Eins kann ich Ihnen sagen, liebe Leser: als Lampengeist hat man es oft schwer.

Durch Jahrhunderte steckt man fest in einem blöden Gefäß wie einer Lampe oder einer Flasche, man darf nur heraus, wenn es einem Menschen gelungen ist, seine Putzwut auf das richtige Objekt zu konzentrieren, und dann geht der Ärger erst richtig los... Wir, also das Licht aus der Lampe und ich, wir sind ein altes Märchenmotiv, das schon Scheherazade in ihren 1001 Märchen verwendete, um Ruhe zu haben: Aladin findet in einer Höhle - wo sonst! - eine alte Lampe, die dringend poliert werden muß. (Übrigens: Aladin ist arabisch und heißt Al ad din, das bedeutet der Gläubige).

Dabei erscheint der Lampengeist, also ich, und die wohlbekannten drei Wünsche dürfen genannt werden. Während ich weiterhin in der Lampe schmachten muß, macht die Geschichte von mir und der Lampe eine steile Karriere. Von Scheherazade über unzählige Generationen von Märchenerzählern (Märchen, pah!) wandert sie bis zu den Gebrüdern Grimm, die Folgendes niederschreiben: ein betrogener Soldat fördert eine Lampe aus einem tiefen Brunnen zutage, der einer Hexe gehört. Indem er die Lampe anzündet, erscheint ein blaues Licht und mit ihm ein kleines schwarzes Männchen (hoppla, da bin ich wieder!).

Mit dessen Hilfe bekommen zu guter Letzt alle Beteiligten, was ihnen gebührt. Das Grimmsche Volksmärchen gibt es auch als Kunstmärchen von H. C. Andersen. Er jedoch verschonte mich vor dem wiederholten In-die-Öffentlichkeit-gezerrt-werden und ließ dem Licht des Feuerzeuges drei Hunde entspringen. Ich kann gar nicht sagen, wie froh ich damals war. Sollten sich doch die Hunde mal mit den Menschen herumärgern…

Die Geschichte vom Blauen Licht muß die Menschen, diese seltsamen Wesen, ja schon immer stark fasziniert haben: es gab sogar einen Film, der im Jahr 1932 von einer gewissen Leni Riefenstahl gedreht wurde, die sich damit Tür und Tor in die Welt der Nationalsozialisten mit ihrem kranken Menschenbild öffnete. Ein Mädchen kennt als Einzige (im Film natürlich, wie sich das in der Realität verhält, weiß auch ich nicht...) den Weg zu einer geheimnisvollen Grotte, aus der bei Vollmond blaues Licht scheint. Alle Männer des Dorfes sterben bei dem Versuch, in die Höhle zu kommen, und das Mädchen wird als Hexe verdammt. Na ja, lassen wir das mit der Riefenstahl und ihrer Herrenrasse, zum Glück gibt es ja heute viel bessere Filme, sogenannte Märchenfilme. Ja ja, Märchenfilme!

Den Menschen genügt es nämlich nicht mehr, Märchen nur zu erzählen, auch mit dem Niederschreiben wie die Brüder Grimm sind sie nicht mehr zufrieden. Das blaue Licht flimmert aus diesen seltsamen Kästen, die in den Wohnzimmern fast aller Menschen stehen und Krach machen. Ein Gutes hat es: die Menschen kommen nicht mehr so oft auf die Idee, sich drei Wünsche zu wünschen, die sie dann für dummes Zeug verplempern...

Der Märchenfilm, den ich meine, heißt - wie auch anders - „Das Blaue Licht“ und ist ein Märchenfilm des Hessischen Rundfunks. „Vor Schloss Fasanerie in Eichenzell werden Mädchenträume wahr. Eine Prinzessin in güldener Robe wandelt durch die Gärten, da kann der Prinz nicht weit sein. Sicher ist, dass der Hessische Rundfunk in der Märchenverfilmung "Das blaue Licht" für ein Happy End sorgen wird,“ so der Sender. Mädchenträume, so so. Mal sehen, was sich in Mädchenträumen so gewünscht wird... Bestimmt wieder nur sehr törichte Sachen! Dieser Märchenfilm ist übrigens nicht der erste: schon einmal war „das blaue Licht“ verfilmt worden: 1976 in der DDR, wo eine der wenigen weiblichen Regisseure des Landes, nämlich  Iris Gusner einen Ausflug ins Märchengenre machte. Ihr eigentlich wichtigstes Thema drehte sich um das Leben der Frauen, und ihr allererster Film von 1973 war verboten worden.

Wir Lampengeister und kleinen schwarzen Männchen und unsere Kollegen fragen uns oft: „Was hat es auf sich mit dem Blauen Licht?“ Geheimnisvoll scheint es Menschen anzuziehen wie ein Magnet. Der Dichter Hermann Hesse ließ im „Steppenwolf“ eine rätselhafte Neonschrift auf einer alten dunklen Backsteinmauer erscheinen, mal da, meist jedoch nicht. Die blaue Schrift half durch eine Pforte - ein Weg zur Flucht. Flucht aus der Realität, Flucht aus dem Alltag, Flucht aus der Langeweile, blaues Licht soll die Konzentration steigern und gegen Neurodermitis helfen, blaues Licht vertreibt Müdigkeit und - böse Hexen, ungerechte Könige, was halt gerade so anfällt...

Blablabla – blau! Lampengeister, kleine schwarze Männchen und Kollegen haben es wahrhaftig nicht leicht: das Leben in einem engen Gefäß, dem kein Mensch sein geheimes Innenleben ansehen kann, ist wirklich kein Sonntagsspaziergang. Setzt dann ein Mensch - immer durch Zufall, niemals durch kluge Kombinationsgabe - den Einwohner der Lampe frei, so folgen die albernsten Wünsche, ohne Besinnung und Konzept direkt vom Herzen auf die Zunge und schwupp - ausgesprochen. Welche Schwierigkeiten wir armen Lampengeister oftmals mit den törichten Menschenwünschen haben, zeigt diese lustige Anekdote, die ich zwar nicht selbst erlebt habe, die mir aber von einem völlig demotivierten Lampengeist erzählt wurde: „Ein Mann findet am Strand eine alte Lampe. Er ist Kunstsammler und poliert die Lampe gründlich. Natürlich erscheint der betreffende Geist und - ich muß sagen, er war schon damals reichlich demotiviert - schimpft aufs Übelste: ‘Ich bin der Geist der Lampe. Ich hassse das. Schon zum dritten Mal in diesem Sommer stört man mich bei meinem Mittagsschlaf! Und dann diese Wünscherei! Nein, mehr als einen Wunsch ertrage ich heute nicht. Du hast genau einen Wunsch frei, und hüte dich zu handeln!’ ‘Nun ja,’ denkt sich der Kunsthändler, ‚ich wollte ja schon immer auf den Himalaya, aber zu Fuß ist es mir zu anstrengend. Bau mir eine Standseilbahn hinauf bis aufs Dach der Welt.’ - ‘Bist du ganz von Sinnen? Weißt du was das kostet? Und die Naturschutzbehörde wird uns gleich einen Strich durch die Rechnung machen! Und überhaupt, was willst du dort oben?’ Der Mann bedachte alles noch einmal und lenkte ein: ‘Gut, dann hier ein anderer Wunsch: schon immer wollte ich die Frauen verstehen, was meinen sie wirklich, wenn sie "hmm" sagen, und was bedeutet "nein" tatsächlich?’ Der Lampengeist verdrehte die Augen, ihm sausten die Ohren, der Blutdruck sank ins Bodenlose, schon war er fast wieder in der Lampe verschwunden, nur ein letzter nebliger Dunst hing noch darüber. Der Mann aber bestand darauf, daß er einen - und leider nur einen! - Wunsch frei habe. Da raffte sich der Lampengeist auf, riß sich zusammen, schluckte alles runter, was er noch sagen wollte und fragte: ‘soll die Standseilbahn rote oder blaue Sitzpolster haben?’ So werden wir zermürbt, ein Wunsch dämlicher als der vorhergehende, und selbst wenn wir nur noch einen einzigen Wunsch gewähren, müssen wir uns mit solch frustrierenden Dingen befassen - es ist zum In-die-Lampe-Fahren! Auf Wiedersehen in 1001 Jahren – frühestens! Euer Lampengeist"

Marieta Hiller