An einem hellen klaren Bächlein in einem idyllischen Wiesental stand einst eine uralte Mühle. Noch heute steht sie dort, geht nur einmal hin und lauscht ihren Geschichten!
Und was die Mühle nicht alles schon erlebt hat...
Müller, so sagt man ja, stehen mit den bösen Mächten im Bund. Des Nachts, wenn der Mond sich verbirgt, kommen sie auf den Hof, die finsteren Gestalten. Und der Müller, ob er nun will oder nicht, muß ihnen zu Diensten sein. Mahlen, mahlen, mahlen die ganze Nacht, und nur nicht fragen, was denn da wohl gemahlen wird. Dem Müller ist nicht wohl dabei, doch was bleibt ihm schon? Gehorcht er nicht, so schießt ihm die Hex ins Kreuz! Dafür hat der Böse schon gesorgt und dem Müller ein arges Weib zur Frau gegeben. Die Müllerin - des Nachts bei Vollmond springt sie als schwarze Katze aus dem Fenster und drückt als Alb arme unschuldige Menschen im Dorf!
Nein, die Mühle war für lange Zeit kein Ort, wo man gerne hinging. Doch mußte man ja - das Mühlenrecht besagte es! Auch der alte Lindenbauer und die Seinen mußten ihr Korn zu jener Mühle bringen, eine andere war ihnen nicht erlaubt. Wie fürchteten sich die Kinder davor, auf dem Fuhrwerk des Alten in den Mühlenhof einzufahren, wo die schweren Säcke ausgeladen wurden und vom Müller griesgrämig in den unheimlichen Schlund der Mühle geschüttet wurden. Wenn dann noch die Müllerin aus der Türe trat und mit zuckersüßer Stimme fragte, ob denn alles beim Besten sei, dann schüttelte es das Kathrinchen und ihre Geschwisterchen so recht. Es gruselte die Kinder so sehr, daß sie des Nachts von der Müllerin träumten!
Nun geschah es aber, als das Kathrinchen schon ein ansehnliches junges Mädchen geworden war, daß es am Abend unter der großen Weide ein Stelldichein mit seinem Liebsten hatte. Unbeteiligt ließ die große Weide ihre langen Zweige im Wasser treiben, sie hatte schon viele jener Stelldicheins erlebt. Zwischen ihren Wurzeln aber huschten seltsame Wesen umher, fröhliche kleine Kerle mit lustigen Äuglein, die lugten heimlich hervor und kicherten über die beiden Menschenkinder. Und in den Knospen der Weide, da erwachten eins nach dem anderen die Elfenkinder, die dort wohlversehen den Winter verschlafen hatten. Neugierig schauten sie auf die beiden Menschen, die doch für nichts ringsherum Augen hatten als nur für sich selbst.
„Morgen muß ich zur Mühle, Korn abliefern. Huh! Der Müller ist mir unheimlich, wie er immer so hohläugig stiert. Und sein Gesell, der finstere Kerl: die zentnerschweren Säcke wirft er sich auf den Rücken, als wärs ein Federbett! Die Müllerin erst noch: hinter ihrer zuckersüßen Art verbirgt sich wer weiß was...“ sprach das Kathrinchen zu ihrem Liebsten.
Und all die Verborgenen in den Knospen und hinter den Wurzeln der Weide, sie hörten es wohl. Weil nun aber das Kathrinchen gar so lieb und nett war, so wollten sie ihm helfen und das finstere Treiben in der Mühle für alle Zeit beenden.
Kaum trieb am folgenden Morgen das Kathrinchen den Esel mit dem Wagen voller Säcke hinunter zur Mühle, da hockten sich leise leise all jene kleinen fröhlichen Wesen mit drauf und fuhren geradewegs mit hinein in den Mühlenhof. Und als der Müller anhub, das Kathrinchen und alles was es umgab, mit seinem Griesgram wie mit einem grauen Leichentuch zu überziehen, da zupften die Kleinen am grauen Tuch, machten zierliche kleine Löcher hinein und zogen Faden für Faden heraus. Schon sah der Müller nicht mehr so griesgrämig aus, auch sein Rücken wurde gerader!
Trat aber der Geselle an den Wagen, um sich die Säcke auf die Schulter zu werfen wie Federbetten, da hockten die Kleinen obenauf und wurden schwer wie Blei! Schon mußte der Gesell sich sittsam unter seiner Last beugen und erkennen, daß es Stärkeres gab als ihn.
Der Müllerin aber, der geschah das Seltsamste: kaum trat sie aus der Stube unter die Tür, um Kathrinchen zuckersüß eine gute Mahlzeit zu wünschen - ihr müßt wissen, daß die Mahlzeit einst jene Weile meinte, während der man wartete, daß das Korn gemahlen sein würde. Diese Zeit verkürzte man sich mit einem mitgebrachten Essen, und so wurde endlich unser Wörtchen Mahlzeit daraus, mit dem wir uns einen guten Appetit wünschen!
Auch Kathrinchen hatte ihr Essen dabei: ein kräftiges Stück dunkles Brot und einen würzigen Käse. Nur Wein brachte sie nicht mit in die Mühle zur Mahlzeit: den durfte nur die Müllerin servieren. Und gerade, als diese mit hämischem Gesicht fragte, ob das Kathrinchen denn wohl einen Heller für einen Schoppen Roten habe - den das Mädchen natürlich nicht hatte, denn ein Heller war etwas, was man nicht leichtfertig für einen Schoppen Roten ausgab - da zwickte und zwackte es die Müllerin auf einmal hinten und vorne, und ihre Mundwinkel gingen nach oben. „Oh, Kathrinchen, heute ist mein Geburtstag, und ich will dir von Herzen gerne einen Schoppen Roten einschenken für ein Gott vergelts!“
Verwundert ließ Kathrinchen sich den Wein schmecken, und als das Korn gemahlen war, da luden Gesell und Müller die Säcke auf den Wagen, und ihr schien daß sie diesmal voll und prall waren wie nie zuvor. Denn immer, so meinten auch alle aus dem Dorf, immer zweigte der Müller etwas zu viel für sich selbst ab vom gelieferten Korn.
Freundlich rief ihr die Müllerin hinterher: „Kathrinchen, und wenn du und dein Liebster Hochzeit haltet, so kommt nur mit allen euren Gästen hierher in die Mühle, ich will euch ein Hochzeitsmahl bereiten, von dem man noch lange erzählen wird im Tal!“
Und was glaubt ihr wohl, wie es weiterging?
Kathrinchen und ihr Liebster hielten Hochzeit, sie feierten bis spät in die Nacht mit allen Verwandten und Freunden und ließen es sich gut gehen! Die Müllerin aber trug auf, was Küche und Keller nur hergaben, der Gesell schleppte Platten mit Gebratenem und Gesottenem, Schüsseln voller feinster Gemüse und Soßen, ganze Berge von Klößen und Brot! Der Wein funkelte in den Gläsern, und silberne Kerzenleuchter schmückten die Tafel. Freundlich grüßte der Müller von seiner Hofbank und schmauchte sein Pfeifchen, und alle waren guter Dinge.
Am Bach aber, wo die große alte Weide ihre Zweige im Wasser wiegte, dort webten geheimnisvolle kleine Wesen ihre Zauber, und fortan zog es all die vielen Liebenden, die sich noch bis heute unter der Weide zum Stelldichein treffen, stets hinunter zur alten Mühle um Hochzeit zu halten. Und wenn ihr es nicht glaubt, so kommt nur einmal im Mondenschein zur großen Weide und küßt euch so recht von Herzen - ihr werdet schon sehen...
Marieta Hiller Februar 2014