Ein Kommentar...

Eine 18-jährige Schülerin erklärt uns, wie brisant die Klimakrise ist: Hannah Ferber mit dem Thema "Ist die Klimakrise eine individuelle Krise?"

  • Temperaturanstieg seit 1881: 1,6 Grad
  • Meeresspiegel Cuxhaven seit 1843 um 42cm gestiegen
  • Vegetation ist heute drei Wochen früher dran als 1961
  • Starkregen und Winterniederschläge nehmen zu, Schneetage nehmen ab
  • Bis 2050 wird mit bis zu 5 Mrd. Klimaflüchtlingen aus dem globalen Süden (zu dem Australien / Neuseeland nicht mitgezählt wird) gerechnet
  • Der Meeresspiegel stieg in den letzten 100 Jahren um 17cm
  • Jährlich sterben 20-25.000 Tierarten aus - lesen Sie dazu auch: Fast 160 Tierarten sterben täglich aus... aus dem Jahr 2018
  • Hitzetote nehmen zu, denn alte Menschen trinken nicht genug - demographischer Wandel

Wir Älteren wissen das alles schon seit 50 Jahren, seit der Bericht des Club of Rome "Grenzen des Wachstums" veröffentlicht wurde. Bereits damals wurde gesagt, daß wir genau jetzt vor genau den aktuellen Problemen stehen würden. Geschehen ist jedoch sehr wenig in diesen 50 Jahren. Infos über den Bericht finden Sie hier: https://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0073_gwa&object=pdf oder ausführlich auch bei Wikipedia mit Literaturhinweisen

Das liegt vor allem daran, daß niemand ein wirkliches Interesse daran hat, Veränderungen für etwas so Unattraktives wie Klima herbeizuführen. Das Interesse der Wirtschaft gilt der Gewinnmaximierung. Das Interesse der Politik gilt den nächsten vier bis fünf Jahren. Das Interesse der Verbraucher gilt dem Verbrauchen. So könnte man es ganz grob auf einen Punkt bringen.

Die Politik müßte auf die Wirtschaft einwirken, müßte ihr klare Richtlinien für umweltfreundliches Agieren vorgeben. Doch wie soll das funktionieren? Der Vorteil unserer Demokratie ist, daß die langfristige Verfestigung von Machtstrukturen vermieden wird, weil alle vier Jahre neu gewählt wird. Damit werden Personalien und Parlamentzusammensetzung jedesmal neu gemischt. Der Nachteil ist, daß kaum ein Politiker Weitblick entwickelt - wofür auch? Das Problem liegt nicht einmal darin, daß Politiker durch die Wirtschaft beeinflußt werden können (um das böse Wort Korruption zu vermeiden). Das Problem liegt in der wichtigsten Eigenschaft unserer Demokratie selbst, auf die niemand verzichten will. Schließlich leben wir in einer der besten Demokratien weltweit.

Und so müssen wir Älteren uns trösten lassen von Hannah Ferber, Schülerin und Fridays for future Aktivistin. Bei der aktuellen Klimadiskussion gehe es viel auch um Schuld: Schuldgefühle und Schuldzuweisungen führen zu einem Ohnmachtsgefühl und zu Überforderung. Hinzu kommt die Angst vor Ökodiktatur - und schon wird die Beschäftigung mit der gesamten Thematik gerne abgelehnt. Also gar nichts falsch gemacht???!

Warum sagt Hannah Ferber, daß die Klimakrise eine individuelle Krise ist?

Das ist eine Frage der Allmende: mit Allmende wird das Gemeineigentum bezeichnet, also all das, was niemandem gehört. Die Atmosphäre etwa, die Weltmeere, die Böden. Dazu fallen zwei Dinge sofort ins Auge: alle drei sind wichtige CO2-Senken, und für alle drei fühlt sich niemand verantwortlich, weil es niemandem gehört.

Die daraus entstehenden Probleme und Kosten gehen voll zu Lasten des globalen Südens. Verursacher der Probleme und Kosten ist jedoch der globale Norden (mit Australien / Neuseeland). 1% der Bevölkerung hat in der Zeit von 1990 bis 2015 (also innerhalb einer Generation!) mehr als doppelt so viel CO2 ausgestoßen als der Rest der Weltbevölkerung (Oxfam-Studie). Der größte Anteil an Privatvermögen liegt in Nordamerika und Europa - Sie können selbst sehen ob Sie dazugehören: https://howrichami.givingwhatwecan.org/how-rich-am-i der Reichtumsmesser. Schnell mal eingeben, wo man lebt und was man im Jahr verdient, und schon sieht man: es gibt 3-5 % reichere Menschen auf der Welt und 95-97 % ärmere. Natürlich ist das viel zu plakativ. Aber es hilft den eigenen Platz zu umschreiben. Und es zeigt, daß es einzelne Verursacher sind, die zur Klimakrise beitragen: von den 100 größten Weltkonzernen kommen 70% des CO2-Ausstoßes.

Also zurück zum Anfangsproblem: wer kann auf die Wirtschaft einwirken und wie? Indem man sich auf Straßen festklebt, an Kunstwerken, an Flughäfen? Da ist die öffentliche Meinung schnell fertig: das sind Chaoten. Nicht ohne Grund wurde "Klimaterrorist" zum Unwort des Jahres 2022. Die letzte Generation stört, nervt, sabotiert - sie ist destruktiv. So die Meinung unzähliger Menschen, mit denen ich ins Gespräch komme. Aber hat auch schon einmal jemand nachgedacht, WARUM sie stören, nerven, sabotieren?

Niemand gibt ihnen eine Stimme. Politik ist etwas unglaublich Langsames. Bis es zu ersten Erfolgen in Punkto Umweltschutz kam, mußten die Grünen 20 Jahre kämpfen. Früher nannten wir das den Marsch durch die Institutionen. Es ist auch eine Frage der Perspektive: man sollte meinen daß 20 Jahre warten bis zum ersten Erfolg für einen älteren Menschen eine ernsthafte Geduldsprobe darstellt, denn wer weiß wie viele 20 Jahre wir noch haben... Für einen jungen Menschen sind 20 Jahre warten dagegen unerträglich, denn es könnte doch auch sofort und jetzt gleich umgesetzt werden. Ältere haben schon so viele Geduldsproben durchgeübt, da kommt es auf eine mehr nicht so an. Politik - damit ist das aktive Mitwirken an Parteiprogrammen und als Kandidaten in Land- und Bundestag gemeint - Politik also ist in den Augen der letzten Generation ein unerträglich langsames Vehikel. Was nützt es, wenn die Fridays for future Leute wählen gehen, wenn die Gewählten sich dann so wenig Mühe geben?

Wenn der Markt also durch die Politik reguliert werden soll, wie soll das gehen? Durch Demonstrationen? Durch Aktionen und Kampagnen? Durch Unterschriftensammlungen, Petitionen, Sitzblockaden? Wenn ich mich umschaue, so sehe ich niemanden, der sich dadurch im positiven Sinn beeindruckt zeigt. Es ist im Grunde ein philosophisches Problem: wer bewacht die Wächter? Wie bekommen wir handlungsstarke energievolle und verantwortungsbewußte Politiker, die schnell und effektiv dafür sorgen, daß die Wirtschaft mal nicht nur an Gewinne denkt sondern etwas für die Umwelt tut - außer greenwashing versteht sich! Wie lange bleiben denn handlungsstarke energievolle und verantwortungsbewußte Politiker handlungsstark energievoll und verantwortungsbewußt?

In der Tagesschau vom 18. Januar 23 meinte ein Politiker, wenn wir aus Transparenzgründen Gesprächslisten mit unseren verschiedenen Gesprächspartnern führen müssen, erhalten wir keine Informationen mehr. Na so was!

Hinzu kommt, daß Fachkompetenz für einen Politiker nicht erforderlich ist und auch meist nicht vorhanden. Es sind ja immer nur vier Jahre... Da springen die Lobbyisten der Wirtschaft doch gern in die Bresche. In Wahlprogramme gelangen meist nur unkritische "rundgelutschte" Themen, selten Grundlegendes. Statt dessen nutzt man gerne die Angst als Transportmittel fürs eigene Vorankommen. Angst ist leicht zu schüren, denn wer Angst hat prüft keine Fakten und Hintergründe. Was die Politik durch Inhaltslosigkeit nivelliert, das füllt die Wirtschaft mit Greenwashing aus - oftmals schlichtweg betrügerisch.

Und was passiert: weil es immer mehr SUVs gibt, verbreitern wir die Parkplatzflächen.

Wie kann Druck auf die Politik ausgeübt werden?

Bis hierher entsteht der Eindruck, daß die Politik der falsche Hebel ist, um die Wirtschaft auf ökologischere Handlungswege zu bringen.

Es gibt aber eine Reportage im aktuellen GEO (02/2023) von Jan Christoph Wiechmann aus den Anden in Peru. Da verklagt ein Bauer den deutschen Konzern RWE, weil dieser als einer der 100 mächtigsten Konzerne weltweit einen Anteil von 0,47% zu den weltweiten CO2-Emissionen beiträgt. Die Klage wurde auf einen Streitwert von nur 20.000 Euro festgelegt, aber RWE will einen Präzedenzfall vermeiden. Dieser Präzedenzfall könnte dazu führen, daß unzählige Klagen aus dem globalen Süden gegen Weltkonzerne auf den Weg kommen, auch gegen deutsche Konzerne. Deshalb steckt hinter dem Bauern Saúl Lliuya aus Huaraz in Peru die deutsche Umweltorganisation Germanwatch e. V. - sie stellt die Anwaltin, die Saúl Lliuya sich nicht leisten könnte. Die Idee der Aktion ist, daß der Präzedenzfall eintreten MUSS, daß also der peruanische Bauer mit seiner Klage gegen RWE Erfolg hat. Denn das löst eine Klagelawine aus, die für Konzerne, die auf fossile Energie setzen, zum Wirtschaftsfaktor wird. Daraus wiederum ergibt sich, daß RWE und andere ihrerseits mit Druck auf die Politik reagieren, die nun dafür herangezogen wird, Klagewellen gegen deutsche Unternehmen abzuwenden. Plötzlich werden andere Strippen gezogen, und die Politik wird in eine andere Richtung beeinflußt. Das ändert nichts an der ungesunden Beziehung zwischen Wirtschaft und Politik (die auch für integre unbestechliche Politiker ungesund ist und bleibt). Es ändert nur die Aktionsrichtung. Ich finde die Idee trotzdem interessant... Vielleicht meint Hannah Ferber das mit ihrem Begriff der individuellen Krise: ein machtloser kleiner Bauer aus Peru macht den ersten Schritt.

Wer aber kann auf die Wirtschaft einwirken, wenn es die Politik nicht kann oder will? Die Verbraucher!

Uns bleibt nur unser ganz persönlicher Weg, um etwas zur Abwendung oder Abmilderung der Klimakatastrophe zu tun: ökologisches Bewußtsein entwickeln, regional und möglichst Bio einkaufen, Müll vermeiden, Flugreisen und Autofahrten vermeiden, Energie sparen. Als mündige Bürger einer der besten Demokratien sollten wir uns dieser auch würdig erweisen.

So, bevor wir jetzt alle depressiv werden, habe ich noch zwei Tipps (neben all den Tipps, was jeder Einzelne tun kann, die Sie auf diesen Seiten finden):

  1. ein Vortrag der letzten Generation am Donnerstag 26. Januar um 19 Uhr im Bürgersaal der Weststadthalle Bensheim https://letztegeneration.de/vortraege/
    ANHÖREN was die letzte Generation zu sagen hat! Vielleicht findet sich ja doch ein Weg zum Handeln...
  2. Teilnehmen an den interessanten Vorträgen des Klimabündnis Bergstraße: https://www.klimabuendnis-bergstrasse.de/ wo ich Hannah Ferber kennenlernte

Interessant: Wie läßt sich die CO2-Bilanz von Windkraftanlagen, Kohlekraftwerken, AKWs oder PV vergleichen?

Im Januarheft 2023 des Durchblick erschien der Beitrag "Energiepreise und Strommarkt - wegweisender Vortrag von Christoph Rumler beim Klimabündnis". Siehe: Klimabündnis Kreis Bergstraße: Aktuelles
Darin ging es unter anderem um das merit-order-Modell (der Strompreis orientiert sich an der teuersten Erzeugungsvariante). Mich beschäftigte die Frage, wie man die CO2-Bilanz von verschiedenen Erzeugungsquellen überhaupt vergleichen kann. Dazu fragte ich Herrn Rumler. Er gehört dem Bürgerinformationskreis energietransparent an und gab mir folgende Antwort: Es gibt keine wirklich umfassenden Vergleiche. Fossile Energieträger, teilweise mit CO2-Lasten der Vorketten,  werden beispielsweise erst ab Import auf deutsches Staatsgebiet berücksichtigt, teilweise auf die stoffliche Energieform als Primärenergie bezogen, teilweise auch auf die Emission pro kWh Stromerzeugung.

"Wie üblich fehlt aber bei der Atomkraft die CO2-Emission der Endlagerung über viele hundertausend Jahre. Diese wird ein Vielfaches der vermeintlich 'vermiedenen' Emissionen betragen und weit über allen anderen Vergleichen liegen. Kann man nicht wirklich berechnen...", so Rumler.

Er nannte mir jedoch eine vertrauenswürdige Seite:
https://www.dw.com/de/wie-nachhaltig-ist-windkraft-klimabilanz-recycling-artenschutz-erderhitzung/a-60170247
Diese Seite entstand wohl im Umfeld eines Beitrages zur Windenegie, enthält aber auch die Vergleichszahlen zu anderen Energieträgern. Die Deutsche Welle (DW) wird mit Bundesmitteln gefördert und verwendet Zahlen von Umweltbundesamt und NABU.
Vielleicht ist der Umbau unseres Strommarktes auf Regenerative doch nicht so unsinnig wie oft dargestellt. Man müßte es nur wollen...

Bleiben Sie kritisch und nachdenklich! Marieta Hiller, im Januar 2023