Stellt euch ein Land vor, in dem Elfen, Zwerge und andere vom Kleinen Volk mitten unter den Menschen leben - wie müßte dieses Land wohl aussehen?
Kalt und eisig wäre es wohl, denn man rückt hier gern zusammen. Eine uralte Lavalandschaft mit sanften Hügeln, verborgenen Höhlen, verträumten Seen müßte es sein, mit viel Licht aber auch einer guten Portion Dunkelheit. Hier könnten wohl Menschen und Elfen einträchtig nebeneinander existieren...
Und tatsächlich: sah ich dort nicht eben etwas huschen? Lustige kleine Elfenkinder auf dem Weg von der Elfenschule, wie sie nach ihren Licht- und Energieübungen flugs in einem schattigen Lavahügel verschwanden? Geradewegs mitten durch einen Garten hindurch, wo eine Menschenfamilie lebt! Direkt vorbei am alten Leuchtturm und zwischen der Hellisgata, der Skulaskejo und der Reykjavikurvegur verschwunden!
Richtig, liebe Märchenfreunde: in der legendären Elfenstadt Hafnarfjördur auf Island, dort gibt es das. Hier sind die Menschen stolz auf ihre Elfen, auf Feen, auf Zwerge und Gnome. In dieser kleinen Stadt bauten die Menschen sorgsam ihre Häuser rings um die alten Lavahügel, in denen schon seit Urzeiten die Wesen des Kleinen Volkes leben. Hier gibt es sogar einen Stadtplan, in dem die Behausungen dieser Wesen eingetragen sind: die einzige Elfenkarte der ganzen Welt. Gezeichnet hat sie Erla Stefansdottir, die wohl alle Angehörigen des Kleinen Volkes, hier auch Huldufolk genannt, persönlich kennt. Denn wie anders sollte sie deren Behausungen wohl in eine Karte einzeichnen können, wenn sie nicht schon überall zum Kaffee eingeladen worden wäre. Über zwanzig Zwergenwesen, vier Sorten Gnome und unzählige Elfenarten kennt Erla, und nur weil sie - wie die allermeisten Isländer übrigens - an diese Wesen glaubt, darf sie sie besuchen und verzeichnen. Der verborgene Geist der Natur persönlich zeigt sich in ihnen, und hier in Hafnarfjördur können Menschen eins werden mit ihm. Wer von uns, der einmal eine Elfe oder Fee besucht hat, würde jemals wieder etwas zum Schaden der Natur tun? In einer winzigen Blüte, einem wundersam geformten Lavastein, in einem weiten Blick über farbenfrohe Sonnenuntergänge über dem Meer kann der Eingang in die Zauberwelt liegen, in der die Wahrheit des Lebens sich zwischen den geschäftigen Menschen und dem geheimen Huldufolk vereint.
Elfenkinder übrigens tun nichts lieber, als mit Menschenkindern zu spielen! Wir müssen unseren Kindern nur einmal zuhören, dann werden wir es schon erfahren...
Und das Dreieck zwischen den Straßen mit den schwierigen Namen, in dem vorhin die Elfenkinder verschwunden sind, ist der eigentliche Schatz von Hafnarfjördur: der Hellisgerdi Park. Hier leben unzählige Verborgene Leute, Baumzwerge, Gnome, Blumenfeen, Lichtfeen und Freundliche Zwerge.
Und auch wer noch nicht zum Kaffee eingeladen war, erkennt vielleicht ihre Häuser am Lichtkranz, der darüber schwebt. Vor allem rings um die menschlichen Kirchen - Orte der Spiritualität und des Glaubens - zeigt sich oft ein solcher Lichtkranz. Zarte Elfen und lebhafte Zwerge gemeinsam weben im Süden der Stadt ihre Kräfte aus Licht und Energie, um das große Aluminiumwerk der Menschen zu umgeben. Zuweilen steigt ein übermächtiger Lichtkranz in den hohen Himmel empor, von ungläubigen Menschen Nordlicht genannt, wir aber liebe Märchenfreunde, wir wissen es besser: es ist die schützende Energie des Huldufolks.
Die Wesen des Kleinen Volkes auf Island:
es gibt natürlich vor allem Elfen - dort auch Alfar genannt. Sie sind recht unterschiedlich in Größe und Statur: manche dick und groß, andere schlank und winzig. Die Lichtfeen, isländisch ljosalfar, wirken sehr zart und durchscheinend und halten sich vorwiegend an Seen oder in unberührten Gegenden auf. Sie sehen sowohl Engeln als auch Blumenfeen recht ähnlich. Auch mit den ljuflingar, den lovelings der Hügelländer, den Hochelfen der nordischen Sagenwelt, kann man sie schnell verwechseln. Engel (isl. englar)wiederum sind in vielen Arten vertreten, immer aber sehr leuchtend. Ihr oberstes Wesen ist der Berggeist, auch tivar genannt, was wohl aus unser aller gemeinsamen Sprachwurzel deva (sanskrit; auf latein deus, französisch dieu) entstammt.
Dann gibt es noch die erdverbundeneren Wesen: die Verborgenen Leute, die eigentlich als Huldufolk bekannt sind. Man kann sie leicht mit Menschen verwechseln, und immer treten sie buntgekleidet in größeren Gruppen auf. Die Gnome, nach Paracelsus eines der Elementarwesen der Erd- oder Berggeister, auf isländisch jarodvergar, werden nur eine Handspanne groß, sind lustig und leben in richtigen Familien wie die Menschen. Dvergar dagegen, die Zwerge, werden etwas größer - so groß wie unsere Kinder etwa, die noch an Märchen glauben - sie sind auf Island als farbenfroh und temperamentvoll bekannt, mal fröhlich und freundlich, mal aber auch garstig und häßlich.
Insgesamt muß gesagt werden, daß die Artenvielfalt dieser Verborgenen Wesen des Kleinen Volkes nur an einem Ort entstehen konnte und auch erhalten werden kann, an dem es für Menschen zwischen Licht und Dunkel, zwischen Nordlicht und Hügelschatten, nicht viel anderes gibt als die Natur. Und so hat die Natur im Glauben der Menschen hier auf der eisigen Insel einen besonderen Stellenwert. Und wer weiß: gehen wir auf der ganzen Welt erst einmal wieder sorgsam mit unserer Erde um, vielleicht kommen sie allerorten wieder hervor: die Kleinen Leute, und ihre Kinder werden mit unseren Menschenkindern im Sonnenlicht spielen...
Pfade der Energie: Drachenlinien, songlines, Nazca
Viele Menschen glauben an sie: die Ley Linien, sogenannte Kraftlinien, die Orte von besonderer spiritueller Bedeutung miteinander verbinden. Es gibt sie auf der ganzen Welt. In China werden sie Drachenlinien genannt, denn dort gilt der Drachen als Glücksbringer, als Hüter der Erde und des Himmels. Die australischen Aborigines kennen sie als uralte Songlines, und auf der Hochebene von Nazca in Peru sollen unbekannte Menschen lange vor unserer Zeit geheimnisvolle Lichtwege durch Scharrlinien markiert haben. Und - wer hätte das gedacht: gerade um Hafnarfjördur, am Helgafell (Fell ist isländisch für Berg) kreuzen sich einige wichtige Kraftlinien.
Doch ach, nicht jeder spürt sie - ja vielleicht ergeht es manch einem mit den Kraftlinen ähnlich wie in Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern...
Man kann dran glauben, aber man muß es nicht.
Marieta Hiller, 2015 - oft hat Kobold Kieselbart dieses Märchen erzählt bei seinen Felsenmeerführungen...