Das älteste Märchen der Welt - mit einigem Wahrheitsgehalt, so wie alle Märchen! - ist wohl die Geschichte der Vertreibung aus dem Paradies. Eva sollte nicht vom Baum der Erkenntnis naschen, doch was tat sie? Sie naschte nicht nur selbst, sondern ließ auch ihren Adam probieren. Und schwupps: schon war die Schlange da und sorgte für mächtig Durcheinander im Paradies. Den Apfel aber, den Eva vom Baum gepflückt hatte, den muß sie wohl heimlich mit rausgeschmuggelt haben. Nicht einmal die Erzengel mit ihren Flammenschwertern haben es bemerkt. Und dann ließ sie ihren Adam schuften und schwitzen. Der Garten Eden war futsch, der heimische Obst- und Gemüsegarten aber wollte jetzt gepflegt werden. Und wofür hat man denn einen Mann, wenn nicht zur Gartenarbeit - so dachte sich Eva.

Und sie nahm die witzigen fünf Bübchen aus ihren fünf Stübchen im Herzen des heimlich entwendeten Apfels und wies Adam an, sie zu hegen und zu pflegen, bis starke Apfelbäume aus ihnen geworden wären. So kam wohl der Apfel in die Welt. Ich weiß, andere erzählen diese Geschichte gaaanz anders...

Dann aber mußte die überaus wohlschmeckende Frucht noch einen Namen bekommen, und den wiederum bekamen sie nicht von Adam und Eva, sondern von Felshocker und Steinbeißer.

Diese beiden lebten nicht im Paradies - das war ja sowieso verloren. Nein, sie lebten im Odenwald, und das ist wahrhaftig besser als im Paradies. Der eine Riese lebte auf dem Felsberg, der andere auf dem Hohenstein. Und sie vertrieben sich die Zeit mit einem Spiel: ein jedes Ding auf der Erde bekam von ihnen seinen Namen. Sie verfuhren dabei immer abwechselnd und streng nach dem Alphabet. Als Steinbeißer an der Reihe war mit dem Buchstaben A (das ging immer im Kreis von A bis Z und dann wieder von vorne, denn die Welt hält mehr Dinge zum Benennen bereit als es Buchstaben im Alphabet gibt...), da entdeckte er einen neuen Baum auf der Welt. So einen hübschen Baum mit Früchten dran, mit roten und gelben Bäckchen und einem Duft wie ..... hmmmm! Und Steinbeißer nahm die Früchte mit zu Felshocker, dem er damit imponieren wollte. Beide Riesen legten die Früchte zuerst einmal aufs Vulkanfeuerchen, denn man kennt das ja: wenn man etwas ißt, was man nicht kennt... Vorher heiß machen kann auf keinen Fall schaden, das wußten auch die Riesen schon.

Dann schnappte sich Felshocker eine Frucht und biß davon ab. Aaaaahhh! rief er verzückt aus, denn eine so wohlschmeckende Frucht war ihm noch nie zwischen die Zähne gekommen. Aber, die Frucht war heiß, und die Schale platzte mit einem lauten „pffffff“. Felshocker, nicht faul, klatschte vor Freude in die Hände und brüllte (Riesen brüllen immerzu, schrecklich für unsere armen Koboldohren...) „AAAAPFFFFF - das wird der neue Name für diese leckere Frucht!“, und dabei tropfte ihm der Saft vom Kinn. Steinbeißer aber, der ja eigentlich an der Reihe war mit Namengeben, bestand auch darauf und meinte: „So geht das nicht, Felshocker. Ich bin dran! Und weil wir dort wo ich herkomme, im Land an der schönen blauen Donau, immer ein kleines L an alles dranhängen, was wir lieb haben, sage ich jetzt, daß diese Frucht ab heute AAPFFFFF...L heißen soll.“ Felshocker war so mit seinen leckeren Früchten beschäftigt, daß das diesmal ohne Streit vonstatten ging (was nicht immer so glimpflich ablief - ihr wißt, die beiden sind auch schuld daran, daß es heute das Felsenmeer gibt!). Steinbeißer durfte seinetwegen also gern den Namen der Frucht festlegen, und so kommt es, daß sie heute noch APFEL heißt. Aber wenn ich damals nicht die Ohren gespitzt hätte, und es euch heute nicht erzählt hätte, dann wüßtet ihr es noch immer nicht...

Noch ein Wort zu uns Kobolden: einst lebten wir gemütlich und froh in den alten Bauernhäusern. Dort auf dem Dachboden war es warm und kuschelig im Heu, und abends wenn die Menschen alle schliefen, dann huschten wir in die Küche hinunter. Dort hatte die Hausfrau stets einen Topf mit Milch oder Brei auf dem Herd stehen, und der Herd war immer warm. Eine gute Hausmutter vergaß auch nie, den Deckel vom Topf zu lassen, damit sich die Kobolde laben konnten. Denn wir waren die Hausgeister der Familie, und zum Dank sorgten wir für Gesundheit, Glück und Freundschaft in diesem H?aus. Wehe aber, wenn die Frau den Deckel auf den Topf legte! Dann polterte es nachts, und am nächsten Morgen war die ganze Küche durcheinander!

Doch ach, leider hörten die Menschen irgendwann auf an uns zu glauben. Und sie verließen ihre gemütlichen Bauernhäuser, um in übereinandergestapelten Schachteln zu wohnen. Einen warmen Herd hatten sie plötzlich auch nicht mehr, der war elektrisch und funktionierte mit Knöpfen, die wir nicht verstanden. Die Töpfe mit all den leckeren Sachen wurden in einem Schrank eingeschlossen, den wir nicht öffnen konnten. Und zu guter Letzt schafften sich die Menschen auch noch einen elektrischen Kobold an, der auf Knopfdruck einen Heidenlärm veranstaltete und Dinge verschwinden ließ!

Da beschlossen wir, uns wieder in den Wald zurückzuziehen und leben seither im Felsenmeer, wo es doch erstaunlich viele Menschen gibt, die noch an Kobolde glauben.

Andere Menschen behaupten heutzutage, das Gepolter auf dem Dachboden komme von Siebenschläfern! Gut, zugegeben, die Siebenschläfer lieben kleine dunkle Verstecke, zum Beispiel in hohlen Astlöchern von knorrigen alten Apfelbäumen. Oder eben auch auf stillen Dachböden. Auch werden die Siebenschläfer ja sogar von den Menschen als Kobolde bezeichnet. Wenn die wüßten....

Ich übrigens bin Kobold Kieselbart aus dem Barythenquarze und zu den Granodioriten. Es genügt aber wenn ihr Kieselbart zu mir sagt. Ich bin von allen Kobolden der Menschenbeauftragte, weil es mir vor gar nichts graust. Und so stehe ich immer zu Diensten, wenn es um eine Frage geht, die die Menschen über uns Kobolde haben. Ich kann Euch Sachen erzählen..., über Kontinente, die entstanden und wieder versanken, über Meere die einst den Odenwald überfluteten, über die wahre Geschichte wie das Felsenmeer entstanden ist, was die Eiszeit hier anrichtete und natürlich auch, wie sich die armen alten Römer mit ihren Steinen abquälen mußten. Ihr könnt mich jederzeit finden, wenn ihr die Felsenmeerdrachen sucht!

 

Marieta Hiller, erschienen in Typisch Odenwald, der Apfelwein-Sonderbeilage des Darmstädter Echo im September 2010