November 2022 - Lützelbach: Ein Künstler- und Sehnsuchtsort im Vorderen Odenwald
Dr. Benno Lehmann stellte in Reinheim sein neues Buch um das Malerdorf Lützelbach vor. Lehmann ist Kurator der Ausstellungen in der Hofgutgalerie Reinheim und Fachmann für die Malerei des 19. und 20. Jahrhunderts. Bereits vor zwei Jahren stellte er die Maler vor, die sich gerne auf Motivsuche in den Odenwald zurückzogen. Lesen Sie dazu die Entwicklung der Malerei weiter unten: man begann die Natur zu erforschen, ging hinaus, entdeckte ganz neue Perspektiven, entdeckte die Wirkung des Lichtes auf eine freie Landschaft. Aus Frankreich kam die Pleinairmalerei, die Freiluftmalerei, auch in die deutschen Städte.
Lesen Sie zu Lehmanns Arbeit auch: Die Malweiber: Frauen als Künstlerinnen
1888 war das Drei-Kaiser-Jahr, in dem der Kaiserturm auf der Neunkircher Höhe errichtet wurde, Neunkirchen war Luftkurort. Touristisch waren die beiden Dörfer Lützelbach und Neunkirchen damals sehr beliebt, und auch die Künstler ließen sich gerne hier nieder - allerdings nur für den Sommer. Deshalb ist Lützelbach keine Künstlerkolonie, sondern ein Künstlerdorf.
Studien zu Menschen und Landschaft machten die Künstler im Sommer, nahmen sie dann mit ins Atelier in der Stadt, wo sie sie ausarbeiteten. So rückten die Bauern und handwerkliche Tätigkeiten in den Blick, dargestellt in naturgebundener Realität. Die Gemälde zeigen uns heutzutage etwas Hochinteressantes: die Entwicklung der bäuerlichen und handwerklichen Arbeit von reiner Schweißarbeit über den Einsatz einfacher Technik. Gerade in den letzten 250 Jahren hat sich die Landwirtschaft drastisch verändert: Technisierung und Industrialisierung setzten ein, mit allen Folgen... Lesen Sie dazu bitte auch: Landwirtschaft vor 250 Jahren und heute im Jahrbuch 2021 oder Landwirtschaft im Wandel der Epochen, in anderen Regionen sowie im Wandel der industriellen Revolutionen oder geben Sie in die Suchfunktion "Landwirtschaft" ein, dann finden Sie zahlreiche Beiträge dazu! Zum Lippmann-Gemälde "Frühlingserwachen": einen Bauern, der mit umgebundenem Tuch von Hand über den Acker schritt und das Saatgut mit weit schwingender Armbewegung ausbrachte, habe ich als Kind selbst noch gesehen, auch die Landarbeit mit Pferde- oder Ochsengespann, aber das Lokomobil zum Antrieb von Ackergeräten war bereits zu Zeiten Johannes Lippmanns (1858-1935) veraltet, und aus diesem Grunde übereignete Lippmann 1931 sein Gemälde "Lokomobil bei der Drescharbeit" dem Reinheimer Museum, an dessen Gründer Julius Scriba, um das Bild einer überholten Technik zu bewahren. So existieren in einer Entwicklung oft mehrere Zustände nebeneinander, althergebrachte und moderne. Erst durch das Festhalten im Bild läßt sich das wirklich entdecken.
Dr. Benno Lehmann spürte die Gemälde auf, die in Lützelbach und der Umgebung entstanden, bei Kunstfreunden, Sammlern, in Archiven und Museen. Einige Originale sind im Hofgut Reinheim zu sehen: von Johannes Lippmann, Adolf Beyer, Ferdinand Barth (er lebte bis 1979 in Gadernheim) und von Heinrich Kröh konnte Dr. Lehmann die Originale auffinden und erwerben. 2020 schenkte er sie der Stadt Reinheim, und die Gemälde sind im Herrenhaus des Hofgutes zu bewundern.
Die Maler des 19. und 20. Jahrhunderts arbeiteten mit ländlichen Motiven für ein gehobenes Publikum. In der Gründerzeit wurden zahlreiche Familien wohlhabend, die sich im Zuge der industriellen Revolution (siehe Landwirtschaft im Wandel der Epochen, in anderen Regionen sowie im Wandel der industriellen Revolutionen) durch geschickte Investitionen in neue Technologien und innovativen Weitblick schnell zum neuen Geldadel entwickelten. Wieder 100 Jahre später begann sich der innovative Weitblick allerdings in den meisten Fällen als blinder Zukunftsglaube ohne Blick auf Umweltschäden zu entpuppen, aber das ist ein anders Thema. Der neue Geldadel jedenfalls schmückte sich mit zeitgenössischen Gemälden, und dabei legte man Wert auf Ursprünglichkeit und Natürlichkeit. Vielleicht war dieses Bedürfnis schon die erste Vorahnung, daß mit reiner Industrialisierung letztlich die Natur auf der Strecke bleiben würde. Nur die wohlhabende Bevölkerungsschicht interessierte sich für diese Kunst, nur sie hatte auch Muße und Gelegenheit, sich in ihrer Freizeit der Wandervogelbewegung zu widmen, der ersten "Zurück-zur-Natur"-Initiative. Die Gemälde einiger Maler, die gern nach Lützelbach kamen, konnten jedoch auch von der arbeitenden Bevölkerung genossen werden: sie hingen in der von Großherzogin Eleonore von Hessen und bei Rhein gegründeten Eleonorenklinik in Winterkasten. Diese Heilstätte war ab 1905 für Lungenkranke da, ab 1927 auch für tuberkulosekranke Kinder. Später wurde sie von der LVA übernommen und diente noch immer als Rehaklinik vorwiegend für körperlich arbeitende Menschen. Ob die Gemälde jedoch im Patientenbereich hingen oder nur die Direktionsräume schmückten, läßt sich nicht mehr sagen.
Die Eleonorenklinik in Winterkasten, Aufnahme aus dem Katalog "Gemälde vom Odenwald im Herrenhaus des Hofguts" Reinheim, mit Genehmigung durch Rosemarie Töpelmann, Reinheim
Dank ihrer gutsituierten Klientel konnten die Künstler jener Zeit zu ihren Motiven reisen. Doch das war nicht ganz so einfach wie heute: einfach mal eben ins Auto setzen, "Lützelbach" ins Navi eingeben und hinfahren (ein großer Parkplatz ist ja zum Glück da, sofern man das richtige Lützelbach eingegeben hat)? Gereist wurde mit dem Lieschen, der Reinheimer Eisenbahn. Vom Bahnhof Groß-Bieberau mußte man zu Fuß hinauf nach Lützelbach wandern: knapp 10 Kilometer oder zweieinhalb Stunden bergauf, mit Gepäck. 1925 wurde die Postomnibusstrecke eingerichtet, ab da ging es etwas schneller.
Die große Zeit des Künstlerortes Lützelbach ging im 2. Weltkrieg zu Ende: viele Maler waren verstorben, andere zogen sich zurück. Die realistische Malweise verlor an Interesse, auf Künstlerseite wie auf Käuferseite. Für uns bietet sie die einmalige Gelegenheit, einen Blick - fast fotografisch - in vergangene Lebensweisen zu werfen, in den Zustand der Dorfbebauung, in die Gestaltung der Felder, Wälder und Wiesen. Besonders interessant finde ich das Gemälde von Heinrich Kröh "Blick auf die Tromm im Odenwald" (Privatbesitz, zu sehen als Abbildung in Dr. Lehmanns Buch): hier sieht man im Bildvordergrund eine Wacholderheide, die typische Landschaftsform die nur durch Schafbeweidung entsteht. Man findet sie heute flächendeckend auf der Schwäbischen Alb, im Odenwald nur noch in Sprenkeln, z.B. bei Gammelsbach.
Dieser Blick in die Vergangenheit muß bewahrt werden, und so fordert Dr. Lehmann, daß Lützelbach heute vom Künstlerort zum Erinnerungsort werden muß. Dr. Benno Lehmanns Buch "Lützelbach - ein Künstler- und Sehnsuchtsort im Vorderen Odenwald" erschien 2022 im Verlag Winterberg Kunst in Heidelberg, ISBN 978-3-932204-14-2 - zu bestellen unbedingt im regionalen Buchhandel und nicht im fernen Amazonien! (auch erhältlich bei der Eulenpost in Brandau). Darin zu lesen: über Lützelbach als Künstlerort und seine Maler/innen sowie die Wanderbewegung und den Zupfgeigenhansel, über Friedel Sauerwein und die Geschichtsschreiber des Dorfes.
Gemälde "Getreideernte im Odenwald" von Johannes Lippmann, 1927. Das Original hängt im Herrenhaus des Hofgutes Reinheim, Aufnahme zur Verfügung gestellt von Rosemarie Töpelmann, Reinheim.
Marieta Hiller, im Dezember 2022
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August 2020 - Das unbekannte* Vermächtnis von Lützelbach: Künstlerkolonie als schöpferischer Rückzugsort
Lützelbach beherbergte um 1900 nicht nur zahlreiche Touristen in seinen damals vier Gasthäusern: der Höhenort hatte auch eine Künstlerkolonie. Zehn Maler, Bildhauer, Lithografen, Buchillustratoren hatten sich Lützelbach zum Lebensort auserkoren, allen voran August Wondra.
Von ihm gibt es so gut wie kein verfügbares Werk. Das Gemälde „Herbst“ ist im Katalog der Kunst Ausstellung Darmstadt 1908 abgebildet, ein weiteres stellte der Mannheimer Kunsthistoriker Dr. Benno Lehmann als Fotoabbildung während der Herbsttagung des Breubergbundes im September 2017 vor.
Die Darmstädter Kunstausstellung wollte ein vollständiges Bild der hessischen Leistungen unserer Zeit auf dem Gebiete der freien und angewandten Kunst geben und fand auf der Mathildenhöhe von Mai bis Oktober 1908 statt. Unter angewandter Kunst verstand man Kunstindustrie und Kunsthandwerk.
Und tatsächlich waren die zehn in Lützelbach mehr oder weniger ansässigen Künstler August Wondra, Heinz Heim, Johannes Lippmann, Daniel Greiner, Heinrich Kröh, Ferdinand Barth (der in Gadernheim 1979 verstarb), Herrmann Pfeiffer, Karl Röhrich, Gustav Waldt und Mathilde Stegmayer eher dem Kunsthandwerk als den freien Künsten zuzuordnen.
Die Künstler hatten alle eine akademische Ausbildung und zum Teil auch Lehrstühle, selbst Mathilde Stegmayer, die einzige Frau der Gruppe, hatte eine künstlerische Ausbildung in Privatateliers absolviert, da Frauen nicht an Akademien studieren durften. Da sich in Lützelbach jedoch keine Persönlichkeit fand, die eine Art Tagebuch oder Chronik der Künstlerkolonie geführt hat, mußten die Fakten mühsam zusammengetragen werden: so förderte Ernst Wege aus Lützelbach zahlreiche Dokumente zutage. Aus seiner Tätigkeit im Verschönerungsverein Lützelbach kannte er Professor Friedel Sauerwein, der ebenfalls in der Heimatforschung sehr aktiv war.
Dr. Benno Lehmann stellte in seinem Vortrag beim Breubergbund die Künstler sowie alles was über sie bekannt ist vor. Als Quellen dienten diverse Literaturwerke, in denen Lützelbach sporadische Erwähnung findet. Selbst Sauerwein widmet August Wondra nur einen Satz.
Die Künstler profitierten zum einen von der Nähe Lützelbachs zu den Zentren, wo die Kundschaft lebte. Zum anderen eröffnete sich durch die Wandervogelbewegung, durch die Gründung des Odenwaldklubs und die aufkommende Reiseliteratur ein reicher Markt für Buchillustrationen und Landschaftsdarstellungen. Die alte Schule in Lützelbach wurde zum Treffpunkt der Wandervögel, und 1889 siedelte sich August Wondra in Lützelbach an. Sein Stil war ein malerischer Realismus mit besonderer Lichtführung. Dritter Grund war die Natursehnsucht der Künstler und ihrer Kundschaft als Gegenentwurf zur Industrialisierung und Ausdehnung der Städte.
Um 1900 gab es im Höhenluftkurort Neunkirchen mit dem Kaiserturm aus dem Drei-Kaiser-Jahr 1888 viel Fremdenverkehr, dies wirkte auch auf Lützelbach, wo der Wildweibchenstein Spaziergänger anlockte. Mit Porträtmalerei verdienten die Künstler ihr tägliches Brot, aber die Landschaftsmalerei wurde zum angenehmen Nebeneffekt: den Akademien war das zu banal, da fehlte die künstlerische Idee.
Zeigten die Bilder aber topografisch Erkennbares, wurden sie begehrte Sammlerobjekte, weshalb man heute keine Originale von Wondra findet. Als Vedoute fand die topografische Malerei Eingang in die Reiseliteratur. Natürlich malte man nicht naturalistisch oder gar fotografisch, sondern durchaus mit subjektiven Merkmalen, harmonisch und realistisch gemalt ohne dramatische Effekte.
Einer der Lützelbacher Künstler, Herrmann Pfeiffer, illustrierte den in 138 Auflagen erschienenen Zupfgeigenhansel von Hans Breuer und natürlich den Datterich von Ernst Elias Niebergall. Im idyllischen Lützelbach allerdings waren ihm nur 14 Tage zu leben vergönnt, bevor er 1964 starb.
Ein anderer Künstler in Lützelbach war Karl Röhrich, der 1945 nach Lützelbach kam. Gemeinsam mit seinen beiden Schwestern verlebte er hier als Integrationsfigur seinen Ruhestand: man pflegte einen Salon, es wurden gemeinsam mit den Kindern des Dorfes Märchen geschrieben und aufgeführt, besonders faszinierte die Kinder das Musizieren im Quartett - das Zusammenspiel von vier Instrumenten war ihnen vorher unbekannt. Röhrich wird auch der Spruch an der Fachwerkfassade zugeschrieben, und er regte an, die jährliche Sonnwendfeier und Theaterspiele im Eichwäldchen zu veranstalten.
Das Eichwäldchen liegt am südlichen Dorfrand. August Wondras Freunde errichteten ihm hier einen Gedenkstein. Heute ist das Wäldchen in Vergessenheit geraten, nach Röhrichs Tod wurden die Sonnwendfeiern nach Herchenrode verlegt. Das Eichwäldchen sollte gar entfernt und zu Baugebiet werden. Dem Verschönerungsverein Lützelbach ist es zu verdanken, daß das Wäldchen seit seiner He-rausnahme aus der Liste der Naturdenkmäler vor 20 Jahren weiter erhalten wurde. Geopark und Gemeinde teilen sich die Kosten, eigentlich hätte man gerne einen Eintrag als Kulturdenkmal, als historischen Ort, gehabt.
August-Wondra-Wäldchen oder Eichwäldchen: vor dem 2. Weltkrieg vom damaligen Luftkurort Lützelbach als Ruheort eingerichtet, diente während des dritten Reiches als Versammlungsort und es wurden Spiele und Tänze aufgeführt August Wondra, (1857-1911) war als Landschaftsmaler von Lützelbach und der idyllischen Umgebung begeistert.
Historische Häuser in Lützelbach
Gasthaus Zur Linde in Lützelbach in früheren Zeiten
So sieht die Linde heute aus, sie ist kein Gasthaus mehr..
Dafür steht gegenüber, dort wo tatsächlich die von Röhrich gepflanzte Linde stand, ein Wetterstein
Gasthaus Zur Sonne in Lützelbach auf einer alten Ansichtskarte
Was uns ein Fachwerkhaus erzählen könnte:
Drei Geschwister lebten in diesem Haus im Lichtenberger Weg, auf dem der Spruch zu lesen ist: „Heute blühen wir wie Röslein rot morgen sind wir krank ja wol gar tot“. Die Schwestern Minna und Anna Naumann (1881-1954 und 1892-1975) und ihr Künstlerbruder Karl Röhrich (1877-1956) zogen sich nach Lützelbach zurück und lebten hier bis zu ihrem Tod, nachdem sie in Darmstadt ausgebombt worden waren. Begraben sind sie auf dem Neunkircher Friedhof.
Ein Zeitzeuge, Herr Rudolf Dascher (gebürtig aus Lützelbach), meldete sich auf unsere Lützelbach-Titelgeschichte vom Novemberheft 2017 bei der Redaktion mit weiteren interessanten Beiträgen zur Dorfgeschichte Lützelbach: er kannte Karl Röhrich und die Schwestern persönlich, Anna Naumann vermittelte ihm sogar eine Arbeitsstelle in Darmstadt, die er von 1958 bis 2004 innehatte. In seiner Kindheit erlebte Dascher die Aufführungen im Eichwäldchen, sprach gerne mit Anna, die auch gerne zugehört hat.
Das Foto unten zeigt das alte Schulhaus, das 1903 an seinem alten Standort abgetragen wurde und in der Straße zum Eichwäldchen wieder aufgebaut wurde. „Dort konnten wir als Kinder Schulhefte kaufen, weil im Haus Familie Seng wohnte, die in Darmstadt ein Schreibwarengeschäft hatten,“ erinnert sich Rudolf Dascher. „Ich selbst ging acht Jahre in die Volksschule in der neuen Schule. Damals hatten wir mit dem Lehrer die Grundlage für den Marienteich gelegt.“ Schon damals war der Gedanke bei der Teichanlage, daß man solche Anlagen nicht mutwillig wieder zerstört, wenn man beim Aufbau mitgeholfen hat. Karl Röhrich, einziger Ehrenbürger der ehemals selbständigen Gemeinde Lützelbach, unterhielt ein offenes gastfreundliches Haus, er studierte kurz nach dem 2. Weltkrieg mit den Kindern das Rumpelstilzchen ein und führte es im Eichwäldchen auf.
Altes Schulhaus Lützelbach, Foto R. Dascher
Rudolf Dascher als Nachfahre der vielköpfigen Daschersippe von Caspar Dascher aus der Schweiz, der nach dem 30jährigen Krieg einige Jahre in Knoden lebte, fand es interessant, daß beim Verkauf der alten Schule im Jahre 1848 auch eine geborene Dascher dabei war, die damals nach Amerika auswanderte. Elisabeth Lenz geb. Dascher verkaufte mit ihrem Ehemann Adam Lenz das Anwesen als Schulhaus an die Gemeinde Lützelbach für 1500 fl (Gulden), so daß sie die Überfahrt nach Amerika finanzieren konnten. Wenige Jahre später sind von Reparaturarbeiten einige Daten erhalten: der Nagelschmidtmeister Philipp Koch lieferte 2000 Lattnägel zu 4 fl für zum Anbringen der Schindeln, weiter 10650 Schindelnägel zu 15 fl 58 ½ Kreuzer und allerlei Latten. Für Schlosserarbeiten stellte Schmied Stöhr 2 fl 14 Kreuzer in Rechnung. Friedel Sauerwein, Verfasser der Lützelbacher Chronik*, nahm seine Beiträge zum Anlaß, modernes Denken in der Dorfgestaltung zu kritisieren: „leider hat unsere pragmatisch denkende Generation die einmalige Schönheit jener Baudenkmäler (die Schulbauten im Jugendstil) nicht verstanden und sie deshalb am Beispiel des Schulhauses von Lützelbach nicht erhalten.“
Inzwischen wurde das Haus erneut verkauft. Der Schulsaal wurde 1996, als Sauerweins Beitrag erschien, von den Turnermädchen, der Frauenhilfe, dem Arbeitskreis für Heimatgeschichte, für Tischtennisspiel, Altennachmittag und Sitzungen genutzt. Das daneben liegende Ge-meindestübchen enthielt das Archiv, hier fanden auch die Gemeinderatssitzungen und Trauungen statt, hier wurde die Schulspeisung für die Kinder gekocht, für manche die wichtigste Mahlzeit des Tages. Sauerwein schließt mit der Mahnung „Es wäre ein unverständlicher Akt, wenn man sich jetzt aus Kostengründen eines derartigen Gebäudes entledigen wollte.“ Das kommt uns doch heute recht bekannt vor... (M. Hiller)
* „650 Jahre Lützelbach auf der Neunkircher Höhe im Odenwald 1346-1996“, Friedel Sauerwein und Robert J. Sasse, AK f. Heimatgeschichte Lützelbach
Grabstein Familie Röhrich / Naumann, Friedhof Neunkirchen
Grabstein Friedel und Hannelore Sauerwein, Friedhof Neunkirchen
Der Initiator der Fassendenmalerei war also wohl Steinarbeiter in einem der nahegelegenen Steinbrüchen - siehe unten...
Das Eichwäldchen
Auch ohne das Prädikat Kulturdenkmal wird das Eichwäldchen bestehen bleiben, es sollte sogar zur 700-Jahr-feier im September 2018 aufgewertet werden. Ein Baugebiet, direkt unter den Wasserversorgungsanlagen, wäre angesichts der zahlreichen freien Bauflächen im Ort nicht in Frage gekommen.
Stattdessen sollen neben der Aufwertung des Eichwäldchens weitere Gedenkplätze entstehen:
- in der Nähe der Sennhütte (zwischen Neunkirchen und Lützelbach) ist ein Gedenkplatz für Friedel Sauerwein mit Eiche, Geo-Infotafel und Liege geplant
- im Ort in der Nähe der ehemaligen Gasthäuser „Zur Linde“ und „Zur Sonne“ soll eine Gedenktafel für die Lützelbacher Künstlerkolonie entstehen
- der Platz an der Waldäckerhütte (Richtung Lichtenberg) mit der Zeittafel am inzwischen stark vermoderten gefällten Buchenstamm soll hergerichtet werden.
Die Baumuhr von Friedel Sauerwein an der Schnittfläche des Buchenstammes zeigt auf einer Plexiglastafel, welcher Jahresring mit welchem historischen Ereignis zusammenfällt. Dies läßt sich mittels dendrochronologischer Analyse punktgenau ermitteln. So zeigt die Baumuhr an, wann die erste Dampfmaschine erfunden wurde, den Ausbruch der Französischen Revolution, die Völkerschlacht bei Leipzig, die Deutsche Nationalversammlung in Frankfurt, den Arbeiteraufstand der DDR, den Beginn von Rundfunk (1923) und Fernsehen (1952), die erste Atombombe, die Wiedervereinigung Deutschlands ...
Ein anderer Rundwanderweg, der L1 führt durch das Eichwäldchen zum Bärlingsborn, auch hier stehen am Weg Informationstafeln.
So liest man hier über die »Aommemodder von Lützelbach«: Margarete Speckhardt lebte von 1878 bis 1967 hier und betreute Schwangere von Oberhausen und Niedernhausen (= die Mark Waldhausen im Fischbachtal, bis 1839), Billings, Steinau, Lützelbach, Neunkirchen, Winterkasten, Klein-Bieberau, Webern und Brandau. 1906 brachte sie das erste Kind zur Welt, es folgten noch 482 weitere Kinder, bis sie nach 40 Jahren alt und krumm war. Die Wege machte sie bei Wind und Wetter zu Fuß.
*Ganz so unbekannt sind die Künstler in Lützelbach nicht. Man findet im Ort und außerhalb bei Spaziergängen Infotafeln, auf denen etliche Gemälde aus dem Pinsel der Künstlerkolonie zu sehen sind.
Das Zeichen der Steinarbeiter
Im Heidenberg bei Gadernheim
Ein ähnlicher Steinarbeiterspruch wie am Fachwerkhaus in Lützelbach findet sich im Heidenberg in Gadernheim: „Zu Ehren der Steinbrucharbeiter: „hart ist der Stein, schwer war die Arbeit, rau unser Leben. Hatten andere Leut auch leichteres Brot, er mußte es uns doch geben.“
Eine Art Trotz klingt heraus, obwohl die Steinarbeiter gläubig waren. Steinunternehmer Hans Seeger aus Beedenkirchen und sein Credo: Der Mensch als lebendige Schöpfung ist berufen, sich die Erde untertan zu machen, indem er der Natur gehorcht. Dieser entscheidende Nebensatz ist gültig nicht nur für Steinarbeiter.
Marieta Hiller, 2017