Vor langer langer Zeit, an einem Ort gerade so wie hier oder auch ganz wo anders, da lebte in einem Wald auf dem Hügel ein armer Korbflechter. Mühselig hatte er im Herbst, kaum daß die Blätter gefallen waren, tagein tagaus seine frischgeschnittenen Weidenruten vom Bach hinauf in seine Hütte geschleppt, wo er des Abends mit Frau und Kindern Körbe flocht. Alle mußten helfen: die Kinder mußten die Ruten schälen, die Frau holte in schweren Eimern das Wasser zum Einweichen herbei. Nur den Korbmacherhobel, sein kostbarstes Werkzeug, durfte nur der Vater benutzen. Die dicken Ruten mußten gespalten werden, und für ganz feine Körbe wurden Späne aus ihnen gezogen. Wenn es Frühling wurde, dann zog die ganze Familie, über und über beladen mit Körben, zum Markt hinunter in die große Stadt. Große Körbe, in denen die Dienstmägde der Reichen die Weißwäsche zum Bleichen auf den Anger trugen, kleine Körbe für Brot und Eier, feine Körbchen für die Sächelchen der Damen und grobe Körbe für dickbauchige Flaschen voller Most hatten sie sich umgebunden. Selbst die Ziege war breit ausladend mit Körben behängt. Alljährlich zum Matthaisemarkt traf sich unsere Korbflechterfamilie mit anderen armen Leuten, die von der Hand in den Mund lebten und hier ihre Sachen feilhielten: Besenbinder, Leineweber, Kesselschmiede, Kammmacher. Doch bevor es so weit war, mußte Konrad, der älteste Sohn, hinunter zum Bach, um frische Weidenruten zu schneiden. Die wollte der Vater nicht zum Körbeflechten, sondern zum Pflanzen. Denn Weidenruten, im frühen Frühjahr geschnitten, treiben in der Erde gleich wieder aus. Der Vater hoffte seit vielen Jahren, so gleich bei seinem Häuschen die begehrten Bäume anzusiedeln. Doch seit ebenso vielen Jahren war das vergeblich: die Ruten wurzelten zwar an, sie trieben auch aus, doch dann vertrockneten sie. Konrad seufzte, als er mit vollen Armen voller Weidenruten zurück den Berg hinauf wanderte.
„Ach“, wenn sie doch nur wachsen würden“.
Was er nicht bemerkte, das war ein feiner silbriger Staub, der bei seinen Worten aus einer der kleinen festen Knospen in seinem Arm herausstäubte. Er ging weiter und seufzte wieder:
„Ach, wenn doch der Weg nur nicht so weit wäre - wenn sie doch nur bei unserem Häuschen wachsen würden...“
und wieder stäubte es - unbemerkt - aus einer kleinen festen Knospe. Zum dritten Male, er war schon kurz vor der Anhöhe, seufzte Konrad aus tiefstem Herzen:
„Ach, wenn wir es doch nicht so schwer hätten! Wenn sie doch nur wachsen würden...“
und da - wieder stäubte es feinsilbern - da sah er es endlich auch. Der Staub drang aus einer festgeschlossenen Knospe, sie öffnete sich, ihre harten Blättchen rollten sich auf, und heraus lugte ein Weidenkätzchen mit weichem grauem Fell. Konrad strich versonnen darüber. Doch was war das? Das Weidenkätzchen bewegte sich, es reckte sich und streckte sich, und endlich war es ein winziges Wesen mit Ärmchen, Flügelchen und einem niedlichen silbernen Haarschopf. Neugierig schaute das Wesen sich um, bis es endlich Konrad entdeckte. Wie aber erstaunte der, als das Weidenkätzchenwesen zu sprechen begann! Mit feinem glockenhellem Stimmchen sprach es zu ihm:
"du hast dreimal schwer geseufzt, du hast dreimal einen Wunsch getan. Du sollst deinen Wunsch bekommen!“
Konrad wußte nicht wie ihm geschah. „Wer bist du, und wie kannst du mir meinen Herzenswunsch erfüllen?“
„Das ist leicht!“ lachte die kleine Gestalt silberhell. „Ich bin eine Elfe - wußtest du etwa nicht, daß Elfen in Weidenkätzchen überwintern, und daß du sie wecken darfst wenn du einen Herzenswunsch hast? Nun, hier bin ich!“
Konrad konnte es kaum fassen und setzte sich auf einen Stein. „Du bist eine Elfe! Und du willst mir wirklich helfen? Daß Vaters Rücken wieder gerade wird und Mutters Hände weich und sanft? Daß Klein-Rieke keine zerschnittenen Finger mehr hat und ich nicht mehr schleppen muß?“
„Nun, ehrliche Arbeit will ehrliche Mühe. Da beißt die Maus keinen Faden ab.“ sprach die Elfe. „Aber etwas erleichtern kann ich sie euch schon. Laß mich nur machen.“
Und die Elfe rief mit glockenheller Stimme:
“ihr Elfen alle, wacht auf! Es gibt Arbeit für uns.
Neugier Kuschelwarm Sanftmut
Zappelchen Zufriedenheit Liebe
Herzensgüte Frische Ehrgeiz
Pudding Zwetschgenkuß Wirbelwind
Leberwurst Hibbelchen Goldhelmchen
Harmonie Licht in der Nacht Silberzahn
Monsterschreck Honigsüß
Aufwacheeeeen!“
„Was sind das für Namen? Wen rufst du denn da?“ fragte Konrad, doch da knisterte und kicherte und krispelkraspelte es auch schon in allen Knospen. Überall kamen verschlafene kleine Silberwesen hervor, rieben sich die Augen und schüttelten ihre silbrigen Haarschöpfe.
„Ach, das sind die 21 Elfen, die in den Knospen der Korbweide leben! Ihr Menschen könnt das ja nicht wissen, ihr denkt es sind 21 Schmetterlinge, deren Raupen von der Weide fressen. In Wirklichkeit sind wir aber waschechte Elfen. Und
Neugier Kuschelwarm Sanftmut
Zappelchen Zufriedenheit Liebe
Herzensgüte Frische Ehrgeiz
Pudding Zwetschgenkuß Wirbelwind
Leberwurst Hibbelchen Goldhelmchen
Harmonie Licht in der Nacht Silberzahn
Monsterschreck Honigsüß
das sind unsere Namen. Ich selbst aber, ich heiße Glück. Und du kannst von Glück sagen, daß du mich als Erste aufgeweckt hast. Stell dir nur vor, du hättest Monsterschreck geweckt, oder Leberwurst!“
„Ja, lebt ihr denn immer in den Weidenknopsen? Und wie haben denn dann die Weidenkätzchen darin Platz, die später so schön groß werden?“ wunderte sich Konrad.
„Ach, das ist einfach!“ rief Glück. „Wir Elfen haben keine Wurzeln, und wir werden auch nicht geboren, wir müssen nicht essen und - sind wir erst einmal wach - so schlafen wir auch nicht mehr.“
„Ja, aber wo kommt ihr denn dann her, wenn ihr nicht geboren werdet und auch nicht aus Wurzeln wachst?“ fragte Konrad.
„Ach, das ist einfach,“ sagte Glück wiederum. „Sobald bei Vollmond ein Tautropfen die Knospen der Weide benetzt, verwandelt sich das Weidekätzchen darin in eine Elfe. Doch keine Angst, es wird immer genug Kätzchen geben. Denn unserer sind niemals mehr als 21 an der Zahl:
Neugier Kuschelwarm Sanftmut
Zappelchen Zufriedenheit Liebe
Herzensgüte Frische Ehrgeiz
Pudding Zwetschgenkuß Wirbelwind
Leberwurst Hibbelchen Goldhelmchen
Harmonie Licht in der Nacht Silberzahn
Monsterschreck Honigsüß
- und Glück.
Und wir entstehen in jedem Frühjahr aufs Neue. Denn unsere Aufgabe ist es, für guten Wuchs zu sorgen. Oder glaubst du etwa, das ganze Auskeimen, Aufblühen, Wachsen und Werden passiert von ganz alleine? Nein, das ist unser Werk!
Kaum lugt aus den Blütenknopsen an den Bäumen das erste Rosa oder Weiß, kaum schiebt sich ein gelbes Blütenköpfchen aus dem tauenden Schnee, kaum beginnt es überall zu knispeln und knaspeln vor lauter Wachstum, da beginnt unser Arbeitsjahr.
Die Bienen müssen geweckt werden: sanft massieren wir ihre Beinchen und Flügel, damit sie nicht so zerknittert aussehen, wenn sie in den Frühlingssonnenschein starten. All die Käfer müssen poliert, die Regenwürmer angestupst, die Tiere aus dem Winterschlaf geholt werden. Im Frühjahr haben wir viel zu tun, und auch im Sommer. Da ist es vor allem der Korngeist, der uns viel Arbeit macht.“
„Der Korngeist?“ Kaum schaffte es Konrad, das Silbergezirpe der eifrigen Elfe Glück zu unterbrechen. „Wer ist denn der Korngeist?“
„Ach davon weißt du nichts, du baust ja kein Korn an. Die Bauern unten im Tal, die fürchten sich vor dem Korngeist. Sie glauben, daß er ihre Felder verwüstet, daß er Regenstürme ins reife Korn schickt und die Halme umlegt. Sie sagen dann, der Korngeist hat sichs im Feld gemütlich gemacht. Und sie flechten aus Palmzweigen Schutzkränze für ihre Felder.“
„Und was macht ihr gegen den Korngeist?“
„Ach, das ist einfach: wir passen auf das Korn auf, und wenn der Bauer bescheiden ist und seine Leute gut behandelt, dann kommt er schon nicht, der Korngeist.“ rief Glück.
„Aber ich hab dir noch nicht zu Ende erzählt, was wir das ganze Jahr so alles tun müssen. Wenn der Sommer geht, dann kommt die Zeit der Ernte, und dann zeigt sich, bei welchem Bauer eine Elfe ihr Zuhause gefunden hat, und bei wem nicht. Wer auf uns Elfen achtet und immer friedlich und freigebig mit seinen Sachen ist, der bekommt nämlich seine persönliche Elfe.“
„Aber ihr seid doch nur 21, und es gibt sooo viele Menschen!“
„Ach, das ist einfach! Weil wir ja nicht geboren werden, weil wir keine Wurzeln haben und weil wir nicht essen müssen! Wir können für alle da sein, die uns nötig haben.
Für jeden Menschen gibt es eine Elfe, und es ist immer genau die Elfe, die er braucht! Aber anstrengend ist das schon, puh!
Deshalb sind wir auch richtig müde, wenn die Ernte eingebracht, Haus und Hof winterfest gemacht, das Holz gehackt und die Vorräte gut verwahrt sind. Dann ist unser Werk getan, und wir dürfen ausruhen.“
Inzwischen waren Konrad und die Elfe Glück am Häuschen des Korbflechters angekommen, und siehe da: Konrad traute seinen Augen nicht! Ein dichter Zaun aus hochgewachsenen Korbweidenbüschen wuchs hinter dem Haus. Und gleich daneben sprang fröhlich ein kleines Bächlein aus einem Stein hervor, benetzte den Boden und nährte die Weiden. Übers Jahr war der Rücken des Korbflechters wieder gerade geworden, denn seine Körbe waren die schönsten, besten, geschmeidigsten und glattesten im ganzen Land, und die Käufer auf dem Matthaisemarkt rissen sie ihm geradezu aus den Händen. Die Hände der Mutter waren wieder sanft und glatt, denn alle jungen Mädchen aus dem Dorf waren begierig darauf, den Winter oben in der Korbflechterhütte zu verbringen, wo die Wunderquelle entsprang (vielleicht lag es auch ein bißchen an dem hübschen jungen Konrad?). Gern übernahmen sie das Wassertragen bei eisigen Winden. Klein-Rieke mußte auch keine Ruten mehr schälen, das taten die kleinen Brüder der Mädchen. Denn die konnten sich ja vor Neugier gar nicht lassen. Und jeden Abend gab es im Korbflechterhaus für alle, die gerade da waren oder des Wegs kamen, eine schöne dicke heiße Grützsuppe mit einem großen Stück Speck. Draußen aber, in den Knospen der Weidenkätzchen, da schlummerten Glück und ihre 20 Elfen dem Frühjahr entgegen, und bald schon, gar bald, werden die harten Blättchen sich aufrollen, und sie werden hervorlugen, die Weidenkätzchen mit ihrem weichem grauem Fell. Und wer weiß, vielleicht ist es ja gerade Deine Elfe, die da hervorlugt!
Marieta Hiller, zum Februarvollmond 2013