Am Freitag 4. Oktober 2024 wurde die Sommerlinde auf dem Friedhof sehr stark zurückgeschnitten.

Vorangegangen war: der Baum sollte gefällt werden, weil ein Sturm den stärksten Ast der Krone herausgebrochen hatte. Am 2. Oktober wurde dies im BA mitgeteilt. Ebenfalls am 2. Oktober um 15 Uhr kam dann die offizielle Pressemitteilung des Kreises Bergstraße (Sie finden sie ganz unten). Der 3. Oktober war ein Feiertag, so daß es kaum noch Möglichkeiten gab, Bedenken zu äußern. Am 4. Oktober um 8 Uhr begannen die Arbeiten.

Eine solch knappe Zeitgestaltung läßt den Verdacht aufkommen, daß hier - selbstverständlich dringend erforderliche - Arbeiten vorgenommen worden sein sollten, bevor es Proteste geben könnte. Die Verkehrssicherung war oberste Priorität, aber dafür hätte nicht der gesamte Baum gefällt werden müssen. Immerhin ist es eines der ältesten Naturdenkmäler im Kreis Bergstraße. Sein Alter wird auf 230-300 Jahre geschätzt, der Stamm hat einen Umfang von fast 6 Metern.

Am 2.10. um 15.46 Uhr rief mich Ulrich Rieckher vom NABU Beedenkirchen an. Er hatte bei der Unteren Naturschutzbehörde des Kreises Bergstraße angerufen, war jedoch etwas unwirsch abgefertigt worden. Darauf hat er Bürgermeister Heun gebeten, sich mit Matthias Schimpf - Hauptamtlicher Kreisbeigeordneter und zuständig für die UNB - in Verbindung zu setzen.

Es folgten zahlreiche Mails zwischen NABU-Mitgliedern aus dem gesamten Umkreis (Lautertal, Bergstraße, Seeheim-Jugenheim, Modautal), den Grünen Lautertal sowie Greenpeace und einigen Biologen, der UNB und Matthias Schimpf. Von seiten der UNB kam keine Antwort, Matthias Schimpf jedoch reagierte prompt.

Schimpf prüfte sofort, ob ein massiver Kronenrückschnitt ausreichen kann um den Druck vom Stamm zu nehmen. Wichtig sei die Gewährleistung der Standsicherheit sowie die Überlebensfähigkeit des Baumes. Am 3. Oktober um 21.03 Uhr kam seine Mail: "der Auftrag für die „Sommerlinde“ wird von „Fällung“  in „Kronenreduktion“ abgeändert."

Allerdings war zuvor ja die Fällung angeordnet worden, ohne ein Artenschutzgutachten durchzuführen. Yvonne Albe (NABU Seeheim-Jugenheim) machte die UNB am 2.10. darauf aufmerksam, daß anhand von Aufnahmen der Linde zahlreiche Flechten aus der Familie der Schüsselflechten (Parmeliaceae), die ohne Ausnahme (!) gemäß der Bundesartenschutzverordnung geschützt sind, identifiziert werden. Es wurden auch Insektenfraslöcher und Totholzkäfer entdeckt, sowie Habitathöhlen. Sie hatte eigens dafür zahlreiche Nahaufnahmen der geschützten Arten in der Krone der Sommerlinde angefertigt.

"Dennoch können aus unserer Sicht der Stamm mindestens bis zum Beginn der Äste auf der straßenzugewandten Seite erhalten werden sowie Teile der Äste auf der straßenabgewandten Seite. Der Baum ist vital und wird nach einem Beschnitt wieder austreiben. Eine Fällung des gesamten Baumes halten wir für überzogen und nicht indiziert. Der Baum ist ein schützenswertes Naturdenkmal, er prägt den Ort Beedenkirchen. Der Stamm bietet unzähligen Arten ein Zuhause, darunter totholzbewohnende Arten. Im Sinne des Artenschutzes und im Hinblick auf das besorgniserregende Artensterben sollte man diesen Baum bzw. wesentliche Teile von ihm in jedem Falle erhalten." schrieb Yvonne Albe. Mehrere NABU-Ortsverbände sagten spontan die Übernahme zusätzlicher Kosten für einen erhaltenden Schnitt der Sommerlinde zu. Jedoch - es kam keine Reaktion aus der Unteren Naturschutzbehörde.

Die Fällung wäre ein klarer Verstoß gegen die Bundesartenschutzverordnung gewesen.

Eine ausführliche Foto-Dokumentation der Sommerlinde mit zahlreichen Details folgt an dieser Stelle noch.

Kronenreduktion oder Tabula rasa?

Das Ergebnis der Kronenreduktion sieht grauslich aus, und erste Reaktionen von traurig bis wütend zeigen die Anteilnahme der Bevölkerung, nicht nur aus Beedenkirchen. Es gab sogar den Wunsch, Anzeige zu erstatten. Auch Matthias Schimpf hatte sich die angeordnete Kronenreduktion offenbar schonender vorgestellt.

Yvonne Albe: "Mit der Abtragung und Entsorgung des gesamten Kronenmaterials sind die auf den Ästen und Zweigen befindlichen und nach Bundesartenschutzverordnung zu schützenden Flechten aus der Familie der Schlüsselflechten verloren gegangen." Fotos der Flechten siehe weiter unten.

Eine Baumsachverständige, Forstwissenschaftlerin und Waldökologin sagt nach Begutachtung aller Bilder von Yvonne Albe: “Die Schnittflächen sind so groß. Das sind alles Eintrittspforten für Pilze und Pathogene. Die Reststandzeit von dem Baum wurde durch so einen drastischen Eingriff enorm gemindert. Sie hat jetzt eine verkürzte Lebenserwartung. So nimmt man ihm etliche Jahrzehnte und definitiv Jahrhunderte. Er wäre älter geworden mit einem besseren Schnitt. “Anzeige über BUND, NABU stellen als Empfehlung”

Mitarbeiterin in einer anderen Naturschutzbehörde: “Es ist sehr traurig. Vielleicht ein Anlass, generell mal die Vorgehensweise bei der Regelkontrolle von ND in eurem Landkreis zu beleuchten. Offizielle Anfrage über Abgeordnete im Kreistag stellen. Die UNB Mitarbeiter müssen sich auch im Nachhinein erklären, würde ich meinen. Und es wäre wichtig, eine methodische Vorgehensweise für den nächsten ähnlich gelagerten Fall zu haben.”

“Eine Kronenentlastung sieht anders aus. Übrig geblieben ist ja nur noch ein Torso. Die geschützten Flechten sind sicher alle hinüber, einfach bitter ist das…” (Biologin)

“Die Schnittflächen sind so groß. Das sind alles Eintrittspforten für Pilze und Pathogene. Die Reststandzeit von dem Baum wurde durch so einen drastischen Eingriff enorm gemindert. Sie hat jetzt eine verkürzte Lebenserwartung. So nimmt man ihm etliche Jahrzehnte und definitiv Jahrhunderte. Er wäre älter geworden mit einem besseren Schnitt.” (Baumsachverständige)

“Ein Alptraum. Solche Bilder sind für mich kaum zu ertragen.” (Biologin)
“Es ist in der Realität noch viel schlimmer als auf den Photos. Es existiert überhaupt mein Leitast mehr - nichts. Das ist eine einzige Vergewaltigung.”
“Mir ist es ein Rätsel, wie man dabei schweigend zusehen kann.”
“Das darf sich ernsthaft “Rückschnitt” nennen???”
“Das ist eine Kronenreduktion?” (Mitarbeiterin RP Darmstadt)
“Oh man… Na wenigstens wurde nur die Krone beschnitten. Da fragt man sich ja echt… Die sollte man mal zum Frisör schicken und da auch mit einer Glatze heim. Bei Beschwerden antworten wir dann: na der Kopf ist doch noch dran.”
“Das ist echt zum heulen... ein Freibrief für öffentliche Stellen und immer billiger als eine regelmäßige fachliche Kontrolle nach dem Motto: Wenn der Baum weg ist, dann kann auch nix mehr passieren. Der unbezahlbare Wert solcher alter Bäume wird da gerne ignoriert."

Yvonne Albe dazu: "Dass vor einem so krassen Rückschnitt (das war keine wie von Herrn Schimpf angeordnete "Kronenreduktion", sondern eine Kappung der gesamten Krone) kein Artenschutzgutachten eingeholt wurde, ist völlig unverständlich. Naturdenkmäler sind in der strengsten Schutzkategorie, die es gibt. “Die Beseitigung des Naturdenkmals sowie alle Handlungen, die zu einer Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung des Naturdenkmals führen können, sind nach Maßgabe näherer Bestimmungen verboten.” So steht es im Bundesnaturschutzgesetz § 28. Eine Hopplahopp-Aktion wie diese war einfach nicht angebracht. Natürlich musste da was passieren, aber wenn man sich nicht sicher ist, ob ein Stamm oder Ast hält, dann sperrt man für ein paar Tage die Straße, bis ein Artenschutzbeauftragter sich das angesehen hat und entscheidet dann das weitere Vorgehen. Es wird eine Ausschreibung gemacht, welcher Baumpfleger das Naturdenkmal verkehrssicher machen und gleichzeitig möglichst viel vom Baum erhalten kann.
Dass wir Naturschutzverbände innerhalb von 2 Tagen, von denen einer ein Feiertag ist, darauf hinweisen müssen, dass es auf diesem etwa 300 Jahre alten Baum zu schützende Spezies gibt, ist auch ein Unding. Das ist doch Aufgabe einer Naturschutzbehörde. Es gab keine Vorabinformation an die Naturschutzverbände."

Baumpfleger Gret Thaler und Brigitte Hutzl aus Neunkirchen dazu: "Das Problem war der Zeitdruck; die UNB steht in der Verkehrssicherungspflicht, also musste schnell etwas unternommen werden. Da bei einem Baum diesen Alters mit Untermietern zu rechnen ist, hätte vor Beginn der Arbeiten eine Artenschutzüberprüfing stattfinden müssen. Mit einer moderaten Einkürzung (um ca. 6 m) der über die Straße reichenden Kronenteile wäre die Verkehrsicherung vorrübergehend hergestellt worden und hätte zudem Zeit gelassen für eine genaue Untersuchung des Stamminnern und der Äste (Flechten) durch einen Gutachter (kein Kontrolleur). Der hätte dann auch klare Richtlinien für durchzuführende Schnittmaßnahmen geliefert.
Linden reagieren mit großer Wahrscheinlichkeit nach einem (radikalen) Rückschnitt zu starkem Neuaustrieb, egal ob in 4m oder 8 m eingekürzt wurde. Beispiele hierzu sind: Linde rechts am Eingang zur Kirche in Neunkirchen (Rückschnitt ca. von 15 m auf 3 m) und Linde im Kirchgarten Beedenkirchen Nähe Steinsitzbank (Rückschnitt ca. von 12 m auf 6 m). Es ist also Hoffnung angesagt, zumal die Linde sehr vital ist und auch für trockene Zeiten mit Ihrer Nähe zum Feuchtgebiet gut aufgestellt ist. Nichtsdestotrotz sollte auf jeden Fall bei dem verbliebenen Torso noch eine Artenschutzüberprüfung erfolgen."

Diese Flechten dokumentierte Yvonne Albe direkt in der Krone der Sommerlinde:

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Maileingang der Pressemitteilung am Mittwoch 2. Oktober 2024 um 15.00 Uhr:

Sommerlinde auf altem Friedhof Beedenkirchen muss gefällt werden Grund: Baum erlitt Windbruch / Arbeiten am 04.10.

Kreis Bergstraße (kb). Auf dem alten Friedhof in Lautertal-Beedenkirchen muss am Freitag, den 04.10.2024, eine als Naturdenkmal ausgewiesene Sommerlinde gefällt werden. Die entsprechenden Arbeiten finden an diesem Tag ab 8 Uhr statt. Die Sommerlinde befindet sich auf dem alten Friedhof direkt an der Friedhofsmauer in Beedenkirchen. Das genaue Alter des Baumes ist nicht bekannt. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass der Baum zwischen 200 und 300 Jahre alt ist.

Die Sommerlinde erlitt aufgrund des starken Windes einen Windbruch. Dies geschieht, wenn die Biegefestigkeit des Stammes überschritten wird und er bricht. Eine derart starke Beschädigung führt zu einer Verminderung der Bruch- und Standsicherheit – so nun auch bei der Sommerlinde.

Bereits 1983 wurde die Sommerlinde als Naturdenkmal ausgewiesen. Daher obliegt dem Kreis die Unterhaltungs- und vor allem die Verkehrssicherungspflicht. Naturdenkmäler sind per gesetzlicher Definition nach §28 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) rechtsverbindlich festgesetzte Einzelschöpfungen der Natur, deren besonderer Schutz aufgrund ihrer Seltenheit, Eigenheit oder Schönheit erforderlich ist.

Das „Schicksal“ der Sommerlinde bewegt viele Menschen wie die zahlreichen Reaktionen der Bürgerinnen und Bürger belegen. Der Kreis hat sich die Entscheidung, ob ein Erhalt möglich oder eine Fällung unumgänglich ist, nicht leicht gemacht. Ein beauftragtes Gutachten hat ergeben, dass die Stand- und Bruchsicherheit so stark beeinträchtigt ist, dass auch eine Reduktion der Krone für sich genommen das Gefährdungspotential nur unwesentlich mindern würde. Deshalb musste für die Sommerlinde letztlich aus verkehrssicherungs- und haftungsrechtlichen Gründen die Fällung des Baumes angeordnet werden. Hierfür wurde der alte Friedhof inzwischen abgesperrt.

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Maileingang der Pressemitteilung am Mittwoch 4.10.24 um 11.55 Uhr

Sommerlinde auf altem Friedhof Beedenkirchen wird vorerst nicht gefällt

Kreis ordnet Reduktion der Krone an / Hinweise von Umweltverbänden sowie Bürgerinnen und Bürgern werden geprüft

Kreis Bergstraße (kb). Die als Naturdenkmal ausgewiesene Sommerlinde auf dem alten Friedhof in Lautertal-Beedenkirchen wird vorerst nicht gefällt. Das hat der hauptamtliche Kreisbeigeordnete und für die Untere Naturschutzbehörde zuständige Dezernent Matthias Schimpf entschieden. Stattdessen ordnete er an, dass zunächst eine Reduktion der Krone des Baumes vorgenommen wird. Diese Arbeiten werden heute, Freitag, den 04.10.2024, vorgenommen. Die Sommerlinde hatte aufgrund von starkem Wind einen Windbruch erlitten.

Von Umweltverbänden sowie Bürgerinnen und Bürgern waren zuvor Hinweise eingegangen, die unter anderem den Bestand von seltenen Flechten an dem Baum betreffen. Diese müssen nun zunächst geprüft werden. Das weitere Vorgehen nach dem Rückschnitt wird unter der strengen Prüfung der Bruch- und Standsicherheit sowie unter Berücksichtigung der Anregungen und Hinweise abgestimmt.

So sah die Sommerlinde noch vor kurzem aus... Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Naturdenkmale_in_Lautertal_(Odenwald)