Es war einmal vor langer langer Zeit, als es noch keinen elektrischen Strom gab und die Häuser noch gemütliche Dachböden für ihre Hausgeister hatten.
Da lebte in einer ärmlichen Kate auf einer Waldlichtung ein armer Lohmüller in seiner Mühle. Es war Winter, und so schwieg die Mühle still, denn die Bauern brachten im Winter keine Rinde zum Klopfen.

Erst wenn die Säfte des Frühlings wieder in die Bäume stiegen, würde es wieder lebhaft werden im Wald. Dann kommen die Kinder, Frauen und Greise wieder zum Rindenschälen, liefern ihre Bündel in der Mühle ab, die dann die Gerberlohe daraus herausklopft. Klipp klapp, macht die Mühle dann, in jenen fernen Tagen, wenn die Schmetterlinge über bunte Blumenwiesen flattern und die Sonne warm vom Himmel scheint. Jetzt aber war Winter.

Kalt und grau waren die Tage, kalt und schwarz die Nächte. Tisch und Schüssel sahen keine fetten Würste mehr, nur Sauerkraut und Steckrüben. An so einem kalten grauen Tag stieg der Müller von seinem feuchten Bachgrund hinauf auf die waldige Höhe, um dem schwarzen Mann, dem Köhler, einen Besuch abzustatten. Auch er hockte müßig in seiner kalten Hütte, kein Meiler war zu bewachen, und auch die Räuber hatten sich seit langem nicht mehr sehen lassen in dieser kalten Zeit. Im Frühling und im Herbst brachten sie stets eine dicke Speckseite mit von ihren Raubzügen.

Im Winter aber war Hungerszeit: Kartoffel mit Salz aber ohne Schmalz war die gewöhnliche Speise der Köhlersleute. Als die beiden so, mit knurrendem Magen, durch den Wald strichen - natürlich waren sie auf der Pirsch, aber das dürft ihr dem Jagdaufseher nicht erzählen! - da kamen sie auch zum alten Bergwerk, aus dem übers Jahr das Erz geschürft wurde, das mit des Köhlers Holzkohle zu reinem Eisen wurde. Doch jetzt ruhte auch das Bergwerk.

Nur eine kleine Maus huschte aus dem finsteren Stollen, just als Köhler und Müller dort ankamen. Wie aber staunten beide, als die Maus mit feinem Stimmchen anhub zu sprechen! „Ach ich arme Maus, bin gerade noch dem Tod entkommen in diesem Herbst, und jetzt soll ich Hungers sterben?“ „Wie das, kleine Maus?“ fragte der Müller. „Nun, weißt du denn nicht daß die Menschen im Berg uns Mäuse als Wächter haben? Wenn eine von uns ohnmächtig wird, weil sich am Boden giftige Luft sammelt, dann wissen die Menschen daß es Zeit wird zu verschwinden. Wir Mäuse wissen das natürlich auch, und meist sind wir - husch wie der Wind - hinaus, bevor es eine von uns erwischt. In diesem Herbst aber, da mußten mich drei aus meiner Familie mühsam hinauszerren, denn ich habe es nicht rechtzeitig gemerkt.“

„Das wußte ich nicht!“ - „Ich auch nicht. Aber warum mußt du jetzt Hungers sterben? Hast du denn keinen Vorrat angelegt im Herbst?“ fragten Müller und Köhler. Vergessen hatten sie schon, daß es eine Maus war, mit der sie da sprachen, so verständig schaute die Maus beim Erzählen.

„Oh, ja. Das ist eine dumme Geschichte. Und ihr dürft sie keinesfalls jemandem erzählen, denn sie hat mit dem Kleinen Volk zu tun!“ Müller und Köhler versprachen es, und so begann die Maus zu berichten:

„es war vor wenigen Tagen, und ich labte mich wie gewohnt an den guten Äpfeln, die vom Baum auf der Hollenwiese fielen. Auch vom Brot, duftend frisch aus dem Hollenofen, naschte ich ein wenig. Doch plötzlich springt eine riesige schwarze Katze auf mich, mit weit aufgerissenem Maul und spitzen Zähnen! Gerade noch konnte ich mich in Sicherheit bringen, und aus meinem Versteck hörte ich, wie eine häßliche Alte zu der Katze sprach: ‘der Apfelbaum will gerüttelt und geschüttelt werden, das Brot ist schon lange gut, soweit stimmt ja alles. Nun aber hilf mir die alte Hexe mit ihren Federbetten finden, ich will ihr schon helfen, meine liebe Tochter mit Pech zu überschütten!’
Ohje ohje dachte ich mir da, das hört sich nicht gut an... Die Alte ließ die Katze zur Wache beim Ofen zurück, so daß ich nicht aus meinem Versteck konnte. Und die Katze tat ihre Arbeit gut! Was sie aber nicht wußte, während sie dort am Ofen hockte und mein Schlupfloch nicht aus den Augen ließ, das war daß ich einen zweiten Ausgang aus meinen unterirdischen Gängen wußte. Der lag direkt unter dem Hollerbusch an deiner Mühle, Müller, und dort schlupfte ich hinaus. Aber als ich in deine Vorratstöpfe blickte, da traten mir Tränen in die Augen, und ich lief flugs weiter.
Doch auch bei dir, Köhler, ist Schmalhans Küchenmeister. Und mit Verlaub, Kartoffeln mit Salz aber ohne Schmalz sind meine Sache nicht. So kam ich hierher, zum Bergwerk.
Aber meine Hoffnung auf eine deftige Wurststulle in einer der Bergmannstaschen wurde enttäuscht, still liegt das Bergwerk und tot. Und ich habe solchen Hunger!“ So sprach die Maus, und die beiden Menschen konnten sie gut verstehen, denn auch ihnen knurrte der Magen.

„Liebe kleine Maus,“ sprachen sie, „wie können wir dir helfen?“ „Wollt ihr das wirklich tun? So soll es euer Schaden nicht sein! Jagt nur die böse schwarze Katze vom Ofen fort, so will ich zu Frau Holle springen und ihr von der häßlichen Alten berichten, die auf dem Weg zu ihr ist. Vielleicht ist es noch nicht zu spät!“ Köhler und Müller versprachen der Maus in ihre winzige Pfote hinein, daß sie die Katze schon vertreiben wollten. Beide waren neugierig, wie eine kleine Maus es wohl anstellen wollte, ihnen beiden die Bäuche zu füllen. Doch weil das Mäuslein gar so wunderlich war, dachten sie sich: „batt’s nix, so schad’s nix.“

Der Müller hatte einen alten Sack bei sich, denn beide hatten sich ja zum Wildern verabredet. Da hinein kam jetzt die schwarze Katze, die das Fell sträubte und einen gewaltigen Buckel machte. Doch so sehr sie auch fauchte und schrie, es half ihr nichts. Und schon witschte die kleine Maus aus ihrem Loch gleich beim Ofen und sprang in großen Sätzen hinauf zum Haus der Frau Holle. Man sah sie als winziges Pünktchen die Stufen hinaufhüpfen, gerade drei Schritte vor der häßlichen Alten. Da plötzlich zischte es, und die häßliche Alte verschwand!

Nur eine schwarze Rauchsäule stieg zum Himmel auf. Der Sack des Müllers aber, in dem die schwarze Katze war, der war auf einmal merkwürdig schwer geworden. Gespannt warteten Köhler und Müller, was wohl weiter geschehen würde. Es dauerte auch gar nicht lang, da schaute die Holle aus ihrem Fenster heraus, schüttelte gewohnheitsmäßig ein bißchen die Federn aus und rief die beiden Menschen herbei. „Köhler und Müller seid ihr, und könnt vor Hunger nicht schlafen?“

Beide nickten und traten zaghaft ein paar Schritte näher. „Nun, so schaut nur in euren Sack! Ihr habt der Bergwerksmaus geholfen damit sie mich vor der bösen Alten warnen konnte, die immer so gemein zur Goldmarie ist und die Faulheit ihrer anderen Tochter lobt. So sollt ihr auch euren Lohn bekommen!“ Der Köhler sah den Müller an, der Müller sah den Köhler an. Beide fürchteten sich davor, in den Sack zu schauen, denn die Holle war sehr mächtig.

Doch als sich der Müller endlich ein Herz faßte und den Sack öffnete, da wagte der Köhler einen Blick hinein, und was glaubt ihr wohl, was darinnen war? Eine goldene Spindel lag obenauf. „Wann immer du Hunger hast, Köhler, laß deine Frau einen Faden spinnen. Die schönsten glänzenden Würste sollen daraus werden, die teilst du mit dem Müller! So werdet ihr nie mehr Hunger leiden müssen. Unter der Spindel fand der Köhler, der sich nun ein Herz faßte und in den Sack hineinlangte, ein frisch gebackenes duftendes Brot und rotbackige Äpfel, so saftig und knackig, daß ihm das Wasser im Munde zusammenlief. Nun griff auch der Müller beherzt in den Sack und zog einen dicken Wurstring heraus.

Für die Maus aber war ein herzhafter Käse mit vielen Löchern drin, und aus denen schaut sie jetzt zufrieden und satt heraus, und das Märchen ist aus.

Marieta Hiller, in den Rauhnächten Dezember 2012