Nibelungenkorn: Regionales Produkt mit Zukunft

Über die Informationskampagne der Ökomodell-Region Süd und die erste Vernetzungsveranstaltung im Januar gibt es Interessantes zu berichten. Nibelungenkorn und die unter dieser Marke angebauten Getreide Dinkel Emmer und Einkorn sind ein modernes Projekt mit Urgetreidearten, die schon vor tausenden von Jahren angebaut wurden. Seit 2016 endlich sind sie auch in Südhessen wieder im Anbau, so daß wir einheimische Urgetreide kaufen können. Über mehrere Jahre untersuchten Wissenschaftler diese Sorten und fanden heraus, daß sie sehr gesund sind.

Für den Landwirt sind sie eine Herausforderung: heutiges Getreide wurde gezielt niedrig gezüchtet, mit kurzem Halm. So bleiben die Ähren besser stehen bei Starkregen oder Sturm. Emmer und Einkorn aber sind urtümlich, mit hohem Halm, sie wachsen sehr schnell und hoch. Dadurch legt sich das Getreide bei Unwetter gern hin und läßt sich dann nur noch in mühsamer Handarbeit ernten. Außerdem sind die Körner von Emmer, Einkorn und Dinkel fest mit ihrer Schale verwachsen und die Mühle braucht Spezialwerkzeuge, um die Schalen zu entfernen. Aber so ist der innenliegende Getreidekern zugleich besser vor Pilzbefall geschützt. Dafür benötigen diese Sorten nicht soviel Dünger wie die gängigen Getreidesorten.

Insgesamt bringen die drei Urtypen daher geringeren Ertrag, trotzdem taten sich eine Handvoll Landwirte, die Herrnmühle in Reichelsheim und die Wasserschutzberatung (AGGL) in Südhessen zusammen, um diese Urgetreidearten wiederzubeleben. Sie hatten auch ganz schnell einen wundervollen Namen dafür gefunden: Nibelungenkorn! In einer kontrollierten und regionalen Wertschöpfungskette wird es nachhaltig und umweltschonend zu einem hochwertigen Produkt verarbeitet. Inzwischen sind im Odenwald einige handwwerklich arbeitende Bäcker mit in der Initiative, die von der Marketinggesellschaft Gutes aus Hessen vermarktet und durch die Ökomodellregion gefördert wird. Landwirte,  Müller und Bäcker in der Region erhalten eine angemessene Vergütung, und die Kulturlandschaft Odenwald erfährt eine Bereicherung.

Warum wählte man für dieses großartige Projekt ein schwieriges Nischenprodukt anstatt mit Weizen, Roggen, Gerste und Hafer einzusteigen? Darauf gibt Rainer Feick von der Herrnmühle Antwort: „Angefangen haben wir mit den Urgetreidearten Dinkel, Emmer und Einkorn, weil wir von diesen Sorten wissen daß sie ohne Chemie gut funktionieren. Ideen weitere Kulturen mit einzubauen sind in der Probe. Das muß aber alles erst einmal getestet werden, ob und wie es funktioniert, damit ich es dann ruhigen Gewissens meinen Landwirten empfehlen kann.“

Und warum nicht BIO? Das erklärt Frau Barrero-Stadler (AGGL) so: „es ist für die regionalen Landwirte schwierig, mit einem aufwändigen Produkt wie Urgetreide gleich auf BIO umzustellen, deshalb wird konventionell, aber ohne chemische Pflanzenschutzmittel gearbeitet. Damit leisten wir aktiven Wasserschutz für die Region.“

Auf dem Acker funktioniert das Projekt sehr gut nach acht Jahren, aber die Vermarktung ist das Nadelöhr. Deshalb wurden im Januar 2024 Handwerksbäcker und Landwirte zu einem Vernetzungstreffen eingeladen, auf dem Vermarktungsmöglichkeiten präsentiert wurden und Probleme diskutiert werden konnten. Ideen gibt es genügend, aber ihre Umsetzung in diesem kleinräumigen Rahmen mit geringen Mengen ist nicht leicht. Eine regionale Brauerei beispielsweise hatte sich interessiert gezeigt und wollte gleich 24 Tonnen ordern. Bei der lieferbaren Menge von einer Tonne winkte man ab. Industrielle Produktionsstrukturen lassen sich einfach nicht rentabel auf kleine Mengen einstellen.

Handwerksbäckereien in der Nachbarschaft jedoch berichten, daß ihre Backwaren aus Nibelungenkorn sehr guten Absatz finden.

Der Nibelungenkorn-Initiative liegt die Zusammenarbeit mit handwerklichen Bäckern sehr am Herzen. "Wenn ich nicht mehr dort mein Brot kaufe, dann wird in dieser Bäckerei irgenwann nicht mehr gebacken." So Silke Reimund vom AGGL. Bäcker - einer der ältesten Berufe der Menschheit: vom Aussterben bedroht? Hier ein Beispiel: Nieder-Ramstadt gehört zur Gemeinde Mühltal, die nicht ohne Grund so heißt. Seit 785 n. Chr. gibt es dem Lorscher Kodex zufolge drei Mühlen an der Modau. Im Laufe der Jahrhunderte entstanden zahlreiche weitere Mühlen, insgesamt lagen an der Modau 67 Mühlen. 18 davon gehörten zu Nieder-Ramstädter Gemarkung. Die meisten waren Getreidemühlen für die unzähligen Bäcker des Ortes, die meist den Darmstädter Markt belieferten. 1990 gab es nur noch zwei handwerkliche Bäckereien, 2021 ist keiner mehr da, der noch selbst backt. (Nachzulesen in "Das Tal der Mühlen", Arbeitskreis Heimatgeschichte Mühltal 2021).

Anbau alter Getreidesorten im Lorscher Freilichtlabor: Emmer und Urroggen sollen für mehr Vielfalt auf den heimischen Äckern sorgen, hierfür hat das zur UNESCO Welterbestätte Kloster Lorsch gehörende Experimentalarchäologische Freilichtlabor Lauresham im Jahr 2020 einen großangelegten Anbauversuch mit alten Getreidesorten in der Lorscher Gemarkung gestartet. Mit Unterstützung der Landwirte Matthias und Simon Helmling wurde auf einer Fläche von einem Hektar sowohl Emmer ausgesät als auch Waldstaudenroggen, der auch „Urroggen“ genannt wird. Beide Sorten werden in ganz Deutschland kaum noch angebaut. Der Leiter des Freilichtlabors, Claus Kropp, erläutert, daß sein Team damit nicht nur die Kultivierung alter, robuster Sorten fördern wolle, sondern mit den zu gewinnenden Produkten bereits weiterführende Pläne habe. So soll der Roggen nicht nur für leckeres Laureshambrot sorgen. Sein langes Stroh werde auch zum Decken eines neuen Hauses im frühmittelalterlichen Modelldorf des Freilichtlabors verwendet. Auch der Emmer, eine Weizenart, würde später in dieser Weise weiterverarbeitet. Das Freilichtlabor strebe Kooperationen mit dem regionalen Bäckereihandwerk an. Gemahlen wird das Lorscher Urgetreide in der Herrnmühle Reichelsheim.

Marieta Hiller, im Februar 2024

Ökomodellregion Süd Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! https://www.ladadi.de/bauen-umwelt/oekolandbau-modellregion-sued.html
https://suedhessen-isst-bio.de/
https://nibelungenkorn.de/

Januar 2024: Köstliches Urgetreide bald in aller Munde?

Im Nibelungenland gedeihen Emmer, Dinkel, Einkorn – wertvolles, köstliches Urgetreide. Und das liegt bei Verbrauchern voll im Trend. Damit bei den Kunden in den Bäckereien ankommt, was auf den Äckern im Odenwald wächst, will die Ökomodell-Region Süd eine Informationskampagne starten. Eine erste Vernetzungsveranstaltung gibt es am 29. Januar in Reichelsheim – Handwerksbäckereien sind herzlich willkommen.

Denn es sind schließlich die handwerklichen Traditionsbäckereien, die in der Region flächendeckend dafür sorgen, dass köstliche Backwaren produziert werden. Und das am liebsten aus Zutaten, die von heimischen Äckern und von regional ansässigen Landwirten kommen. „Wir freuen uns, wenn wir mit dem Aufruf möglichst viele Bäckereien auch im Kreis Bergstraße erreichen“, sagt Landrat Christian Engelhardt, der in der Lenkungsgruppe der Ökomodell-Region Süd sitzt. Denn das Projekt steht mit seiner vorbildlichen Wertschöpfungskette für Regionalität und Nachhaltigkeit. Vom grundwasserschonenden Anbau auf heimischen Feldern über die Verarbeitung in einer Odenwälder Traditionsmühle bis hin zum fertigen köstlichen Brot in der Ladentheke. Ein Projekt, das Zukunftspotenzial hat.

Die Idee hinter dem „Nibelungenkorn“ entstand bereits im Herbst 2015 durch eine Initiative der Wasserschutzberatung (Arbeitsgemeinschaft Gewässerschutz und Landwirtschaft, Otzberg), der Herrnmühle in Reichelsheim und einer Handvoll Landwirten. Um seine Potenziale voll zu entfalten, soll das Nibelungenkorn künftig noch stärker, noch flächendeckender in der Region verankert werden. Damit dies gelingen kann, sind regionale Akteure aus Backhandwerk und Landwirtschaft eingeladen, beim Start für die Informationskampagne dabei zu sein. In kurzen Vorträgen geht es um die Besonderheiten von Urgetreide: wie sich Bäckereien mit dem Einsatz dieses regionalen Produkts hervorheben können, aber auch, welchen Beitrag zum Umweltschutz der Anbau von Urgetreide leistet. Die Veranstaltung findet am Montag, 29. Januar 2024, um 15 Uhr im Landwirtschaftsamt in Reichelsheim, Scheffelstraße 11, statt. Eine Anmeldung ist erforderlich und funktioniert bequem online unter https://eveeno.com/nibelungenkorn oder telefonisch unter 0 61 51 881 1572 (Ökomodell-Region Süd).

Über die Ökomodell-Regionen: Die Ökomodell-Regionen sind Teil des hessischen Ökoaktionsplans. Sie vernetzten Landwirtinnen und Landwirte, Handel und Verbraucherinnen und Verbraucher und engagieren sich in Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern und Erzeugerinnen sowie Verarbeiter und Verarbeiterinnen für eine bessere Vermarktung von biologischen und regionalen Produkten sowie die Schärfung des Bewusstseins für regional erzeugte Lebensmittel beim Verbraucher. Ziel ist es, regionale Wertschöpfungsketten zu etablieren und die regionale Vermarktung zu fördern. 

Ökomodellregion Süd, Jägertorstr. 207, 64289 Darmstadt Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dezember 2021: Nibelungenkorn wurde Sieger der Kategorie „Wertschöpfungsketten/Kooperation

Die Anforderungen was Landwirtschaft leisten soll, muss und kann, wandeln sich stark. Bis in die 1960er Jahre des letzten Jahrhunderts waren die Orts- und Landschaftsbilder im Odenwald geprägt von kleinstrukturierter Landwirtschaft. Die Wertschöpfung der erzeugten Produkte erfolgte im näheren Umfeld der Höfe und in den Ortschaften selbst. Zunehmende Spezialisierung und Mechanisierung genauso wie Flurbereinigungsverfahren und die Aufgabe von Höfen haben das Landschaftsbild und den ländlichen Raum stark verändert. Dörfer und Ortschaften werden zunehmend zu „Schlafstätten“. Metzgereien, Bäckereien und kleine Läden schließen, weil die Kundschaft den Einkauf auf dem Arbeitsweg in der Peripherie der Städte erledigt.

Um diesem Trend etwas entgegenzusetzen hatte der DVL (Deutsche Verband für Landschaftspflege) in diesem Jahr zum „DVL-Ideenwettbewerb Modellbetriebe Bioökonomie in den Mittelgebirgen Deutschlands“ aufgerufen. Die AG Gewässerschutz und Landwirtschaft hatte sich mit dem Projekt Nibelungenkorn – Anbau und Wertschöpfung von Urgetreide beworben.

Vergangene Woche erhielt die AGGL die schöne Nachricht, dass das Projekt Nibelungenkorn von einer 12-köpfigen, hochkarätigen Jury zum Sieger in der Kategorie „Wertschöpfungsketten/Kooperation“ erklärt worden ist. Wichtige Kriterien bei der Auswahl waren die Aspekte Innovation, Wertschöpfung für die Region, Wirtschaftlichkeit, Ausbaupotential, Erhalt der Kulturlandschaft sowie der Schutz von Umwelt, Biodiversität und Klima. Voll Stolz blickt die AGGL auf das, was in Zusammenarbeit mit den anbauenden Landwirten, der Herrnmühle Reichelsheim und den weiterverarbeitenden Bäckereien erreicht wurde.
Die Siegerehrung sollte auf der Grünen Woche in Berlin stattfinden, die ja leider ausfällt. Weitere Informationen zum Wettbewerb finden sie auf: DVL Ideenwettbewerb Bioökonomie in Mittelgebirgen

Die AGGL wünscht allen schöne Weihnachten und ein gutes neues Jahr! Bei Fragen steht Ihnen das AGGL Team gerne unter der Telefonnummer 06162-94352-0 oder unter www.aggl-otzberg.de zur Verfügung.

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Hier gibt es das Nibelungenkorn: fünf Landwirte in Groß-Umstadt, Otzberg, Fürth und Groß-Zimmern bauen die urwüchsigen Getreidesorten an, die Herrnmühle in Reichelsheim verarbeitet sie und liefert an vier Bäckereien: Bäckerei Knapp in Gadernheim, Bäckerei Gürtler in Lindenfels, Bäckerei Schellhaas in Groß-Bieberau und Bäckerei Horn in Fränkisch-Crumbach. Dort werden daraus leckere Brote und Brötchen. Die Herrenmühle, 1513 als herrschaftliche Mühle erbaut, ist seit 1867 im Besitz der Familie Feick und verfügte über eine Getreidemühle, bis 1981 ein Sägewerk und bis 1914 eine Bäckerei.  Als in den 50er Jahren die großen Industriemühlen das Hauptgeschäft übernahmen, verlegte sich Familie Feick auf Landwirtschaft und Handel. Inzwischen haben fünf Generationen Feick bereits Kundschaft in der dritten Generation, in der Getreidemühle wird nur einheimisches Getreide vermahlen: Roggen, Weizen, Spelz (Dinkel), Triticale, Hafer, Gerste und Mais aber auch Leinsamen, Hirse und Buchweizen.