Im hohen Wald, zwischen starken Buchenstämmen und im Holunder, im Haselbusch und zwischen den Brennesseln - da huschen in der lauen Johannisnacht die G’hannsfinkelchen durchs dunkle Blau. Sogleich wenn die Dämmerung sich in Schwaden von Feenhaar dunkler und dunkler über den Wald senkt, entzünden sie ihre grünen Laternchen und schweben zauberhaft durch die Luft.
Doch bevor es so weit ist, ist einiges zu tun: der Bergkristall muß in dieser Nacht blinken und glänzen!
Denn leider ist es so, daß die Spinne Krikkelkrakkel und all ihre achtbeinigen Verwandten mit ihren acht schmutzigen Füßen überall auf den klaren Kristallen im Zauberwald Spuren hinterlassen haben. Im Winter, wenn sich die Krikkelkrakkel-Sippschaft in die tiefen Hohlräume in diesem granitenen Berg verkriecht, weil es draußen zu kalt ist und es auch gar nichts zu essen gibt, da treiben sie ein wildes Spiel tief drinnen in der Erde, wo es auch im Winter warm und trocken ist. Kleine Krikkelkrakkelchen verstecken sich hinter den Bergkristallen, wie kichern sie und freuen sich, wenn ein anderes Krikkelkrakkelchen meint, es hätte sie gefunden und dabei doch nur ein Trugbild im durchscheinenden Kristall erhaschen konnten!
Klar, daß die kleinen Krikkelkrakkelspinnchen nicht ihre vielen Füße abputzen, wenn sie von draußen herein kommen! Und klar auch, daß sie nicht nur über die Kristalle am Boden trampeln, sondern auch über Wände und Decke, denn schließlich können Spinnen auch kopfüber laufen!
Die Johannisfee, die in der Tiefe dieser Felsen lebt, verborgen unter Sternchenmoos und Mondscheinfarn, ist davon nicht gerade entzückt. Freut sie sich doch jeden Tag am Geglitzer und Geblinke der Bergkristalle! Doch ach und weh: wie sehen die Edelsteine dann im Frühjahr aus! Spinnenfüßchen allüberall, Schmutz und stumpfe Glanzlosigkeit auf allen Flächen!
Seufzend nimmt daher die Johannisfee am Frühjahrstag, dem 21. März, ihr Staubtuch, gewoben aus einem Nebelfetzen des Novembers, denn dann ist es besonders saugfähig.
Gründlich beginnt sie, alle Kristalle sauberzuwischen, kein Stäubchen entgeht ihrem Blick. Die Krikkelkrakkelchen aber bekommen rote Söckchen gestrickt, acht Stück für ein jedes von ihnen.
Dies muß die alte Hutzel übernehmen, denn nur sie vermag es, aus Nebelfäden zu stricken, und das sogar in rot! Natürlich stehen der alten Hutzel für diese Arbeit sämtliche Jungfeen aus dem Zauberwald zur Seite, und allabendlich in den heimlichen Verstecken des Kleinen Volkes hört man fröhliches Stricknadelgeklapper. Pünktlich zum Frühjahrsfest sind alle Söckchen fertig, und die alte Hutzel legt sie heimlich - denn sie will ja nicht gesehen werden - vor die Türe der Johannisfee.
Von jenem Tag an tragen die Angehörigen der Krikkelkrakkel-Sippschaft an jedem ihrer acht Füße rote Söckchen, sobald sie in die Höhlen und Ritzen des Kristallberges hineinhuschen, und die Edelsteine bleiben rein und klar - nachdem die Johannisfee sie auf Hochglanz poliert hatte. So rein und klar, wie es nur ein Bergkristall sein kann! Die vielen vielen Jungfeen aber, die mitgeholfen haben beim Söckchenstricken, die freuen sich auch am Geblinke und am Schimmer in den blankgeputzten Kristallhöhlen, lachend huschen sie darin umher, und jedesmal wenn eine durch die Kristalle hindurchschaut, wird ihr Lämpchen ein bißchen heller. Das ist die Kraft der Bergkristalle!
Einst entstanden die Kristalle in tiefsten Tiefen der Erde, unter großem Druck, wenn glutflüssige Magma aus dem Erdinnern nach oben drang und dabei wilde Blasen bildete. Doch oft blieb die Magma stecken, das Erdreich ließ sie nicht bis hinauf an die Luft. Sie wurde kalt und immer kälter, und in ihren Blasen entstanden wunderhübsche Kristalle. Die alten Griechen nannten sie „Eis“, denn man findet den Bergkristall nur dort wo es schön kalt ist. Und so ist es kein Zufall, daß die Schneekönigin in einem Kristallpalast aus jenem klaren reinen Edelstein lebt, und daß seit alters her Elfen und Feen besonders gerne im Innern von kristallenen Bergen wohnen!
Von Glasbergen hören wir in den Märchen, die der mutige Held erklimmen muß, um einen bösen Zauber zu brechen! Und wo sollte dieser Glasberg wohl sein, wenn nicht hier. Die alten Menschen hier nennen ihr Dorf „Glashütt“, und ein jeder denkt, das habe etwas mit der Glashütte zu tun, die im vorvorletzten Jahrhundert (1782) hier gegründet wurde. Doch nur 18 Jahre lang war sie in Betrieb - kaum Grund genug, ein ganzes Dorf und den dazugehörigen Berg nach ihr zu benennen! Nein, viel älter ist der Name - und er rührt aus uraltem Wissen, daß dies hier der märchenhafte Glasberg ist. Doch wo es hineingeht in den Glasberg - wo der verborgene Eingang in die Zauberglitzerwelt der Elfen und Feen zu finden ist, das erfährt nur der, der einmal mit eigenen Augen die alte Hutzel sehen konnte!
Ihr werdet es wohl niemals erfahren - aber den Abglanz all der wunderschönen Steine, den könnt ihr heute abend sehen! Sobald die Kandsfinkelchen ihre Laternchen entzünden, verstrahlen sie nämlich hell leuchtend die Kraft der Bergkristalle.
In jedem Jahr am Johannisabend wanderten einst die Menschen aus den Dörfern hinauf zum Glasberg, strichen mit den Händen zart über das Sternchenmoos der Felsen und benetzten es mit taufrischem Johanniswasser. Dieses Wasser mußte von einer Jungfrau „unbeschrien“ - also in tiefem Schweigen und mit großer Ernsthaftigkeit - in den frühesten Morgenstunden aus einem klaren Quell geschöpft und ebenso schweigend ins Haus gebracht werden. Nur so konnte das Johanniswasser dem Haushalt und seinen Bewohnern - den menschlichen, den tierischen und den Zauberwesen wie Kobolde und Hausgeister - ein ganzes Jahr lang zu Glück und Zufriedenheit verhelfen.
Ein paar Tropfen von diesem Johanniswasser also mußten am Abend bei Sonnenuntergang auf das Sternchenmoos geträufelt werden, auch dies in tiefem Schweigen und mit großer Ernsthaftigkeit. Dann begann der Mondscheinfarn alsbald zu blühen, mit einem purpurfarbenen Schimmer überzogen sich alle die feinen Spitzen der Farnkräuter. Lichter blitzten auf, erst eines, dann noch eines, und immer mehr. Feine grüne Laternchen wurden entzündet und schwebten durch die laue Dämmerung hinein in die samtblaue Nacht.
Zarte Nebelfäden strichen aus den Felsenspalten empor, fächelten durch das Sternchenmoos und umspielten die blühenden Farnwedel. Weiter empor zu den glühenden Laternchen in der lauen blauen Nacht stiegen sie auf und sammelten sich.
So war es in früheren Zeiten, als die Menschen noch an Zauberwesen und Märchen glaubten, als das Kleine Volk noch mitten unter den Menschen lebte, und als die Steine besondere Kräfte hatten.
Denn das Johanniswasser der Menschen drang durch Sternchenmoos und Mondscheinfarn bis hinab zu den Kristallen, und wer einen fand, dem ward Weisheit, Mut und Treue geschenkt. Denn der Bergkristall vermag vieles, und er stärkt die Kraft aller anderen Steine. Im Sonnenlicht sammelt er seine Kräfte, und immer, wenn er seine Feen und Elfen aussendet, um als Kandsfinkelchen durch die Nacht zu leuchten, dann ist der Tag gekommen, an dem die Kraft des Tages hinab in die Tiefe gebracht werden muß: denn die Kandsfinkelchen dürfen zwar des Nachts hell leuchten, doch am Tag müssen sie Sonnenstrahlen einfangen, so wie Marienkäfer Tautropfen trinken. Alle Sonnenstrahlen müssen sie des Abends flugs hinab in die Kristallhöhle bringen, wo alsbald ein neuerwachtes Gefunkel und Geglitzer beginnt, daß es zuweilen ganz hell aus den Ritzen zwischen den Felsen scheint! Dann glüht der Glasberg, und die Kristalle bewahren die Sonne in sich für ein ganzes Jahr.
Seither aber kam es immer mehr außer Mode, am Johannismorgen das klare Wasser unbeschrien zu sammeln, auch gibt es immer weniger Jungfrauen! Und so kommt es, daß am Johannisabend auch selten noch ein Mensch sich auf den Glasberg verirrt, um Sternchenmoos und Mondscheinfarn mit dem Zauberwasser zu benetzen. Ohne das wunderkräftige Wasser aber geht es nicht nur den Menschen heute schlechter, ihre Herzen wie ihre Wohnungen sind nicht mehr voll Glück und Zufriedenheit, und das Kleine Volk hat sich von ihnen zurückgezogen. Kein Mensch findet im Glasberg noch einen Bergkristall, denn keiner weiß mehr um die alten Märchen, um die zauberhaften Bräuche und um die Kraft, die aus dem Berg strömt.
Deshalb habe ich euch einen kleinen Bergkristall für euer Glück und eure Zufriedenheit mitgebracht, bewahrt ihn gut! Und dankt den Kandsfinkelchen in jeder Johannisnacht, denn ihnen ist es zu danken, daß der Kristall im Glasberg noch immer sein Leuchten, Glitzern und Funkeln bewahrt - ihnen und der Johannisfee, und natürlich auch der alten Hutzel!
Marieta Hiller - als ich dieses Märchen bei der spätabendlichen Kandsfinkelschentour 2013 erzählte, fragte mich ein Teilnehmer, ob ich eine Erdmutter sei. Meine Antwort darauf: "nein, mit Esoterik habe ich es nicht so..." - wie schnell man doch in eine Schublade gesteckt wird, nur weil man Märchen erzählt!
In der Tiefe der Felsen im Felsenmeer, verborgen unter Sternchenmoos und Mondscheinfarn, da lebt die Johannisfee.
Und in jedem Jahr am Johannisabend wanderten einst die Menschen aus den Dörfern hinauf zu den Felsen, strichen mit den Händen zart über das Sternchenmoos der Felsen und benetzten es mit taufrischem Johanniswasser.
Dieses Wasser mußte von einer Jungfrau „unbeschrien“ - also in tiefem Schweigen und mit großer Ernsthaftigkeit - in den frühesten Morgenstunden aus dem klaren Quell des Felsenmeeres geschöpft und ebenso schweigend ins Haus gebracht werden. Nur so konnte das Johanniswasser dem Haushalt und seinen Bewohnern - den menschlichen, den tierischen und den Zauberwesen wie Kobolde und Hausgeister - ein ganzes Jahr lang zu Glück und Zufriedenheit verhelfen. Ein paar Tropfen von diesem Johanniswasser also mußten am Abend bei Sonnenuntergang auf das Sternchenmoos geträufelt werden, auch dies in tiefem Schweigen und mit großer Ernsthaftigkeit.
Dann begann der Mondscheinfarn alsbald zu blühen, mit einem purpurfarbenen Schimmer überzogen sich alle die feinen Spitzen der Farnkräuter. Lichter blitzten auf, erst eines, dann noch eines, und immer mehr. Feine grüne Laternchen wurden entzündet und schwebten durch die laue Dämmerung hinein in die samtblaue Nacht. Zarte Nebelfäden strichen aus den Felsenspalten empor, fächelten durch das Sternchenmoos und umspielten die blühenden Farnwedel. Weiter empor zu den glühenden Laternchen in der lauen blauen Nacht stiegen sie auf und sammelten sich. Dichter und fester woben sich die Nebelfäden, bis ein Gesicht zu sehen war: eine Fee wurde sichtbar.
Dies war die alte Hutzel, die Fee des Wunschkristalls, und sie lebte tief unten in den innersten Stübchen unter dem Felsenmeer. Nur an einem einzigen Tag des Jahres stieg sie hinauf an die Oberfläche, um mit den Lämpchen zu tanzen. Das war der Johannistag. Mit dem Kristall aber hatte es eine ganz besondere Bewandtnis: am Johannisabend durften die Menschen zur alten Hutzel kommen, um ihr von ihren Nöten und Sorgen zu erzählen und um ihren Herzenswunsch frei herauszusagen. Die alte Hutzel bedachte alles wohl, neigte ihr greises Haupt und lauschte in die Tiefen der Felsen hinein.
Dort begann es zu knistern, zu klingen und zu summen. Das war der Kristall. Es war nämlich dieser Kristall ein Wunschkristall. Und in der Johannisnacht wurde den Menschen, die reinen Herzens zur alten Hutzel kamen, ihr Herzenswunsch erfüllt. Nur eines durften diese Menschen niemals tun: einem Tier, einer Pflanze, einem klaren Bach, der süßen frischen Luft oder der ganzen Mutter Erde etwas zuleide tun. Dies mußten sie der alten Hutzel versprechen. Doch ach, viele Menschen dachten wohl bei sich: ja, ja das versprech ich wohl! Ließen sich ihren Wunsch erfüllen, lebten danach eine Weile glücklich und zufrieden. Aber dann, irgendwann, vergaßen sie ihr Versprechen vor lauter Glück und Zufriedenheit.
Der eine vergaß am Morgen die Kühe, die Schafe und Ziegen und das gute alte Pferd zu füttern, weil ihm im Bett gerade so wohl war. Der andere ließ seinen kranken alten Hund allein zurück, weil er ihm hinderlich war. Der dritte ertränkte fünf kleine Kätzchen im Teich, weil sie ihm zuviel waren. Ein vierter zertrat mutwillig Käfer und Schnecken am Weg, und gar viele achteten nicht, welch üble Dinge sie der Natur um sie herum brachten.
In der nächsten Johannisnacht erschien die alte Hutzel, doch sie sah blaß aus, fast krank. In den Tiefen unter dem Felsenmeer knisterte es wieder, doch es begann nicht zu klingen und zu summen. Vielmehr tat es einige laute Knickediknack, und dann war es still. Der Wunschkristall war zerbrochen. Traurig verschwand die alte Hutzel hinter dem Sternchenmoos, und der Mondscheinfarn hörte auf zu blühen. Die Laternchen in der lauen Nacht hörten auf zu tanzen, knipsten ihre Lichtchen aus und schwiegen still. Die Johannisnacht senkte sich tiefschwarz und schweigsam über die Erde. Und in jedem Jahr am Abend des Johannistages erscheinen sie wieder: die leuchtenden Fünkchen, sie tanzen durch die Nachtluft und warten auf die alte Hutzel.
In keiner Johannisnacht aber - seit vielen hundert Jahren - ist sie mit ihren Nebelhaaren aus den Felsen aufgetaucht. Jahr für Jahr tanzen die Glühwürmchen über den Felsen und warten auf sie. Doch der Kristall ist zerbrochen, und die alte Hutzel ist sehr traurig. Eine Hoffnung aber gibt es: wenn wieder Menschen hier her kommen und ihren Herzenswunsch aufsagen und dabei versprechen, daß sie keinem Tier, keiner Pflanze und auch der Erde nicht etwas zuleide tun wollen. Wenn viele Menschen dies versprechen und ihr Versprechen auch nicht übes Jahr wieder vergessen, dann könnte es sein, daß eines Tages die alte Hutzel wieder erscheint...
Marieta Hiller, zur Johannisnacht 2011 - Kandsfinkelchen werden im Odenwald die Glühwürmchen genannt. Immer um den Johannistag am 24. Juni beginnen sie mit ihrer Brautwerbung: sie entzünden ihr geheimnisvolles grünes Licht. Zu Tausenden schweben die Kandsfinkelchen (hochdeutsch Johannisfünkchen) durch die laue Sommernacht und verzaubern Menschen genauso wie Kobolde, Elfen und Feen.
Auf unserer Reise über die deutsche Märchenstraße durch die Landschaft der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm kommen wir früher oder später auch nach Bremerhaven, wo die Weser in die Nordsee mündet. Um Windjammer und Drachenboote, um sagenumwobene Schifffahrt geht es hier, und um den Klabautermann.
Und was glaubt ihr wohl, wer der Klabautermann ist!
"Ein polterndes, zwergenhaftes Männchen, das auf Schiffen sein Unwesen und allerhand Schabernack treibt, aber auch der Mannschaft zur Hand geht und sie beschützt." So steht es zu lesen im WeltWichtelWissen. Der Klabautermann diene oft als Ausrede für unerklärliche Vorgänge auf Schiffen, so heißt es dort.
Dabei ist der Klabautermann doch ein Verwandter der Kobolde, der Wichtel, Zwerge, Waldschrate und der Feen und Elfen - einer vom Kleinen Volk eben. Wie alle vom Kleinen Volk bemüht sich auch der Klaubautermann - wenn seine Heimat auch so naß und gefährlich ist, daß sich einigen Landratten unter den Kobolden geradezu die Haare zu Berge stellen - er bemüht sich darum, den Menschen zu helfen, wo es nur geht. Natürlich können die Menschen das mit ihrem unvollkommenen Hirn und ohne jede Verbindung zum geheimen Wissen des Kleinen Volkes nicht verstehen, und so spinnen sie lieber ihr Seemannsgarn.
Davon könnt ihr in Bremerhaven große Knäuel zusammenwickeln, denn die Stuben der Bürgerhäuser, die Handelskontore, die Kanzleien und Amtsstuben sind voll davon... Laßt euch verzaubern und lauscht in einer modernen lebendigen Stadt dem Seemannsgarn von fröhlichen Matrosen, gewichtigen Handelsherren und habgierigen Freibeutern.
Marieta Hiller
... Wer kennt ihn nicht, diesen Spruch einer heimtückischen bösartigen alten Hexe, mitten im finstersten Wald, wo nicht einmal mehr das Sonnenlicht durch die dichten Baumkronen dringt.
Muß diese widerliche Alte denn auch in einem Häuschen von leckerstem Knusper-Lebkuchengebäck wohnen! Was sollten die armen Kinder Hänsel und Gretel da wohl tun, hungrig wie sie waren nach ihrem langen Weg durch den dunklen Wald, weit ab von Weg und Steg, allein und verlassen?
Und: Knusper Knusper Knäuschen ist auch das Motto der Reichelsheimer Märchen- und Sagentage vom 26. bis 28. Oktober 2012. Hier wird viel Wissenswertes und Spannendes über Hexen - gute wie böse - zusammengetragen und berichtet. Und so manch eine Hexe wird sich wohl auch bei den Märchentagen blicken lassen - mit oder ohne Besen? Nun, das kommt drauf an, ob sie ihn noch hat. Da gibt es zum Beispiel eine Hexe, ganz in der Nähe, die nun schon seit unglaublich vielen Hundertjahren ihr Alter zwischen 120 und 150 Jahren zusammenschummelt. Tatsächlich ist sie schon wesentlich älter und vergißt öfter mal was. Auch von ihrem Zaubertrank nascht sie gerne gelegentlich. Und dann setzt sie sich auf ihren Besen - und was dann passiert, das wollt ihr nicht wirklich wissen...
Tatsache ist, daß das Amt für Hexenbesen, Ortswechselzauber und Flaschenentkorken ihr die Besenlizenz entzogen hat, und das schon vor vielen vielen Jahren. Denn dreimal wurde sie erwischt, wie sie angesäuselt und orientierungslos auf ihrem Besen zwischen den Wipfeln der Bäume herumschoß, einmal saß sie sogar verkehrtherum auf ihrem Besen. Dabei stieß sie ein verrücktes Kichern aus, das die Wesen des Kleinen Volkes, die im Felsenmeer wohnen, am Schlafen hinderte. Das laßt euch erzählt sein so wahr ich hier vor euch stehe - von eurem Kobold Kieselbart!
Eingänge in die geheime Welt der Wesen vom Kleinen Volk gibt es viele, doch bei den Menschen sind die meisten in Vergessenheit geraten.
Wer wüßte heute noch, wo der Gläserne Berg zu erklimmen ist, und in welchen Brunnen wollte sich stürzen, der Frau Holle besuchen will? Nur in den Märchen hört man noch von ihnen: Pforten in die Anderswelt, wo Elfen, Feen und Kobolde, aber auch Hexen, Waldschrate und Riesen leben. Für eine kurze Zeit (um genau zu sein von 1999 bis 2020) gab es einen Ort, an dem es Menschen gelingen konnte, in jene geheimnisvolle Welt zu schlüpfen: dieser Ort liegt im Odenwald, genauer im Felsberg. Ganz in der Nähe des Felsenmeeres, wo die Kobolde leben. Finden konnte dieses Zwergentor nur, wer ganz bestimmte Dinge weiß und tut.
Denn es braucht ein Zauberwort, ein ganz spezielles. Und man muß reinen Herzens sein, wenn man durch das Zwergentor hindurchkriecht. Sind es bei den Erwachsenen nette Handreichungen und freundliche Dienste, die seit dem letzten Sonnenaufgang nicht abgeschlagen worden sein dürfen, so sind es bei Kindern die Socken. Socken spielen in der Welt des Kleinen Volkes eine wichtige Rolle: jeder kennt Dobbie, den Hauself von Harry Potter, der frei wurde, weil ihm sein Herr eine Socke geschenkt hat! Und so ist es auch mit dem Zwergentor: wer seit dem letzten Sonnenaufgang auch nur eine Socke unordentlich herumliegen gelassen hat, dem öffnete das Zwergentor nicht den Zugang in die Zauberwelt.
Wohl kann man jederzeit hindurchkriechen, durch das Zwergentor. Denn sichtbar ist es auch für Menschen, die von der Zauberwelt nichts wissen.
Doch wer erst einmal davon erfahren hat, der wollte sie auch zu gerne besuchen können, die Zauberwelt!
- Hören von den seltsamen Wesen, die dort leben - den Kobolden, Elfen und Waldschraten, und von den beiden Riesen, die überhaupt an der Entstehung des Felsenmeeres schuld sind
- Sehen, wie die Felsen dabei übereinandergepurzelt sind und einen der beiden Riesen, Felshocker, unter sich begraben haben
- Riechen, wie geheimnisvolle Ingredienzien zu einem Märchenwunderzaubertrank werden. Probieren, wie echte Dracheneier schmecken
- Fühlen, wie ein Stein atmet, unter seinem dichten Kleid aus Moos
All diese Dinge konnte man gemeinsam mit Kobold Kieselbart, dem Menschenbeauftragten der Kobolde im Felsenmeer und dem einzigen Kobold der überhaupt mit Menschen spricht, entdecken. Man mußte ihm nur das Zauberwort ganz richtig nennen können! Vorausgesetzt alle Socken wurden vorher ordentlich aufgeräumt, Mutti hat für Papi die Zeitung geholt und Papi wiederum für Mutti den Müll runtergebracht - sonst werdet ihr die Zauberwelt wohl nie erblicken...
... und das werdet ihr auch nicht mehr! Denn im Herbst 2020 beschlossen Kieselbart und das ganze Kleine Volk, sich den Menschen nicht mehr zu zeigen. Hier könnt ihr lesen warum: Felsenmeer: Naturschutz oder Müllkippe?
Aber ich habe die persönliche Genehmigung von Kobold Kieselbart als oberstem Kobold des Kleinen Volkes im Zauberwald, euch weiterhin Geschichten zu erzählen! Mit mir - und mit etwas Phantasie - könnt ihr durch das Zwergentor in die Zauberwelt gelangen! Marieta Hiller
Wie gar oft müssen wir in Märchenbüchern lesen oder in alten Erzählungen hören, daß es einst wilde Weibchen gab.
An zahlreichen Orten im Odenwald gibt es Wildleutheusel, Wildweibchensteine oder ein Wildfrauhaus - meist rauhe Felsformationen mitten in der Waldwildnis. Schwer ist es uns heute vorstellbar, daß hier einst Menschen gehaust haben sollen. Und doch: auch die Räuber lebten ja in solchen Unterschlupfen, in Höhlen oder unter großen Steinen, die mit Ästen und Zweigen ausgebaut waren. Wer aber waren die wilden Weibchen?
Nun muß man wissen, daß es sich in früheren Zeiten nicht schickte, als Frau alleinstehend zu bleiben. Nur als Gattin ihres Mannes galt sie etwas. Starb einer Frau der Mann, so mußte sie übers Jahr wieder heiraten. Sonst war sie nicht mehr gern gesehen in ihrer Dorfgemeinschaft. Schnell wurde sie der Zauberei beschuldigt - und war es nur, daß einer Anderen Mann ihr einen Blick hinterhergeworfen hatte! Sie mußte weg. Hinaus aus dem Dorf. Aber zu jenen Zeiten - lang vergangenen Zeiten, möchte man gerne sagen, doch nicht überall auf der Welt gehören sie heute ins Reich der Märchen... - konnte sie nicht einfach ins nächste Dorf und sich dort ein neues Leben suchen. Dazu brauchte man einen Passepartout, ein Erlaubnisschreiben aus dem Heimatdorf. Nur mit einem Passepartout durfte man sein Dorf nämlich verlassen - es sei denn, man war eine Unwillkommene. Diesen armen Frauen aber stellte kein Dorfschultheiß einen Passepartout aus. Denn damit würde die Zugehörigkeit der Frau zu seinem Dorf bestätigt, und man wollte sie ja gerade loswerden!
Nun lebten diese Frauen also allein und ausgestoßen, und ihnen blieb nur der große dunkle Wald. Steinüberstände mit Moos und einem Zweigdach wurden ihr Zuhause, bald hingen die Kleider in Fetzen, dafür bedeckten lange Haare ihre Blößen. Und sie zogen sich weit weit zurück in den tiefsten Wald. Denn wurde ihrer ein Mann ansichtig, so schützte sie keiner. Im Gegenteil, als lüsterne und kirchenscheue Tagediebinnen wurden sie verschrien, und durften doch gar nicht in die Kirche hinein, wo ihnen Schutz zuteil geworden wäre. Von Beeren, Wurzeln und Vogeleiern ernährten sie sich, und mit Kräutern und ihren Wirkungen wußten sie bald so gut bescheid, daß ihr Ruf doch über die Ränder des Waldes hinausdrang.
Mag es ein einsamer Köhler berichtet haben, oder eine Räuberbraut hat sich auf einen Plausch mit einer wilden Frau eingelassen, auf irgendeinem verborgenen Weg erfuhr die wohlanständige Welt der Dorfgemeinschaften von der Heilkunst. Daß die Frauen schon immer der Zauberei mächtig waren, wußte man dort ja schon. Nun aber stach es so manchen braven Bürger, und heimlich und ganz im Stillen machte er sich auf, die Heilkraft der Wildfrau zu suchen. Wären die wilden Weibchen nun bösartig gewesen ob all der schlimmen Behandlung, die ihnen in der Menschenwelt zuteil wurde, so hätten sie wirklich allen Grund gehabt für böse Zaubersprüche.
Doch bescheiden und freundlich halfen sie den Menschen, die mit einer Bitte zu ihren armseligen Behausungen wanderten. Jene aber erzählten zuhause nicht, wo ihnen Hilfe gebracht wurde. Manch einer berichtete dann, bei einer alten Braucherin in einem weit entfernten Bergdorf Gesundheit, Wohlstand oder Glück wiedergefunden zu haben. Zu einer wilden Frau aber ging man nicht. Und dennoch: das Gerücht zog von Herd zu Herd, und von manch einer Wildfrau ist sogar überliefert, daß der Pfarrer höchstselbst hinausgewandert ist zu ihrer Höhle und seinen Segen darübersprach, als heimlichen Dank für die freundliche Hilfsbereitschaft der kräuterkundigen Frauen. Heute mögen im Wald keine wilden Weibchen mehr leben, nur ihre einstigen Behausungen leben fort. Denn die Felsen behalten ihre Namen. Doch hüten wir uns davor, uns in Sicherheit zu wähnen!
Wie schnell kann es geschehen, daß niemand uns mehr einen Passepartout ausstellen will! Froh könnten wir dann sein, wenn man uns wenigstens ein paar Linsen aus der Asche putteln läßt, oder wenn wir in Fetzen aus „Allerleirauh“ gehüllt heimlich und unerkannt die Küche des Königs reinhalten dürfen.
Marieta Hiller
Wird in einem Märchen ein Kind geboren, dann ist es grad wie im richtigen Leben: die Eltern freuen sich - „es ward ihnen ein Kindlein geboren, und sie hüteten es wie ihren Augapfel...“oder aber die arme alleinstehende junge Mutter weiß nicht, wie sie ihr Kind ernähren soll - „und sie weinte bitterlich und flehte die guten Geister um Hilfe an...“.
Ganz schlimm wird es aber, wenn eine mißgünstige böse Fee über das Neugeborene einen üblen Fluch ausspricht: „es soll aber kein Tod sein, sondern ein hundertjähriger tiefer Schlaf...“ Manchen Märcheneltern wird aber auch gar kein Kind geboren, und sie sind traurig - „ach, wenn wir doch ein Kindlein hätten...“, bis ihnen ein Frosch, ein Storch, eine gute Fee die frohe Botschaft bringt, daß sie übers Jahr eine Tochter zur Welt bringen werden.
Wer sich über ein Kindlein freut, der pflanzt ihm ein Apfelbäumchen - das ist uralter Brauch schon seit keltischen Zeiten, und auch in unseren Märchen zu finden. Bis zur Taufe darf ein Kind nicht bei seinem Namen genannt werden, denn das bringt Unglück! Böse Feen lauern allüberall, um sich der Seelen Neugeborener zu bemächtigen. Und so sagte man früher im Odenwald liebevoll „Pannestielsche“ (Pfannenstielchen) zu ungetauften Neugeborenen.
Wer das kleine Wesen jedoch nicht durchfüttern kann oder will, der setzt es in einem gepichten Weidenkörbchen auf dem Wasser aus. Hofft die eine Mutter, daß ihr Kind gefunden wird und in ein gutes Zuhause kommen möge, so ist der anderen Wunsch, es möge ertrinken. Müllersleute fischten die Weidenkörbchen dann aus dem Wasser, denn in früheren Zeiten, zu denen ja die Märchen handeln, da standen noch viele Mühlen an den Bächen, und am Mühlwehr führte der Weg für das ausgesetzte Kind nicht weiter als bis zum Mühlrad.
Und wie es sich im Märchen nun mal zuträgt, so wachsen die Kinder bei den Müllersleuten auf, die einen in einem gutbehüteten Elternhaus mit genug zu Essen, warmer Kleidung und einem hübschen Dach über dem Kopf, die anderen aber müssen ihr Lager mit mißgünstigen Stiefmüttern und deren bösartigen Kindern teilen. Immer aber - und das ist das Schöne im Märchen - immer aber begegnen sie, nachdem sie groß und kräftig sind, ihren leiblichen Eltern. Die haben sich oft jahrelang gegrämt und bitterlich bereut, was sie einst getan haben, und so schließen sich alle in die Arme und leben fortan glücklich und zufrieden.
Manch ein Kind verschlägt es auch erst später in die Fremde: Hänsel und Gretel müssen ihre Eltern verlassen, denn sie sind bitterarm und wissen nicht wie sie die beiden ernähren sollen. Und wie gar oft nimmt ein Kind die Beine in die Hand und wandert in den finsteren Wald hinein, weil es die böse Stiefmutter fürchtet! Auch gibt es Kinder, denen die heißgeliebten Eltern wegsterben, die noch eine letzte Blume aufs Grab pflanzen, bevor sie in der Fremde ihr Glück suchen. Und es gibt so viele Dummlinge, Kinder die in ihren Familien überzählig sind. Auch sie ziehen fröhlich fürbaß, um sich in der Welt zu bewähren.
Aus allen aber - und das ist das Tröstliche im Märchen - wird einmal etwas werden. Groß und stark, dabei gerecht und bescheiden, kommen sie eines Tages des Wegs gewandert, werden von ihren alten Eltern staunend in die Arme geschlossen, oder aber ihre einstigen bösen Widersacher erhalten ihre gerechte Strafe.
Marieta Hiller
Einst kamen sie übers Meer nach Irland: die Zwerge vom Kleinen Volk, gemeinsam mit den Menschen der Bronzezeit.
Flugs machten sie sich ans Werk und verwandelten die waldig-geheimnisvolle Insel in ein grünes Grasland. Hell klangen die Äxte, krachend stürzten die uralten Baumriesen zu Boden und wurden zu ganz gewöhnlichem Brennholz für die Rennöfen, mit denen die Zwerge aus Erz ihr heißbegehrtes Metall gewannen. Niemand störte sich daran, daß in den tiefen Wäldern schon jemand gewohnt hatte. Elfen nämlich, durchscheinend helle Flatterwesen, die in der Hauptsache aus Lachen bestehen und die Musik ihrer goldenen Harfen liebten. Die She und Shi, denn so heißen sie in der Sprache der Insel, hießen auch das Stille Volk, denn sie lebten friedlich.
Kein Wunder, daß die Zwerge ihr stilles Glück zerstörten! Fortan schlüpften die Elfen ins Gefieder der Vögel, die sie weit in die Welt hinaus bringen sollten. So gelangten viele Wesen vom Stillen Volk einst, vor langer langer Zeit, nach Island, wo sie noch heute in friedlicher Eintracht mit den Menschen dort leben.
Nach Irland aber kamen, einige Zeit später, die alten Römer, und auch sie brachten ihre Hausgeister mit auf die Insel, die bei ihnen hibernia hieß. Doch den römischen Leuten vom Kleinen Volk gefiel es nicht auf der Insel, und so mußten die Römer schließlich das grüne Land wieder verlassen, ohne daß auch nur einer ihrer Geschichtsschreiber um den wahren Grund wußte. Schließlich fielen noch die Wikinger über das Land her und brachten ihre schauerlichen Klabautermänner mit. Dann blieb es für lange Zeit still auf Eire, wie die Insel bei den menschlichen Bewohnern heißt.
Die geheimen Orte, an denen ein Übergang in die Anderswelt gelingt, gerieten in Vergessenheit. Doch eines wurde nie vergessen: die alten Geschichten über Feen, Elfen und Kobolde, aber auch von Wiedergängern und Riesen. Und auch die Erinnerung an die Anderswelt blieb lebendig, nur wußte niemand mehr, wo die Eingänge zu suchen waren. In Märchen aber blieb das Wissen um die Eingänge erhalten: so muß man einfach in einen Brunnen springen, um zu Frau Holle und ihrer geheimnisvollen Welt zu gelangen. Auch der Glasberg im Märchen von den Sieben Raben ist ein solcher Zugang. Doch welcher Mensch beherrscht noch die Kunst, einen Zugang zur Anderswelt zu finden?
Glasberge sind heutzutage recht selten geworden, und an allen Brunnen steht geschrieben „Verunreinigen bei Strafe verboten“. Wer würde es da wagen, hineinzuspringen! Doch müssen auch die modernen Menschen in Irland nicht ganz ohne Wesen vom Kleinen Volk auskommen - schließlich sind diese Wesen geduldig und hilfsbereit, und sie folgen stets ihrem Wahlspruch, daß den Menschen geholfen werden muß. Und so kennen die Menschen auf der grünen Insel seit altersher ihre Kobolde als Leprechauns. Das kommt aus dem Irischen Lú Chorpain und heißt schlicht „Kleine Gestalt“. Klein sind sie wirklich: nur sechsundzwanzig Zoll mißt ein ausgewachsener Leprechaun.
In den alten Geschichten der Menschen heißt es stets, die Leprechauns seien einst aus einem geheimnisvollen Land unter dem Meer gekommen, mehr weiß man leider nicht über ihre Herkunft. Aber daß sie rote Mützen tragen, mit denen sie im Nu verschwinden und woanders wieder auftauchen können, das weiß man sehr wohl. Seit langem bereits gehen die Leprechauns dem Handwerk des Schuhmachens nach, denn die Elfen, die vor vielen vielen Sommern zurückgekehrt sind, und die Tag und Nacht lachen und zu ihrer perlenden Harfenmusik tanzen wollen, brauchen sehr viele Schuhe. Zertanzte Schuhe müssen ständig ausgebessert werden, oftmals auch durch ganz neue ersetzt werden.
Dafür entlohnen die Elfen die Leprechauns sehr großzügig: ihr fröhliches Lachen verwandelt sich in reines Gold für die Leprechauns! Das Gold aber, das hüten die irischen Kobolde wie ihren Augapfel, sie vergraben es an geheimen Plätzen. Und so kommt es, daß immer wieder Menschen ausziehen, um einen sagenhaften Schatz zu heben, den Schatz der Leprechauns. Doch wie könnte es anders sein: noch niemals hörte man davon, daß ein Mensch einen solchen Goldschatz gehoben hätte! Wohl hat so mancher schon versucht, einen Leprechaun zu fangen - was am besten gelingen soll, wenn dieser ganz in seine Schuhmacherei versunken ist! - doch solange man ihm nicht seine rote Mütze wegnimmt, ist er - schwupps - im gleichen Augenblick verschwunden, in dem man den Gedanken faßt, ihn zu fangen.
Ihre Erfahrungen mit den Leprechauns haben die Menschen, gewissenhaft wie sie sind, nicht nur in vielen wunderschönen Märchen fort und fort erzählt. Sie haben dem Leprechaun sogar ein eigenes Museum eingerichtet: im Herzen von Dublin. Dort kann man sogar - so heißt es - die Reise zum Ende des Regenbogens unternehmen, wo alten Märchen zufolge der große Goldschatz vergraben sein soll. Und es gibt Abende hier, an denen Geschichten von der dunkleren Seite des Übernatürlichen, erzählt werden, Geschichten die man sich nur anhören sollte, wenn man schon groß ist und eigentlich nicht mehr an das Kleine Volk glaubt. So heißt es jedenfalls im WeltWichtelWissen unter www.leprechaunmuseum.ie.
Auch Riesen gab es natürlich auf der grünen Insel. So geht die Sage um „Giant’s Causeway“ hoch im Norden Irlands, auf Irisch „Clochán an Aifir“ genannt: der Riese Fionn mac Cumhaill baute diesen „Damm des Riesen“ einst. Sein schottischer Widersacher Benandonner habe Fionn eines Tages derartig beleidigt, daß Fionn einen Damm zu bauen begann, um Benandonner in einem Duell zu besiegen. Riesige Felsen aus den Klippen, Basaltsäulen, die er aufrecht ins Meer rammte, sollten ihm den sicheren Weg nach Schottland bilden. Kam war er fertig, so forderte er Benandonner zum Kampf heraus. Dieser mußte die Herausforderung annehmen, das war klar.
Fionn aber war müde und fürchtete, im Kampf nicht bestehen zu können. So verkleidete seine Frau ihn flugs als Baby, und als Benandonner heranstampfte, erklärte Fionns Frau, dieser sei gerade nicht da. Sie lud ihn aber auf einen Tee ein, so könne er auf Fionns Rückkehr warten. Benandonner aber betrachtete mit gerunzelter Stirn das Riesenbaby, und als er sich vorstellte, wie wohl der Vater eines solchen Babys aussehen müsse, packte ihn die Furcht. Flugs schlürfte er seinen Tee aus, erklärte Fionns Frau, daß er Wichtiges in Schottland zu erledigen habe, und stapfte so heftig über den Damm zurück dorthin, daß der Damm zerstört wurde.
Noch heute aber liegen die Überreste unweit des Städtchens Bushmill an der Küste. Ein letztes Wörtchen noch zu den Elfen: einige blieben in Island und auch an anderen Orten auf der Welt, gerade wohin sie der Flug der Vögel einst getragen hatte. Eine aber, die kleine Elfe harpshee, hatte ihre geliebte goldene Harfe verloren, gerade als die sieben Raben mit ihrer ganzen Familie sich in die Lüfte erhoben hatten. So trauerte sie viele lange Sommer, denn alle Elfen ringsum lachten zu ihrem perlenden Harfenspiel, nur Harpshee mußte sich mit Singen begnügen.
Eines Tages brach sie deshalb auf, und einige ihrer treuesten Freundinnen und Freunde begleiteten sie. Wie aber schauten die Elfen, als sie ihre Insel wieder sahen! Die geheimnisvollen tiefen Wälder waren weiten grünen Wiesen gewichen, auf denen Kühe und Schafe weideten und Menschen in Holzhütten und in Steinhäusern lebten. Doch die goldene Harfe, die Harpshee einst verloren hatte, die sollte noch immer an ihrem versteckten Ort liegen, gleich hinter dem Ende des Regenbogens. So hatte es ein Leprechaun der Elfengesellschaft heimlich verraten. Vergnügt flatterte Harpshee sogleich dorthin, schaute hinter einem Topf voll Gold nach - und dort lag sie. Ein wenig verstaubt, aber mit einem wunderbar perlenden Klang! Und seither tanzen sie wieder, die Elfen - und die Leprechauns reparieren dann ihre zertanzten Schuhe...
Marieta Hiller
Kleine graue oder auch schwarze Männlein spielen im Märchen oft eine große Rolle. Natürlich gehören sie zu den geheimnisvollen Vertretern des Kleinen Volkes, genau wie Kobold Kieselbart aus dem Felsenmeer. Sie können zaubern, sind jähzornig und - können drei Wünsche erfüllen!
Du kannst dir jetzt einen Wunsch zu Weihnachten oder zu deinem Geburtstag erfüllen, wenn du die Antwort auf folgende Fragen weißt:
Wer tanzt herum und singt: „heute back ich morgen brau ich?“
Und wen holt er sich morgen?
Und was tut er am Schluß des Märchens?
Drei Fragen, drei Antworten, drei Wünsche, drei Gewinner - Drei ist die magische Zahl im Märchen, mehr Zahlen braucht man dort nicht! - aber Achtung: zwei haben sich schon gemeldet...
Schickt die richtigen Antworten einfach an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, schreibt in den Betreff "Märchenrätsel ach wie gut" dann werdet ihr schon sehen ...
Die böse Hexe, der heimtückische Waldschrat, häßliche Orks, der wilde Wolf, garstige Trolle, die lieblose Stiefmutter, unheimliche Dementoren, Wildruden die nach Blut schreien, feuerspeiende Drachen, gewissenlose Waldelfen, der zornsprühende Zauberer - sie alle bedrohen uns im Märchen.
Sie bedrohen uns so, daß wir uns stets mit ängstlichem Blick über die Buchseiten umschauen und vergewissern, daß alle finsteren Ecken monsterfrei sind. Sie lehren uns das Fürchten, sie versetzen uns in schieres Entsetzen, sie stellen uns vor unlösbare Schwierigkeiten. Ganz gleich, ob es die netten Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, die meist so traurigen Kunstmärchen von Hans Christian Andersen oder anderen Dichtern der Romantik sind, ob es moderne Märchen wie Startrek, Harry Potter, Herr der Ringe oder Eragon sind - sie alle stellen uns buchstäblich vor den Berg aus Glas, den wir erklimmen müssen und doch nicht können.
Märchen sind nicht einfach nur harmlos, sie sind nicht nur romantisch und schön, nein! Sie fordern etwas von uns, etwas ganz Elementares: Zuversicht und Selbstvertrauen!
Denn wir überwinden den gläsernen Berg, wir töten den Riesen, wir bezwingen die Orks und die Dementoren, wir durchdringen den finsteren Wald und finden dann etwas, das für uns unendlich wichtig ist: uns selbst, unsere Kraft, unser Vertrauen in uns selbst. Das ist es, was Märchen für Kinder so wertvoll macht, und was uns Erwachsene sie so begeistert lesen (oder im Kino anschauen) läßt. Wir wachsen an ihnen.
Der Dummling bringt die Prinzessin heim, Aschenputtel findet seinen wirklichen Platz, Rotkäppchen weiß plötzlich, daß der rechte Weg wichtig und richtig ist, die verzauberten Geschwister finden einander für alle Zeiten. Alles fügt sich. Märchen sind unser seelisches Brot.
Es gibt viele Psychologen, die Kluges über Märchen und über uns, die wir Märchen lesen oder hören, zu sagen wissen. Doch eigentlich wissen wir es selbst am besten. Daher kommt es nämlich, warum Kinder immer wieder ein und dasselbe Märchen hören möchten. Wir denken, das Kind müsse das Märchen ja nun schon auswendig können - und das kann es auch! Erzählen Sie Ihrem Kind ein Märchen, und Sie merken sofort, ob es gerade DAS einzige wichtige Märchen für Ihr Kind ist. Erzählen Sie es immer wieder - bald können Sie gemeinsam mit Ihrem Kind Wort für Wort rezitieren, doch vertrauen Sie darauf: Ihr Kind weiß was es braucht und wann es genug hat.
Ein Märchen fesselt, es hält uns fest. Aber eines dürfen Sie niemals tun: Ihrem Kind ein Märchen erklären.
Sie töten das Märchen damit, und Sie verstören Ihr Kind. Wie viele Kinder sieht man heute, die laut schreiend vor einer verkleideten Hexe weglaufen - hätten sie viele Märchen gehört, in denen die böse Hexe zum Schluß das bekommt, was sie verdient, würden sie sich ihr mutig stellen! Denn sie wüßten, daß sie am Ende über die Hexe triumphieren - alles fügt sich.
Für Kinder, die nicht das Glück haben, Märchen hören zu dürfen, gibt es billigen Ersatz: Monsterspray etwa, das man unter das Bett sprühen kann und in den Schrank. Doch wie schwach ist ein Monster, das man mit Spray bekämpfen kann? Lohnt sich das überhaupt? Je stärker das Böse, desto größer der Triumph - und der Triumph ist sicher, zumindest imMärchen. Was aber für das wirkliche Leben bleibt, ist das Selbstvertrauen. Welch kostbareres Geschenk können wir unseren Kindern also mit ins Leben geben als Märchen?
Marieta Hiller
Aschenbrödel bei Božena Nemcová, der um 1820 als Kind einfacher Leute in Wien geborenenen tschechischen Schriftstellerin, Aschenputtel in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, Cinderella bei Walt Disney - sie alle haben viel mit der Hasel zu tun.
Und so heißt einer der wohl schönsten Filme aller Zeiten „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Dieser Film aus den 70er Jahren erweckte eine eigene Fanpage zum Leben: www.dreihaselnuessefueraschenbroedel.de. Der tschechisch-ostdeutsche Märchenfilm, im Original „Tři oříšky pro Popelku“ orientiert sich am Märchen von Božena Nemcová, die das Grimmsche Motiv Aschenputtel aufgriff, in dem sie den sie drei Haselnüssen eine wichtige Aufgabe gibt: sie bergen eine jede ein Geheimnis, das dem Aschenbrödel - schönes Stiefkind, von seiner Stiefmutter und deren richtiger Tochter erniedrigt und schikaniert - zu einem besseren Leben verhelfen kann.
Sicher 400 Varianten dieses Märchens leben seit der Antike auf mehreren Kontinenten, und die Hasel stellt ihr zentrales Motiv dar. So wie die Nuß Sinnbild für Werden und Vergehen ist, wie aus ihr ebenso ein stattlicher großer Baum heranwachsen kann oder auch nichts außer schimmliger Luft darin stecken kann, so steht die Haselnuß im Märchen für all das Geheimnisvolle, das wir nicht sehen, das wir aber erleben können.
Eine wunderschöne Sage erzählt man sich im Odenwald: eine Nuß fällt vom Baum, und aus ihr wächst ein Nußbaum heran. Dieser trägt selbst wieder Nüsse, viele Jahrzehnte lang. Dann wird der Baum gefällt, denn sein Holz ist kostbar. Ein Meister schnitzt eine Wiege aus diesem Holz, und bald liegt ein neuer kleiner Mensch darin. Und erst wenn dieser Mensch einen Nußbaum pflanzt, dann erst ist eine Sekunde der Ewigkeit vergangen. Märchenhaft nacherzählt hier: Das Märchen von der Waldkiefer auf dem Auerbacher Schloß
Diese Nuß ist eine Walnuß, auch Welschnuß genannt. Wer kennt nicht die hübschen Zeichnungen der Kindheit, wo in einer halben Walnußschale ein winziges Wichtelbaby wohlgeborgen liegt? Wer erkennt nicht die Ähnlichkeit zwischen der Walnuß und dem menschlichen Gehirn? Die Walnuß ist ein besonderes Symbol - für uns Menschen und für die Märchen. Aschenbrödel aber bekommt wie durch Magie drei Haselnüsse.
Beide - Walnuß und Haselnuß - begleiten uns Menschen sicher schon genauso lange wie die Märchen. Schon in der Steinzeit galten sie nicht nur als gutes wertvolles und leicht verfügbares Nahrungsmittel, sondern auch als Symbol: für Lebens- und Liebesfruchtbarkeit, für Unsterblichkeit, für Glück. „Frau Haselin“, die Haselstaude, durfte nicht gefällt werden, und Fremde durften von Haselsträuchern nicht mehr als eine Handvoll Nüsse nehmen. Die Johannistriebe der Haselbüsche (Sommeraustriebe) wurden zu Grenzmarkierungen, wichtigen Zeichen also. Der Haselzweig diente in allen Zeiten als Friedenssymbol, und mit einem Haselzweig konnte man sich vor Schlangen und Hexen schützen.
Noch heute werden Haselruten als Wünschelruten verwendet, denn sie sollen fähig sein, Kraftströme fließen zu lassen. Aschenbrödel wünschte sich das Erstbeste, das dem Knecht - in Grimms Version ist es der Vater - in den Schoß fiele, als Mitbringsel aus der Stadt. Und ausgerechnet drei Haselnüsse - bei Grimm ein Haselzweig mit drei Haselnüssen - werden dies sein.
Im Grimmschen Märchen hat nun der Froschkönig ein Wörtchen mitzureden, denn er holt für Aschenputtel die in den Brunnen gefallenen Haselnüsse eine nach der anderen herauf. Im Märchen Der Froschkönig muß die Prinzessin den Frosch küssen, und darum geht es auch hier: um einen Prinzen, um Zueinanderfinden. Aschenbrödel findet in den drei Haselnüssen wunderschöne Kleider, das letzte sogar das Brautkleid.
Auch dies geht auf einen uralten Brauch zurück, aus der Zeit, als die Märchen noch wahr waren: denn damals ging man noch „in die Haseln“, wenn man ein Stelldichein hatte. „Viel Hasel, viel Kinder ohne Vater“ wies auf diese frühe Ausprägung von „careless love“, und wer „aus einer Haselstaude entsprungen“ ist, der ist ein außereheliches Kind - ein Kind der Liebe. Die Liebe ist es wiederum, die den Prinzen und Aschenputtel / Aschenbrödel endlich zusammenführt. Und so schließt sich der Kreis -oder sollten wir sagen: die Nußschale - wieder.
Marieta Hiller
Laßt mich, liebe Märchenfreunde, euch einmal eine wahre Geschichte erzählen, eine Geschichte von zauberhaften Wesen, von Gestalten die aus Traumwelten, ja aus der Traumzeit selbst zu uns herüberblicken, mit ihren goldenen Augen voller uraltem Wissen - und voller unermeßlicher Trauer. Denn sie geraten in Vergessenheit... Kein Mensch lebte noch auf der Erde, als die Saurier unsere blaue Kugel bewohnten. Niemand von uns hat sie je lebendig erblickt, und dennoch bevölkern sie unsere Fantasie, unsere Träume, unsere Märchen und Fabeln: denn wer anders wenn nicht die Dinosaurier zeigen sich in der Gestalt von Drachen? So vielfältig wie die Urzeit-Echsenwelt erscheinen uns auch die vielen Exemplare der Gattung Draco. Da gibt es bösartige und zerstörerische Drachen ebenso wie verwunschene oder traurige, gutmütige, gar kinderliebe Wesen. Dennoch: sie alle haben etwas gemeinsam. So unterschiedlich sie auch in Aussehen und Charakter erscheinen, gehören sie doch allesamt zur Gattung der Drachen - in allen Kulturen und in allen Jahrhunderten unserer Zeitrechnung. Drachen fliegen oder kriechen durch unsere allerältesten Märchen, die Mythen, ebenso wie durch Erzählungen aus den letzten fünfhundert Jahren. Woher aber haben alle Menschen auf dem ganzen Erdball ihre immer gleichen Geschichten von den schuppenschillernden Mischwesen aus Vogel, Reptil und Raubtier? Gibt es so etwas wie eine kollektive Erinnerung an eine Zeit vor der unseren? Es gibt sie. Hunderte von Drachengeschichten können schließlich nicht irren. Und so bewegen sie sich weiter durch unsere Fantasie, die Drachen, starren aus unergründlichen unerbittlichen Goldaugen auf uns Träumende, fauchen mit gespaltener Zunge und rauchenden Nüstern, schlagen mit Adlerklauen, Löwenpranken und stachelbewehrtem Schwanz, und immer haben sie etwas zu behüten. Einen Schatz etwa - in unseren Märchen so alt wie die Drachen selbst. Ein Schatz ist eine Kostbarkeit, sorgsam zu hüten vor dem Zugriff böser Mächte - wer könnte das wohl besser als ein Drache! Seit altersher ist ein Schatz etwas, das aus der Erde kommt, aus tiefen Felsenklüften, in Millionen von Jahren zu Kristallen erstarrt, glitzernd und funkelnd und von zauberhafter Anziehungskraft. Doch was anders als Drachentränen könnten die Edelsteine wohl sein? Drachentränen, einst vergossen in unermeßlich-einsamem Kummer, feuerglühend auf die unbewohnte Erde getropft, hindurchgeschmolzen durch die oberen Erdschichten bis hinab in das Felsenreich der tiefsten Geheimnisse. Dort hielten sie über unermeßliche Zeiträume hinweg die Träume der Drachen in ihrem Inneren verborgen. Und jetzt Hand aufs Herz: wer von uns Menschen möchte, daß all seine Träume für jedermann sichtbar würden? So hüten auch die Drachen ihre Träume, ihren Schatz. Manchmal allerdings spüren seltsame Gestalten solch einen Drachenschatz auf: Zwerge etwa. Zwerge gehören wie Kobolde, Elfen viele andere Wesen zum Kleinen Volk, das - wie die Drachen - Höhlen und Erzgänge tief unter der Erde liebt. Zwerge waren es, die den größten Schatz aller Zeiten in ihre Hände bekommen hatten: den Nibelungenhort, einstmals von Göttern, den Asen, erschaffen. Jene Götter schürten unter den Menschen Neid und Mißgunst mit ihrem Gold, und so wurde einer dieser Menschen zu einem Lindwurm. Die Geschichte wird dann sehr unterschiedlich erzählt: mal stahlen die Götter den Goldschatz den Zwergen unter König Andvari - auch als Alberich bekannt -, mal stahl der Recke Siegfried den Schatz der Zwerge und erlegte dann den Drachen, mal stibitzten die Zwerge den Schatz auch dem Drachen. Später dann begannen selbst die Menschen, tief in der Erde zu schürfen, auf der Suche nach Gold und Silber, nach Erzen und edlen Steinen. Die Drachen zogen sich zurück, ganz tief unten in der Traumwelt versteckten sie sich, und nur manchmal tauchte einer an der Oberfläche auf. Etwa an jenem nebligen Tag, als das Seemonster vom Loch Ness versehentlich oben und unten verwechselte, und anstatt in seine gemütliche Höhle tief unter der Wasserfläche zu kriechen, steckte es seinen Echsenkopf heraus in die Luft, verharrte verwundert einen Augenblick, bevor es seinen Irrtum erkannte und schleunigst abtauchte. Die Menschen jener Region aber haben seit diesem Tag ihre Touristenattraktion, auch wenn dem Seemonster nie wieder ein solcher Fehler unterlief. In vielerlei Gestalt hausen Drachen in unserer Welt: da gibt es die australische Regenbogenschlange, die als zugleich männliches und weibliches Wesen aus der Traumzeit der Aborigines sowohl weiblicher Erdgeist als auch männliche Sonne ist. Ein sehr alter Drache ist Mušhuššu (wer ihn beim Namen nennen möchte: er spricht sich Musch-chusch-schu), er geisterte vor zweieinhalbtausend Jahren durch die Träume der Babylonier. Ein sehr altes Relief dieses Drachenwesens ist zu sehen auf dem Ištar-Tor, gebildet aus glasierten Ziegeln, ein goldener Drache auf blauem Grund, geschaffen im Auftrage König Nebukadnezar des II. und zu sehen im Berliner Pergamonmuseum. Zweihundert Jahre später trat der altägyptische Gott Apophis auf, Widersacher von Sonnengott Re, als Schlangen- und Schildkrötenwesen für Zerstörung, Finsternis und Chaos zuständig. In Mesopotamien gab es die Göttin Tiamat, zuständig für das Salzwasser und von drachenartiger Gestalt. Sie mußte vom Gott Marduk besiegt werden, damit den Menschen eine Wohnstätte geschaffen werden konnte. Westliche Drachen sind allgemein etwas übel beleumundet: von furchterregender Gestalt und Größe, häßlich wie der Teufel - und so bedeutet dracu im Rumänischen auch nichts anderes als Teufel, heute noch lebendig - im Sinne von untot - als Dracula. Drachen leben in allen vier Elementen: Erde Feuer Wasser Luft, denn sie können fliegen, schwimmen, kriechen und Feuer speien. Bereits viele Jahrhunderte vor Apophis und Mušhuššu verkörperten Drachen in der fernöstlichen Mythologie königliche, ja kaiserliche Macht. Sie sind dort Glücksbringer, und es gibt sie in vier verschiedenen Sorten: den Himmelsdrachen, der für die Sonne zuständig ist, den regenmachenden Geisterdrachen, den Schatzhüter, der auf Edelsteine und Edelmetalle aufpaßt und den Erddrachen, der die Quellen und Flüsse behütet. Mit dem Leviathan, das ist hebräisch und bedeutet „der sich Windende“, kommen wir nun schon in biblische Zeiten. Dieses Seeungeheuer vereint in sich Eigenarten von Krokodil, Schlange und Wal, und vermutlich hat es in seinem übergroßen Appetit auch den biblischen Jonas verschlungen, der dann auf wundersame Weise aus dem Bauch des Monsters gerettet wurde. Es folgte der Basilisk, ein bösartiges Wesen. Wer ihm in die Augen blickte, der mußte zu Stein erstarren, wen sein giftiger Atemhauch berührte, starb. Spinnen flohen in wilden Wellen, wenn der Basilisk erschien, und nur der Schrei des Hahns konnte ihm selbst gefährlich werden. Es gibt nicht viele von ihnen, denn ihre Aufzucht ist schwierig: aus einem Hühnerei, ausgebrütet von einer Kröte oder einem Frosch schlüpfen kleine Basilisken. Und weil heutzutage nicht nur die Drachen fast schon ausgestorben sind, sondern auch die Frösche und Kröten sehr bedroht sind, werden Basilisken wohl die ersten sein, die es gar nicht mehr geben wird. Nur in Büchern - so wie bei Harry Potter - wird man dann noch von ihnen lesen können. Bücher und Wappen: das sind die letzten Relikte, wo man heute Drachen noch begegnen kann. Dichter aller Zeiten - Konrad von Megenburg, Hildegard von Bingen, Clemens von Brentano, Rainer Maria Rilke und sogar Wolf Biermann - haben dem Drachen ihre Zeilen gewidmet, unzählige Städte tragen den Drachen - oder öfter noch den Töter desselben - in ihrem Wappen: Klagenfurt in Österreich, Ville du Havre in Frankreich, Darlington und Carlisle in England, in Deutschland sind es Worms, St. Georgen, Nebra, Stein am Rhein, Zeitz und Stadtlengsfeld. Die Republik Georgien zeigt ebenfalls den Drachen. Georgien und St. Georg weisen auf den biblischen Drachentöter hin, den heiligen Georg, Schutzpatron der Pfadfinder. Zur Zeit der Kreuzzüge im12. Jahrhundert verband man mit diesem Mann aus Byzanz, der bereits 800 Jahre zuvor als Märtyrer gestorben war, die Geschichte mit dem Drachen. Offiziell wurde er aus dem kirchlichen Katalog der Heiligen entfernt, was jedoch seiner Beliebtheit keinen Abbruch tat. Der gute Georg erlöste ein ganzes Königreich von einem Fluch, dem zufolge die jungfräuliche Königstochter dem Drachen dargebracht werden mußte. Georg tötet den Drachen, das Land ist befreit und alle lassen sich auf Georgs Anraten taufen. Doch der heilige Georg wäre nicht heilig - und die Geschichte ein Märchen - wenn er jetzt die Königstochter zur Frau genommen hätte. Das hat er nicht getan. An diese Geschichte glauben viele Menschen, nicht mehr allzuviele jedoch glauben heute noch an Drachen. Vielleicht ist es das, was die Drachen einst so traurig machte, daß sie heiße Tränen vergossen: eine Weissagung, daß eines Tages niemand mehr an sie glauben würde. In Ostasien ist das anders: dort glauben noch heute 80 % der Menschen an Drachen, aber dort sind Drachen ja auch Glücksbringer und sorgen für Wasser anstelle Feuer zu spucken... Und ihr, liebe Märchenfreunde, solltet tunlichst dafür sorgen, daß ihr beim nächsten Mal ein bißchen mehr an Drachen glaubt, denn sonst ist die Geschichte aus. Und wenn sie nicht gestorben sind, so wurden sie einfach vergessen... Marieta Hiller
Eins kann ich Ihnen sagen, liebe Leser: als Lampengeist hat man es oft schwer.
Durch Jahrhunderte steckt man fest in einem blöden Gefäß wie einer Lampe oder einer Flasche, man darf nur heraus, wenn es einem Menschen gelungen ist, seine Putzwut auf das richtige Objekt zu konzentrieren, und dann geht der Ärger erst richtig los... Wir, also das Licht aus der Lampe und ich, wir sind ein altes Märchenmotiv, das schon Scheherazade in ihren 1001 Märchen verwendete, um Ruhe zu haben: Aladin findet in einer Höhle - wo sonst! - eine alte Lampe, die dringend poliert werden muß. (Übrigens: Aladin ist arabisch und heißt Al ad din, das bedeutet der Gläubige).
Dabei erscheint der Lampengeist, also ich, und die wohlbekannten drei Wünsche dürfen genannt werden. Während ich weiterhin in der Lampe schmachten muß, macht die Geschichte von mir und der Lampe eine steile Karriere. Von Scheherazade über unzählige Generationen von Märchenerzählern (Märchen, pah!) wandert sie bis zu den Gebrüdern Grimm, die Folgendes niederschreiben: ein betrogener Soldat fördert eine Lampe aus einem tiefen Brunnen zutage, der einer Hexe gehört. Indem er die Lampe anzündet, erscheint ein blaues Licht und mit ihm ein kleines schwarzes Männchen (hoppla, da bin ich wieder!).
Mit dessen Hilfe bekommen zu guter Letzt alle Beteiligten, was ihnen gebührt. Das Grimmsche Volksmärchen gibt es auch als Kunstmärchen von H. C. Andersen. Er jedoch verschonte mich vor dem wiederholten In-die-Öffentlichkeit-gezerrt-werden und ließ dem Licht des Feuerzeuges drei Hunde entspringen. Ich kann gar nicht sagen, wie froh ich damals war. Sollten sich doch die Hunde mal mit den Menschen herumärgern…
Die Geschichte vom Blauen Licht muß die Menschen, diese seltsamen Wesen, ja schon immer stark fasziniert haben: es gab sogar einen Film, der im Jahr 1932 von einer gewissen Leni Riefenstahl gedreht wurde, die sich damit Tür und Tor in die Welt der Nationalsozialisten mit ihrem kranken Menschenbild öffnete. Ein Mädchen kennt als Einzige (im Film natürlich, wie sich das in der Realität verhält, weiß auch ich nicht...) den Weg zu einer geheimnisvollen Grotte, aus der bei Vollmond blaues Licht scheint. Alle Männer des Dorfes sterben bei dem Versuch, in die Höhle zu kommen, und das Mädchen wird als Hexe verdammt. Na ja, lassen wir das mit der Riefenstahl und ihrer Herrenrasse, zum Glück gibt es ja heute viel bessere Filme, sogenannte Märchenfilme. Ja ja, Märchenfilme!
Den Menschen genügt es nämlich nicht mehr, Märchen nur zu erzählen, auch mit dem Niederschreiben wie die Brüder Grimm sind sie nicht mehr zufrieden. Das blaue Licht flimmert aus diesen seltsamen Kästen, die in den Wohnzimmern fast aller Menschen stehen und Krach machen. Ein Gutes hat es: die Menschen kommen nicht mehr so oft auf die Idee, sich drei Wünsche zu wünschen, die sie dann für dummes Zeug verplempern...
Der Märchenfilm, den ich meine, heißt - wie auch anders - „Das Blaue Licht“ und ist ein Märchenfilm des Hessischen Rundfunks. „Vor Schloss Fasanerie in Eichenzell werden Mädchenträume wahr. Eine Prinzessin in güldener Robe wandelt durch die Gärten, da kann der Prinz nicht weit sein. Sicher ist, dass der Hessische Rundfunk in der Märchenverfilmung "Das blaue Licht" für ein Happy End sorgen wird,“ so der Sender. Mädchenträume, so so. Mal sehen, was sich in Mädchenträumen so gewünscht wird... Bestimmt wieder nur sehr törichte Sachen! Dieser Märchenfilm ist übrigens nicht der erste: schon einmal war „das blaue Licht“ verfilmt worden: 1976 in der DDR, wo eine der wenigen weiblichen Regisseure des Landes, nämlich Iris Gusner einen Ausflug ins Märchengenre machte. Ihr eigentlich wichtigstes Thema drehte sich um das Leben der Frauen, und ihr allererster Film von 1973 war verboten worden.
Wir Lampengeister und kleinen schwarzen Männchen und unsere Kollegen fragen uns oft: „Was hat es auf sich mit dem Blauen Licht?“ Geheimnisvoll scheint es Menschen anzuziehen wie ein Magnet. Der Dichter Hermann Hesse ließ im „Steppenwolf“ eine rätselhafte Neonschrift auf einer alten dunklen Backsteinmauer erscheinen, mal da, meist jedoch nicht. Die blaue Schrift half durch eine Pforte - ein Weg zur Flucht. Flucht aus der Realität, Flucht aus dem Alltag, Flucht aus der Langeweile, blaues Licht soll die Konzentration steigern und gegen Neurodermitis helfen, blaues Licht vertreibt Müdigkeit und - böse Hexen, ungerechte Könige, was halt gerade so anfällt...
Blablabla – blau! Lampengeister, kleine schwarze Männchen und Kollegen haben es wahrhaftig nicht leicht: das Leben in einem engen Gefäß, dem kein Mensch sein geheimes Innenleben ansehen kann, ist wirklich kein Sonntagsspaziergang. Setzt dann ein Mensch - immer durch Zufall, niemals durch kluge Kombinationsgabe - den Einwohner der Lampe frei, so folgen die albernsten Wünsche, ohne Besinnung und Konzept direkt vom Herzen auf die Zunge und schwupp - ausgesprochen. Welche Schwierigkeiten wir armen Lampengeister oftmals mit den törichten Menschenwünschen haben, zeigt diese lustige Anekdote, die ich zwar nicht selbst erlebt habe, die mir aber von einem völlig demotivierten Lampengeist erzählt wurde: „Ein Mann findet am Strand eine alte Lampe. Er ist Kunstsammler und poliert die Lampe gründlich. Natürlich erscheint der betreffende Geist und - ich muß sagen, er war schon damals reichlich demotiviert - schimpft aufs Übelste: ‘Ich bin der Geist der Lampe. Ich hassse das. Schon zum dritten Mal in diesem Sommer stört man mich bei meinem Mittagsschlaf! Und dann diese Wünscherei! Nein, mehr als einen Wunsch ertrage ich heute nicht. Du hast genau einen Wunsch frei, und hüte dich zu handeln!’ ‘Nun ja,’ denkt sich der Kunsthändler, ‚ich wollte ja schon immer auf den Himalaya, aber zu Fuß ist es mir zu anstrengend. Bau mir eine Standseilbahn hinauf bis aufs Dach der Welt.’ - ‘Bist du ganz von Sinnen? Weißt du was das kostet? Und die Naturschutzbehörde wird uns gleich einen Strich durch die Rechnung machen! Und überhaupt, was willst du dort oben?’ Der Mann bedachte alles noch einmal und lenkte ein: ‘Gut, dann hier ein anderer Wunsch: schon immer wollte ich die Frauen verstehen, was meinen sie wirklich, wenn sie "hmm" sagen, und was bedeutet "nein" tatsächlich?’ Der Lampengeist verdrehte die Augen, ihm sausten die Ohren, der Blutdruck sank ins Bodenlose, schon war er fast wieder in der Lampe verschwunden, nur ein letzter nebliger Dunst hing noch darüber. Der Mann aber bestand darauf, daß er einen - und leider nur einen! - Wunsch frei habe. Da raffte sich der Lampengeist auf, riß sich zusammen, schluckte alles runter, was er noch sagen wollte und fragte: ‘soll die Standseilbahn rote oder blaue Sitzpolster haben?’ So werden wir zermürbt, ein Wunsch dämlicher als der vorhergehende, und selbst wenn wir nur noch einen einzigen Wunsch gewähren, müssen wir uns mit solch frustrierenden Dingen befassen - es ist zum In-die-Lampe-Fahren! Auf Wiedersehen in 1001 Jahren – frühestens! Euer Lampengeist"
Marieta Hiller
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