Ein Märchen von Marieta Hiller, zur Zeit der Kartoffelfeuer im September 2012
Einst vor vielen Jahren, als das Leben auf dem Land und im Wald noch beschwerlich war, da begab es sich, daß Jakob, ein armer Köhlerjunge, einmal aus dem tiefen Wald hinunter ins Dorf mußte, um für seine Mutter Mehl zu mahlen.
Es war gerade zu Anfang der Herbstzeit, und die Mutter hatte die Getreidekörner im Morgengrauen vom Feld gelesen, als der dicke Bauer noch bei seinen Kühen war. Frühstück hatte es keins gegeben, denn es war nichts mehr in den Schubladen und Schüsseln, was man noch hätte essen können, und so knurrte Jakobs Magen sehr.
Auf seinem Weg zur Mühle vor dem Dorf kam Jakob an einem Kartoffelacker vorbei, und weil er weit und breit niemanden entdecken konnte, der es ihm hätte verwehren können, da bückte er sich und hob ein paar Kartoffeln auf, die er schnell in seiner Tasche verschwinden ließ.
Kartoffel und Salz aber ohne Schmalz - das war ja der Wahlspruch der armen Köhlersleute, wie ein jedes Kind weiß. Und was Jakob in seiner Tasche hatte, das würde heute abend an einem lustigen Feuerchen Vater Mutter und auch das Finchen satt machen.
Schnell bückte sich Jakob noch einmal, und beim siebten Mal schlossen sich seine klammen Finger um eine besonders dicke Kartoffel, die schwer und verheißungsvoll in seiner Hand lag. Voller Vorfreude schaute Jakob die Kartoffel an, und siehe da: sie hatte eine Knubbelnase, einen fröhlichen kleinen Mund und zwei Äuglein!
Doch während sich Jakob noch wunderte, kam es noch besser: die Äuglein blinzelten, die Nase schnupperte, und der Mund öffnete sich zu einem Lachen!
„Ach wie bin ich froh, daß du mich aufgehoben hast!“ sprach die Kartoffel. „Bewahre mich gut, und hüte mich wie deinen Augapfel, so will ich dir drei Wünsche erfüllen!“
„Oho!“ dachte sich Jakob, eine Wunschkartoffel! Das war ja wie im Märchen...
Behutsam steckte er die Kartoffel in die Tasche und wanderte weiter zur Mühle, wo er sein Säcklein Getreide mahlen lassen wollte, damit die Mutter morgen wieder Mehlfladen backen konnte.
Der Müller war ein Schelm und Schlitzohr, und immer behielt er das Beste für sich selbst zurück. So schien es Jakob auch heute, als bekäme er aus seinem Säcklein Körner nur ein Bruchteil an Mehl. „Ich wünschte du würdest mich nicht um mein bißchen Mehl betrügen!“ sagte Jakob zum Müller. Doch anders als sonst, verging dem Müller sogleich sein hämisches Gelächter, denn aus der Tasche des Köhlerjungen sprangen flugs drei Mäuse, huschten hinein in die Mühle und kamen sogleich wieder heraus, ein jedes ein Säcklein feinstes Mehl auf dem Rücken. Dem Müller wollten schier die Augen aus dem Kopf fallen, doch Jakob wurde traurig und dachte: „das war mein erster Wunsch. Nun bleiben mir nur noch zwei!“
Zum Glück dachte er nicht auch noch „Wenn ich doch nur besser aufpassen könnte, daß ich meine beiden Wünsche nicht im Unverstand verschwende!“ Nein, das dachte er zum Glück nicht, denn dann wäre ja nur noch ein Wunsch übrig geblieben...
Vielmehr nahm er behutsam den Mäuslein die Säcklein vom Rücken und steckte sie in seine Tasche. Dabei berührten seine Finger die Kartoffel, und sie fühlte sich warm an.
Schnell machte sich Jakob auf den Heimweg, bevor dem Müller sein erstauntes Mundwerk zuklappen konnte.
„Hm,“ dachte sich Jakob auf dem Weg hinauf in den Wald, „hm, das gibt es also wirklich, daß man sich etwas wünschen darf!“ Und während er es noch immer nicht ganz fassen konnte, begann er fieberhaft zu überlegen, wie er seine beiden Wünsche am besten einsetzen könnte.
Am Wegesrand sah er einen Vogel sitzen, der schien krank zu sein. Ganz traurig und still hockte er dort, und doch sah Jakob vom Feld her eine Katze heranschleichen.
„Vogel flieg!“ rief er deshalb, doch der Vogel duckte sich nur noch tiefer ins Gras. Schon war die Katze fast herbei, da beugte sich Jakob hinab zum Vogel und rief flehentlich: „lieber Vogel breite deine Flügel aus und flieh!“ und so geschah es: der Vogel flatterte und erhob sich in die Luft.
Da kam ein Wind auf und kämmte das Gras, raschelte in den Blättern der Haselsträucher und bauschte der Katze das Fell herum. Und plötzlich begann der Wind sich zu einer Spirale zusammenzudrehen, die schnell und immer schneller im Kreise herumfuhr. Erst ein Seufzen, dann ein Lachen wurde hörbar, und als der Wind sich von einem Augenblick zum nächsten legte, da stand gerade dort, wo der kranke Vogel gehockt hatte, eine wunderschöne junge Frau. Schwarz war ihr Haar wie das Federkleid der Amsel, und ein goldgelbes Band wand sich um ihren Kopf. Aus ihrem lieben Gesicht aber blitzten zwei lustige glänzende Augen, und schon sprang sie auf Jakob zu. „Du hast mich von einem bösen Zauber erlöst, der mich für eine lange lange Zeit in Vogelgestalt gezwungen hat! Ich danke dir, oh ich danke dir von Herzen! Denn ich bin die Prinzessin Merula aus dem Zauberwald, und die böse Hexe wollte ihre eigene Tochter an meiner Statt auf den Thron bringen! So hat sie mich eines Tages gefangen und in das arme Vögelchen verzaubert, das ich eben noch war.“
Jakob beschloß, die Prinzessin Merula zu ihrem Schloß im Zauberwald zu begleiten, damit ihr nichts mehr zustoßen konnte, denn sie gefiel ihm doch sehr in ihrer liebreizenden Art. Und kaum waren sie am Tor angekommen, da erhob sich im Schloß große Freude. „Unsere zweite Tochter ist zurückgekehrt!“ riefen König und Königin voller Glück aus. Auch Jakob hießen sie freundlich willkommen und baten ihn an ihre Tafel. Ach, wie gut ließ Jakob es sich dort ergehen! All die feinen Köstlichkeiten, und man sah vor lauter Essen kaum die Teller drunter! Und wie gern hatte er seine Merula, und wie lieb schaute sie ihn aus ihren lustigen Augen an!
Doch des Königs Miene wurde traurig und immer trauriger, als er das sah. „König, was lachst du nicht mit uns? Unsere Tochter ist wieder da!“ fragte die Königin. Der König schüttelte sein Haupt, seufzte tief und sprach: „Weißt du denn nicht mehr, was die alte Hexe Hagzissa gesagt hat? Zuerst muß unsere Ziehtochter vermählt werden, vorher darf Merula nicht heiraten!“
Jakob schaute sich um, und tatsächlich, da entdeckte er noch eine junge Frau an der Tafel, gerade auf der anderen Seite des Königspaares. Heimtückisch und böse blitzten ihre Augen, eins rechts und eins links von ihrer langen spitzen Nase. Die Mundwinkel waren so weit herabgezogen, daß sie schon beinah vom Kinn herunterpurzelten.
„Wer ist das?“ flüsterte er zu Merula. „Das ist Wikala, die Tochter der bösen Hexe. Meine Eltern glauben, sie sei meine ältere Schwester. Das hat die Hexe getan. Und nun soll der Erste, der auf Freiersfüßen durch das Schloßtor schreitet, Wikala zur Frau bekommen. Erst dann werde auch ich einen Gemahl finden. Ach!“ und Merula fing an zu weinen.
„Nun weine nicht, Merula. So freie ich auch noch deine Schwester, und ich tue es für dich, damit es dir wohl ergehen mag.“ murmelte Jakob, dem dabei aber nicht recht wohl war.
Schweren Herzens wandte er sich zum König und sprach: „ich will euch gerne helfen, denn ich habe etwas, das mich dabei stärken wird.“ Jakob dachte an seine beiden Wünsche, doch er wußte auch, daß er sie sehr geschickt einsetzen mußte. Nur, wie - das wußte er noch nicht.
Der König fügte sich drein, und die Hochzeit wurde für den nächsten Tag schon vorbereitet.
Bereits am frühen Vormittag rauschte eine prachtvolle Kutsche in den Schloßhof, ganz schwarz und gezogen von sechs kohlpechschwarzen Rappen. Eine würdevolle Dame entstieg der Kutsche, und kaum hatte sie den Saal betreten, da beherrschte sie schon alles: Bedienstete, Hofleute und das Königspaar.
„Ein Köhlerssohn soll eure Tochter zur Frau bekommen?“ keifte sie. „Pfui Spinne!“ Und schon krochen aus ihrem schwarzseidenen Gewand genau diese: haarige dicke Spinnen in langer Prozession. Wimmelnd ergossen sie sich über den Boden, bald hatten sie Jakob umringt. Noch immer krochen Spinnen aus dem schwarzen Gewand, und noch immer keifte die edle Dame, die nun schon gar nicht mehr so edel aussah. Je mehr Spinnen aus ihrem Kleid, aus ihren Haaren, ja sogar aus ihren Schuhen kamen, desto kleiner schien sie zu werden. Zuletzt stand ein häßliches altes Hutzelweib im Saal, mit einer langen spitzen Nase, auf der eine Warze saß.
Die Spinnen aber begannen an Jakobs Beinen emporzukrabbeln, und endlich wurde es Jakob zu viel. „Verschwindet! Ihr sollt von mir weggehn!“ rief er - und ach! Schon erhob sich wieder der Wind, der sich zu einer wilden Spirale zusammenballte, dabei wild heulte und die Blumen von der Hochzeitstafel blies. Wo der Wirbelwind den Boden berührte, wurden die Spinnen aufgesaugt, bis nicht eine einzige mehr im Saal herumkroch.
„Nun,“ dachte sich Jakob, „so habe ich meinen zweiten Wunsch vertan, doch scheints nicht zum Schlechten geraten zu sein!“ Denn die Alte war noch ein gutes Stück eingeschrumpft, und ihre Tochter - sie mußte es sein, da war Jakob sich sicher, war so dünn und durchscheinend geworden, daß man es hätte sehen müssen, wenn ein Brocken Bratenfleisch durch ihren Hals hinabgewandert wäre.
„Nun gut, dann soll es so sein!“ faßte Jakob seinen ganzen Mut zusammen, denn er war im Begriff seinen letzten Wunsch einzusetzen.
„Ich wünsche, daß alle die nicht reinen Herzens sind, auf immer in die Hölle fahren mögen!“ Ein gewaltiger Wirbelwind erhob sich, es fauchte und heulte daß es nur so eine Art hatte. Durch alle Winkel des prächtigen Saales fuhr der Wind, über Tische und Bänke, an den Wänden hinauf und in die gestickten Wandbehänge, in Töpfe und Schüssel und in den Kamin.
Dann war der Spuk vorbei: alles lag wieder still und friedlich, sogar eine Schüssel mit Kartoffeln war heil geblieben. Doch die stand nun nicht mehr auf einer festlichen Königstafel, sondern auf einem ganz gewöhnlichen Holztisch, blank gescheuert von tagtäglicher Arbeit. König und Königin saßen daran, aber nicht mehr mit Gold behängt und in prächtigen Kleidern. Pausbäckig und mit aufgewickelten Ärmeln beugten sie sich über die Schüssel, die schwieligen Hände ersetzten ihnen das Silberbesteck. Auch Merula war da, und noch immer war sie liebreizend anzusehen, und ihre lustigen Augen blitzten.
Und gerade, als die Knechte und Mägde zur schiefen niedrigen Tür herein in die Bauernkate traten, seufzte die Frau tief, und der Mann sagte „schweig still! Du und deine Wünsche! Du hast gesehen, wohin sie uns gebracht haben.“
„Du hast ja recht. Königin zu sein mag eine feine Sache sein - doch ist der Preis zu hoch. Was bin ich froh, daß unsere liebe Tochter Merula wieder bei uns ist, daß Wikala und Hagzissa fort sind und daß unser guter Jakob das alles bewerkstelligt hat!“ rief die Frau und schloß Jakob in die Arme und drückte ihn, daß ihm Hören und Sehen verging.
Und so hatte Jakob zwar keine Prinzessin zur Frau gewonnen, aber das muß für einen armen Köhlerssohn ja auch nicht unbedingt sein. Er und seine Merula waren glücklich und zufrieden, und wenn sie im Herbst auf ihrem Acker vor der Bauernkate die Kartoffeln ausmachten, so fanden sie in jedem Jahr wieder eine dicke Kartoffel mit Knubbelnase, lustigem Mund und lachenden Äuglein, und wenn sie nicht gestorben sind, dann haben sie auch in diesem Herbst wieder eine gefunden...
Marieta Hiller, zur Zeit der Kartoffelfeuer im September 2012