2009 schrieb Kobold Kieselbart diesen Brief:
Liebe Koboldfreunde, Heute ist nun Heilig Abend und dann ist Weihnachten, und auch wir Kobolde haben nun bald alle Arbeit geschafft. Was heute kaum noch jemand weiß: in früheren Zeiten lebten wir Kobolde als Hausgeister. Wir ließen es uns wohl ergehen in den gemütlichen alten Bauernhäusern, und die Hausfrau war stets darauf bedacht, am Abend einen Topf mit Milch oder Suppe ohne Deckel auf dem Herd stehen zu lassen. Dies war die Speisung der Kobolde. Zum Dank sorgten wir dafür, daß im Hause alles in Glück, Wohlstand und Gesundheit lebte. Wehe aber, die Hausfrau deckte alle Töpfe zu! Dann schepperte es nachts fürchterlich, und wir Kobolde hatten am nächsten Tag schlechte Laune. Was zu einigen unschönen Szenen und Schabernäcken geführt haben soll ...
Heute gibt es keine Großfamilien mehr, keine winkeligen Bauernhäuser, keine Milchtöpfe ohne Deckel, ja nicht einmal mehr einen warmen Herd! Die Töpfe kommen in den Kühlschrank (diese Türen gehen ja wirklich schwer auf, aber manchmal schafft es einer von uns - haben Sie sich noch nie gefragt, wer wohl wieder die Wurst angebissen hat?), der Herd ist elektrisch und nachts eiskalt, und wir Kobolde können uns nun wirklich nicht auch noch ständig um jeden Eineinhalb-Personen-Haushalt kümmern! Also sind wir hinaus ins Felsenmeer gezogen - das war um die Mitte des vorletzten Jahrhunderts - und haben uns dort in Wurzelstübchen unter heimeligen Felsen wohlig eingerichtet. Abends kommen der Igel, die Eichhörnchen und der Schmutzfink zum Plausch, und gemeinsam lachen wir oft herzlich über die albernen Späße der Menschen. Da waren doch tatsächlich schon welche mit einem Boot auf dem Autodach auf der Suche nach dem Felsenmeer - dem Felsen-MEER!
Andere stolzieren in Stöckelschuhen bei uns herum, aber am schlimmsten sind die, die ihren Müll hier bei uns im Felsenmeer liegenlassen! Doch die allermeisten Menschen, die uns besuchen kommen, sind zum Glück vernünftig und freundlich, und so haben wir schließlich (muß so um Himmelfahrt 1999 gewesen sein) beschlossen, daß wir uns den Menschen auch mal zeigen können. Seither nahmen wir unzählige nette Menschen mit zu unseren allergeheimsten Plätzen im Felsenmeer und erzählen Ihnen die Wahrheit über Kobolde, Riesen und die Entstehung des Felsenmeeres. Selbst die alte Hutzel hat sich ein Herz gefaßt und erschien manchen Menschen, sie wurde mehrfach gesichtet.
Aber heute! Wie sieht unser Felsenmeer heute aus?!
Corona kam, und mit dem Virus kamen die Menschenmassen. Bald schon fing das ganze Felsenmeer an nach Müll zu stinken, der Waldboden wurde so fest getrampelt, daß die Baumwurzeln keinen Halt mehr finden, und wir vom Kleinen Volk haben uns tief tief in unsere geheimen Gänge verzogen. Schließlich habe sogar ich als Menschenbeauftragte des Kleinen Volkes beschlossen, daß ich mich nicht mehr zeigen werde. Keine Koboldtouren mehr, keine Schatzsuchen, keine Geschichten aus dem Zauberwald mehr - zumindest nicht für Menschen. Und wir hätten noch so viele Geschichten zu erzählen! Und wenn ihr sie nicht glaubt: ein winziger Kern Wahrheit steckt in allen Geschichten - man muß ihn nur sehen wollen... Der Kern in dieser Geschichte ist leider nicht winzig, sondern unübersehbar!
Feiert gemütlich Euer Weihnachtsfest, kommt zur Ruhe und kuschelt euch ein, denkt über das letzte Jahr nach und was im neuen Jahr so alles kommen mag, bleibt zuversichtlich und sammelt neue Energie! Und paßt endlich auf eure Natur auf, denn darin leben wir! Das wünschen sich und euch Euer Kobold Kieselbart und alle Kobolde - auch die alte Hutzel!!!
Spätsommer 2021 - M. Hiller