Formen der Krisenbewältigung legte David Blischke in seiner Examensarbeit dar, die er im Vortrag in Lorsch vorstellte. Das Magdalenenhochwasser 1342 wurde an ausgewählten Fallbeispielen erläutert.

Das in der Geschichtswissenschaft als Jahrtausendflut bezeichnete Hochwasser um den Heiligentag von Maria Magdalena, den 22. Juni im Jahr 1342, wird in mittelalterlichen Quellen dargestellt: Gemälde und Stiche, amtliche Protokolle und Berichte...

Wie waren Reaktionen und Maßnahmen der damaligen Zeitgenossen? Was kann man für heute daraus lernen? Fallbeispiele aus dem Süddeutschen Raum von Wertheim über Frankfurt bis Koblenz zeigte Blischke auf, dazu die dokumentierten mittelalterliche Maßnahmen zur Hochwasserprävention. Gebete, Fasten, Opfergaben, Wallfahrten und Barfuß-Prozessionen mit üppigen Kerzenspenden sollten als Sühne für die erlittene Gottesstrafe des Hochwassers dienen. Die Opfer und die Geschädigten der Flutkatastrophe im Ahrtal werden dies eigenartig finden.

Blischke legte die einzelnen Module dar, die eine Gesellschaft zur Verfügung hat, um Krisen frühzeitig wahrzunehmen und / oder danach zu bewältigen.

Bei der Besiedelung Europas zogen die Menschen fruchtbare Talauen vor, trotz des Risikos einer Überflutung. Blischke sprach von einer Kosten-Nutzen-Kalkulation. Gute Anbauflächen, die reich fließende Energiequelle Wasser, zugleich günstiger Transportweg, wurde höher bewertet als mögliche Hochwasser. Bis das Magdalenenhochwasser fast die gesamte Rhein-Main-Region zerstörte. Zwischen Hannoverschmünden im Norden und Eichstätt im Süden, zwischen Frankfurt und Zwickau wurden an vielen Stellen die fruchtbaren Böden weggespült.

In vier Tagen fielen 175 Liter Regen pro Quadratmeter, vorher bereits war der Boden wassergesättigt, so daß die Flut nicht mehr versickern konnte. Heute definiert der Deutsche Wetterdienst Regenfälle von 15-25 l/m2 als einer markanten Wetterwarnung würdig. Unwetterwarnung ergeht ab 25 l/m2. Quellen sprudelten über, Hänge rutschten ab. 13 Milliarden Tonnen Boden gingen verloren. Die Flächen waren unfruchtbar geworden, es begann hier wieder Wald zu wachsen - nachdem zuvor sehr wenig Wald in unserer Region gestanden hatte. Anhand der vermerkten Wasserstände in den Frankfurter Kirchen konnte Blischke einen Hochwasserstand von 8,8m am Main ermitteln.

Aus den Möglichkeiten einer Auenbesiedlung sowie der Risikobewertung ergibt sich der Resilienzwert einer Gesellschaft. Für lange Zeit wachsen die Potentiale, es folgt eine Erhaltungsphase. Schließlich aber kommt es zur Katastrophe. Diese wurde im Mittelalter als Unglück, als göttliche Strafe, betrachtet. Natürlich schließt diese Art der Krisenbewältigung mittels Buße eine naturwissenschaftliche Betrachtung nicht aus. Vor allem da sich auch die Menschen des 14. Jahrhunderts nicht ausschließlich auf Sühne beschränkten, sondern durchaus gesellschaftliche Veränderungen herbeiführten.

Das konnte vom Verlassen einer Region über geänderte Anbaumethoden bis zu geänderten Ernährungsgewohnheiten gehen. So verlegte man sich in unserer Region darauf, anstelle von Ackerbau verstärkt auf Viehhaltung zu setzen: als Weideflächen waren die weggeschwemmten Felder durchaus noch nutzbar. Die Ernährung verschob sich weg von Getreide und Gemüse hin zu Fleisch und Milchprodukten.

Eine mögliche Reaktion war auch eine geänderte Herrschaftsstruktur: im 13. und 14. Jahrhundert wurden große Flächen gerodet, da die gewachsene Bevölkerung einen hohen Flächenbedarf hatte. Eine direkte Reaktion der Herrschaft auf das Magdalenenhochwasser waren etwa die Würzburger Polizeisätze von 1343 (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Hausbuch_des_Michael_de_Leone). Diese setzten strikte Regularien für das lebensmittelverarbeitende Handwerk fest, Müller und Bäcker etwa. Die Magdalenenflut hatte wichtige Infrastruktur wie Mühlwehre und Treidelpfade zerstört, auch Brücken und Steinstraßen. Zur Ernährung der Menschen, zur Vermeidung einer Hungersnot, griff die Herrschaft regulierend ein. Auch die Schifffahrt wurde stark eingeschränkt durch eingeschwemmte Böden.

So erlaubte beispielsweise Kaiser Ludwig, den Brückenzoll - von dem die Städte ihr Gemeinwesen bestreiten mußten - von 3 auf 4 Heller je Pferd zu erhöhen und die Mehreinnahmen zur Wiederherstellung der zerstörten Brücken einzusetzen. Man baute Brücken nach dem Hochwasser auch anders: aus Stein, mit mehr und versetzt stehenden Pfeilern wie bei der Balduinbrücke in Koblenz.

Was können wir lernen aus der historischen Magdalenenflut?

Für das Ahrtal existieren seit Jahren Starkregengefahrenkarten, aber niemand hat damit gerechnet daß man sie benötigen würde. Solche Fließpfadkarten oder Starkregengefahrenkarten wurden für viele Gemeinden erstellt, doch liegen sie oft in der Schublade und sind dann im Katastrophenfall nicht verfügbar.

In Gebäuden, die gegen Rückstau bei Hochwasser nicht geschützt sind, kann das aufgestaute Abwasser beispielsweise über Waschbecken, Waschmaschinen, Bodenabläufe oder Toiletten in Kellerräume eindringen und erhebliche Schäden verursachen. Vermieter haften auch gegenüber ihren Mietern für so entstandene Schäden. Wichtig ist deshalb eine Rückstau-Sicherung. Das öffentliche Kanalnetz ist generell nicht darauf ausgerichtet, Starkregen vollständig aufzunehmen. Bei starken Regenfällen mit sehr hohen Niederschlagsmengen in relativ kurzer Zeit wird deshalb ganz bewusst ein kurzzeitiger Aufstau im Kanalnetz in Kauf genommen. Alles andere wäre viel zu teuer.

So nach und nach kommen die Versäumnisse ans Licht, die im Ahrtal für eine solche Verwüstung sorgen konnten. Es gibt keine Infrastruktur für Katastrophen: zuerst entscheiden die Bürgermeister, dann die Kreise - ein jeder für sich und ohne Nachbarn zu informieren. Katastrophenschutz muß dann zuerst von - oft ehrenamtlichen - Feuerwehren oder THW geleistet werden. Ohne funktionierenden Digitalfunk - wie leider noch immer in vielen Gegenden - kommt keine übergreifende Kommunikation zustande. Es gibt Feuerwehrleute, die über ihr privates Handy kommunizieren müssen, weil dies über analoge Einrichtungen nicht mehr und über Digitalfunk noch nicht funktioniert. Warnungen ehrenamtlicher Gruppen wurden auf politischer Ebene übergangen. Das passiert schnell: jeder denkt daß Feuerwehrleute ihr Metier sehr (zu) ernst nehmen und vermutet gleich eine Überbewertung. Die Folge: Schulterzucken, Ignorieren, Tote.

Örtliche Feuerwehren waren mangelhaft ausgerüstet, Ergebnis: eine Feuerwehrfrau starb bei einem Rettungseinsatz.

Sirenen funktionieren entweder nicht, oder ihr Übungseinsatz wird ignoriert, so daß auch ein ernster Alarm nicht ernst genommen wird.

Immer gravierendere Wetterereignisse aufgrund Klimaveränderungen sind seit Jahren bekannt. Es gibt jedoch keine Notfallstruktur, die den großflächigen Überblick behält und zugleich sinnvolle Anweisungen an die lokalen Kräfte weitergibt. Bei einem medizinischen Notfall ruft man ja auch die 110 an, und die entgegennehmende Stelle weiß sofort, welche Maßnahmen erforderlich sind. Was dort sehr gut funktioniert, müßte auch im Fall eines Wetterereignisses möglich sein, sofern die entsprechende Infrastruktur aufgebaut und gepflegt würde. Aber es hapert ja oft schon an der Ausrüstung eines Hubschraubers.

Die Kräfte vor Ort, sei es freiwillige Feuerwehr, Rettungsdienste, THW, Rettungshundestaffel, beklagen seit Jahren die schlechte Versorgung mit Ausrüstung, sie beklagen auch schon seit Jahren den unzulänglichen Digitalfunk.

Auf die Toten und Verletzten, auf die zerstörten Häuser und Existenzen im Ahrtal folgten Rücktritte. Aber folgten auch strukturelle Konsequenzen? Sind wir - nach dieser Katastrophe - besser gerüstet? Oder sollten wir Kerzen anzünden und uns barfuß auf eine Sühneprozession begeben? Hilft Beten da wirklich?

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Der DWD definiert zwei Stufen: Regen von 15 bis 25 l/m² in einer Stunde oder 20 bis 35 l/m² in sechs Stunden gilt als markante Wetterwarnung. Regenmengen über 25 l/m² in einer Stunde oder über 35 l/m² in 6 Stunden gelten als Unwetterwarnung.
Der DWD definiert zwei Stufen: Regen von 15 bis 25 l/m² in einer Stunde oder 20 bis 35 l/m² in sechs Stunden gilt als markante Wetterwarnung. Regenmengen über 25 l/m² in einer Stunde oder über 35 l/m² in 6 Stunden gelten als Unwetterwarnung.
  • David Blischke: Vor uns die Sintflut - Zur Krisenbewältigung des Magdalenenhochwassers 1342 an ausgewählten Fallbeispielen - Vortrag am 21. Oktober 2022, 19 Uhr: Zehntscheune Lorsch, 19:00 Uhr kostenfrei - siehe auch: https://mittelalter.hypotheses.org/author/davidblischke
  • Über die Magdalenenflut und die Arbeit Rainer Schregs hatte ich zuvor schon gelesen und hier berichtet: im Kapitel "Wie lange wir schon von Starkregenfluten mangels Bodenspeicherung heimgesucht werden" im Beitrag Felsberg: Naturschutz - Holznutzung - Tourismus?