwerkidylle: Spurensuche auf der Deutschen Märchenstraße
Es waren einmal zwei Brüder: Jacob und Wilhelm Grimm, redliche Söhne aus einer frommen Familie zu Hanau. Mit ihnen lebten im Haus ihrer Eltern noch fünf Geschwister, drei kleine Geschwisterlein mußten ihre Eltern schon als Säuglinge zu Grabe tragen. Jacob und Wilhelm aber gediehen und lernten viel in ihrer Jugend zu Steinau an der Straße, wo ihr Vater sich als Amtmann verdungen hatte. Bald trieb es die beiden Jünglinge aber hinaus in die Welt, und auf ihren Reisen sammelten sie Wörter - ernsthafte Wörter für ein Wörterbuch, und märchenhafte Wörter aus alten Volkserzählungen.
Wo immer ihnen eine Sage oder Legende begegnete, öffneten sie ihre Ohren, spitzten ihre Schreibfedern und notierten alles getreulich....
So könnte es klingen, so könnte die Deutsche Märchenstraße sprechen. Doch Straßen sprechen nicht - zumindest nicht in Worten - wer ihre Sprache aber versteht, der wird reich belohnt werden.
Von Hanau, dem Anfangspunkt der Gebrüder Grimm wie auch der Märchenstraße, von Hanau also mit seinen Märchenfestspielen führt uns die Straße schnurstracks nach Steinau an der Straße, wo es ein Gebrüder-Grimm-Haus gibt, und weiter nach Schlüchtern mit seinem Bergwinkelmuseum. Weiter geht es durch idyllische Fachwerkstädtchen nach Alsfeld, dem Tor zum Rotkäppchenland.
In Marburg, der alten Universitätsstadt, wird es kurz hochwissenschaftlich - denn just an diesem Orte begannen die beiden Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit ihrer Wörtersuche.
Im Knüllwald schließlich - mitten im Herzen des Rotkäppchenlandes - begegnen uns Wolf und Bär im Wildpark Knüll. Was die beiden wohl alles zu erzählen wüßten, könnten sie denn sprechen?
Brüderchen und Schwesterchen erwarten uns in Homberg an der Efze auf dem romantischen Brunnen am Marktplatz, und weiter führt uns unsere märchenhafte Reise nach Bad Wildungen, zum Schneewittchen, der Sage nach die Schwester des Grafen Samuel zu Waldeck vor fast 500 Jahren als Halbwaise über die sieben Berge an den Hof zu Brüssel kam, woselbst sie bei einer Hofintrige vergiftet wurde. Die sieben Zwerge aber lebten bei einem Kupferbergwerk in Bergfreiheit ganz in der Nähe...
Doch wir müssen weiter: nach Kassel, der Hauptstadt der Märchenstraße, woselbst es den Brüdern Jacob und Wilhelm gefiel, ihre gesammelten Volksmärchen zu bearbeiten und als Märchenbuch mit “Kinder- und Hausmärchen” zu verbreiten.
Nun aber sollten wir uns gen Süden wenden und in einer Schleife das Städtchen Hessisch Lichtenau besuchen, denn hier gehen wir geradewegs durch das Tor zum Frau Holle - Land, wo Goldmarie und Pechmarie am Brunnen sitzen und Frau Holle an ihrem Teich am Fuße des Hohen Meißners regiert.
In Witzenhausen endlich könnte Goldmarie ihre Kunst erlernt haben, das Brot aus dem Ofen zu ziehen und den Apfelbaum zu schütteln, denn hier in der kleinsten Universitätsstadt in Deutschland wird noch heute Ökologische Agrarwissenschaften gelehrt.
Nun aber müssen wir doch zurück nach Kassel, denn die Märchenstraße treibt hier ihre Späße mit uns. Sie teilt sich und führt den Wörterjäger auf einer östlichen und einer westlichen Route weiter, bis sie sich bei Fürstenberg an der Weser erneut vereint. Wir aber würden das Beste versäumen, gingen wir nicht zurück, um vorwärts zu kommen. Vorbei am Doktor Eisenbart in Hannoversch Münden treffen wir in Immenhausen den Hans im Glück und gelangen endlich zu Dornröschens Schloß, der Sababurg.
Auch den Turm, worinnen Rapunzel einst sein Haar herunterließ, passieren wir zu Trendelburg. Der gestiefelte Kater begegnet uns in Oberweser, auch vom Schneewittchen hört man hier oft reden. Um Aschenputtel geht es endlich in Polle, doch was man uns Bodenwerder berichtet, das glauben wir nicht ganz. Denn hier war der Baron Münchhausen beheimatet.
So wandern wir sogleich nach Hameln, sind jedoch auf der Hut vor dem berühmten Rattenfänger, der seinen gerechten Lohn nicht bekam.
Ein gutes Stück Wegs gen Norden gelangen wir nach Bremen, allwo die Bremer Stadtmusikanten ihr schauerliches Konzert geben.
Kommen wir nach Buxtehude, so treffen wir als Erstes den abgehetzten Hasen, und als Zweites den Igel - oder ist es seine Frau? - die allezeit schon da sind.
Nun aber verlassen wir die Brüder Jacob und Wilhelm, die inzwischen zu Ehrendoctores wurden, auf daß sie ungestört ihrer Wörterjagd weiter frönen können, und vertiefen uns in die Kinder- und Hausmärchen...
Die ARD bringt die funkelnde Welt der Märchen mitten in unsere Wohnzimmer - und in unsere Herzen
Die Jugend für eine Nachtigall - das ist der Preis, den Joringel für seine Jorinde zahlen muß, mit einer blutroten Blume mit einer Perle in der Mitte. Das anrührende Märchen zweier Liebender, die nur nach unvorstellbaren Schwierigkeiten zueinander finden konnten, wird in der neuen Märchenstaffel der ARD aus dem Jahr 2011 erzählt. Vier neue Märchen wurden an Weihnachten 2011 ausgestrahlt: Die Sterntaler, die zertanzten Schuhe, Aschenputtel und Jorinde und Joringel - mit prominenten deutschen Schauspielern und gedreht an märchenhaften Orten: im Schloßpark Petzow, auf Burg Querfurt und auf Burg Falkenstein, im Freilichtmuseum Detmold und auf Schloss Anholt und in der Reichsburg Cochem - Orte, die schon ganz allein zum Träumen verführen.
Katja Flint, Uwe Kockisch, Dieter Hallervorden, Inez Bjørg David, Barbara Auer, Harald Krassnitzer, Rufus Beck und Meira Durand standen im Laufe dieses Jahres an solch märchenhaften Drehorten vor der Kamera, um sich wie durch Magie in mächtige Zauberer, in unbeholfene Könige, eitle Kammerzofen, liebende Turteltäubchen, schneidige Jäger und intrigante Hofmeister zu verwandeln - und um uns durch ebendiese Magie zu verzaubern. Und immer führen sie uns hindurch durch einen tiefen verwunschenen Wald, hinauf auf eine verfallene Burg voller Geheimnisse, hinein in ein Schloß voller traumhafter Kostbarkeiten.
Der Schloßpark Petzow, ein architektonisches und landschaftliches Gesamtkunstwerk und mit 15 Hektar ein gewaltiges Werk im Umfeld der Potsdamer Herrlichkeiten, geschaffen im 19. Jahrhundert von Peter Joseph Lenné, nimmt uns mit zu Jorinde und Joringel, wie sie durch die Landschaften unserer Seele eilen, wo die Nachtigall ihr klagendes Lied singt:
„Mein Vöglein mit dem Ringlein rot singt Leide, Leide, Leide:
es singt dem Täubelein seinen Tod, singt Leide, Lei – zicküth, zicküth, zicküth.“
Hier und in der Stiftung Kloster und Kaiserpfalz Memleben, wo Kaiser Otto der Große starb, und in Burg Querfurt, die siebenmal so groß wie die Wartburg ist, bringt der rbb das Märchen von den beiden Liebenden zur vollen Geltung. Auch der MDR drehte auf Burg Querfurt und in den Kirschengärten ringsum und auf der Rudelsburg mit ihrem weiten Blick über das Land der Saale. Zwölf Töchter, die allnächtlich ihre Schuhe zertanzen, bereiten dem König Kopfschmerzen. Wesentlich weniger Töchter mit oder ohne zertanzte Schuhe bereiten uns modernen Menschen schon genügend Kopfweh, doch Dieter Hallerforden als König Karl hat sich im Märchen einer unvergleichlich schwereren Aufgabe zu stellen. Gut, daß er sich beim Regieren auf würdige Burgmauern und mächtige Türme verlassen kann...
Barbara Auer, die böse Stiefmutter mit ihrer Tochter Annabella (Pheline Roggan) machen Aschenputtel (Aylin Tezel) im Freilichtmuseum Detmold mit seinen Gänsen und Schweinen, aber auch auf dem prachtvollen Schloß Anholt das Leben schwer. Doch wie sagte die verstorbene Mutter stets: „Man darf nur nie den Mut verlieren“ - und so läßt sich Aschenputtel für den WDR geduldig piesacken und schikanieren. Alle wissen - Kinder wie Erwachsene: alles fügt sich. Und Aschenputtel wird die Herzensprinzessin des jungen Jägers. Ein gutes Herz ist auch das höchste Gut, das Mina sein eigen nennen kann. Bald wird das gute Herz das einzige Gut sein, daß ihr noch bleibt: Meira Durand als Mina zieht hinaus in die Welt, um ihre Eltern zu suchen. Dabei trifft sie, die doch schon so gut wie gar nichts hat, allerorten auf Armut und Elend. Sie hilft, wo sie nur kann. Wieder spielt ein tiefer undurchdringlicher Wald eine wichtige Rolle, und hier blinkt ein ganz besonderer Stern für Mina... Die Sterntaler beginnen zu fallen.
Die Waldlandschaften Baden-Württembergs und die tief in die Rheinland-Pfälzischen Wälder hineingeschmiegte Reichsburg Cochem nehmen Mina und ihre Märchengesellen auf, und der SWR sorgt dafür, daß das arme Kind nicht auch noch sein letztes Hemd herschenken muß. Tauchen wir also ein in die märchenhafte Winterwelt, wenn draußen die ungemütlichen Tage anbrechen und es zuhause im warmen Stübchen um so wohliger ist: mit vier neuen exzellenten Märchenfilmen wird uns sicher nicht langweilig werden...
Marieta Hiller