Da es nun das 9-Euro-Ticket gibt, habe ich beschlossen im Juni möglichst viele Fahrten per ÖPNV zu machen. Hier lesen Sie, wie es mir ergehen wird.

In den Monaten Juni, Juli und August 2022 können Fahrgäste deutschlandweit für neun Euro im Monat den ÖPNV nutzen. Das Ticket gilt in allen Bussen und Bahnen des Nahverkehrs in der zweiten Klasse, jedoch nicht im IC oder ICE. Die Linie AIR ist im Aktionszeitraum nach wie vor zuschlagspflichtig. Das Ticket kann direkt im Bus gekauft werden, so spart man sich schon einmal den Ärger am Anfang: mit Fahrscheinautomaten habe ich keinen guten Vertrag. Entweder sie funktionieren nicht oder man versteht nicht was sie von einem wollen. Woher soll ich in einer fremden Stadt wissen, in welchem Bezirk mein Zielausstieg liegt, wieviele Waben ich nutzen will, welche Preisklasse ich wählen muß? Nimmt die blöde Kiste Münzen oder EC-Karte?

Eine Glosse

Kürzlich habe ich einen Kanister Neutralseife von einem bekannten Hersteller gekauft, nennen wir ihn der Einfachheit halber HuKu. Die Seife ist hervorragend, nachhaltig und in großem Gebinde auch plastiksparend. Ich habe dafür eigens mühsam die örtliche HuKu-Vertreterin erfragt, um direkt über sie zu bestellen. Pustekuchen: diese ist sehr nett und entgegenkommend, aber die Bestellung läuft über eine Internetseite, die Lieferung erfolgt durch halb Deutschland und bezahlt wird über einen schwedischen Dienstleister, den ich hier mal Klurnu nennen möchte.

Vom Plastikfasten bis zum Energie-Embargo: warum Einsparen das Wichtigste ist

Wir Verbraucher haben vieles in der Hand: wo wir einkaufen, was wir einkaufen und wieviel. Wer regional einkauft und bei Lebensmitteln auf die richtige Saison achtet, wird nach einiger Zeit feststellen, daß das Haushaltsbudget geschont wird. Zusätzlich braucht - bei richtiger Planung - nicht mehr soviel weggeworfen werden.

Die Feldpostbriefe des Johann Theodor Schirra aus Illingen / Saar aus den Jahren 1944 und 1945, nebst einer biographischen Skizze, stellte Hubert Kolling zusammen und veröffentlichte sie.

Der Reichenbacher Fritz Hechler, lange Jahre bei der DESTAG tätig, schrieb seine Erinnerungen an die Zeit von 1942-1945 nieder. Da er dieses Manuskript jedoch ausdrücklich seiner Familie, Freunden und Bekannten zueignete, kann es hier nicht vollständig veröffentlicht werden. Die Frage an noch lebende Verwandte zur Veröffentlichung ist noch offen.

Hechler war laut Walter Koepff "lange Jahre Vorsitzender des FAC und hat die alten Filme gedreht, die wir vor einigen Jahren digitalisiert wieder aufgelegt hatten. Ferner war er mehrfach Sitzungspräsident bei den Eintrach-Faschings-Sitzungen. Er war heftiger Raucher und sein Vater Schuster."

Der 1924 in Reichenbach geborene Fritz Hechler beginnt sein Manuskript mit einem Zitat: "Der Jugend gehört die Zukunft" mit der Anmerkung: das war einmal der Slogan einer Nation / 1933-1945 - jedoch es war Betrug an der Jugend, ich versuche es deutlich zu machen.

Im Februar 1942 erhielt er seinen Einberufungsbefehl zum RAD (Reichsarbeitsdienst) nach Rutsweiler (Pfalz). Nach einer "grob militärischen Ausbildung mit Waffen und sonstigen Kriegsgeräten" meldete er sich zur Schreibstube. Im April wurde er mit einigen Reichenbacher Kameraden nach Rußland verlegt. Byalistock, Minsk, Smolensk, Wjasma. In Gshatsk 70km vor Moskau erlebte er den ersten Kriegseinsatz, bei dem einige seiner Kameraden getötet wurden. "Ob es dort einen Friedhof gab, weiß ich nicht, aber unsere Freunde haben wir am Straßenrand beerdigt, mit Kreuzen aus Birkenholz einer Einfassung aus Holz versehen und ein Namensschild angebracht."

Die Berichte ziehen sich über drei Jahre hin, Hechler wurde Funker unter Oberfeldwebel Karl Germann, ehemaliger Bürgermeister von Reichenbach. Stationierung in Italien, Malaria, Weihnachtsfeste im Feld folgten.

Im Spätsommer 1944 in Bondeno bei Modena: "...Den dritten Funkwagen - die Einheit bestand ja immer noch - bekamen wir auch und unsere Funkstelle war wieder komplett, obwohl sie keinen Zweck mehr hatte. Das war am 20.9.1944. Für uns war der Krieg aus!!!"

Aber: "Der Auslands-Felddienst war beendet und ein neuer Blödsinn fand seinen Anfang!" - Hechler wurde wieder KV (kriegsverwendungsfähig) geschrieben, obwohl die Malaria noch in ihm wütete. Ende Februar 1944 ging es Richtung Görlitz, wieder mußten 18 seiner Kameraden begraben werden. Am 18. April 1945, also kurz vor Kriegsende, vermerkt Hechler: "dort gab es in einem Feldlazarett eine Nachbehandlung und was dort los war, läßt sich auch heute nicht mehr beschreiben (ist auch besser so)."

Nach Kriegsende am 8. Mai 1945 hatte Hechler mit den neu entstandenen Zonen zu tun und konnte nicht einfach nach Hause gehen. Zu Fuß schaffte er es bei Meiningen in den Westen zu kommen, das war der 28. August 1945.

"Von Bensheim fuhr ich mit dem Milchauto nach Reichenbach, es war an einem Sonntag." Dieser 9. September 1945, der Tag seiner Ankunft zuhause, war das schönste Geburtstagsgeschenk für seinen Vater, der an diesem Tag Geburtstag hatte.

Bürokratie: ohne Entlassungsschein gab es keine Lebensmittelkarten, Hechler wurde von amerikanischen Soldaten als Gefangener ins Hauptquartier Heidelberg gebracht. "Die Bewacher waren durchweg Farbige (Neger) und fast alle waren Juden, wie sich später herausstellte!" Hechler war erstaunt über die gute Behandlung, wurde nach fünf Wochen entlassen und "der Neger steckte mir noch 3 Packungen Pal-Mal Zigaretten für den Vater in die Tasche." Nun hatte er auch einen Entlassungsschein und konnte Lebensmittelkarten beziehen.

"Man kann vieles im Leben vergessen, aber diese Eereignisse bleiben immer haften.
Möge dieser kleine Bericht das wiedergeben, was ich auf der ersten Seite geschrieben habe über den Mißbrauch der Jugend. Gewiß, es gab noch Schlimmeres, aber jeder Krieg ist purer Wahnsinn und wenn es in einem Krieg auch nur einen Toten gibt, dann ist es schon einer zu viel. - Möge die Menschheit einmal aufwachen und lernen, daß solcherlei Escapaden nicht den Menschen dienen, sondern die Menschen zerstören."

Zum Beitrag Kriegsende in Gadernheim: die Erinnerungen von Günter Beilstein schrieb mir der Gronauer Historiker Felix Klingenbeck:

"Es gibt variierte Versionen vom Abschuss dieses "Panzers" bzw. nach allem was ich von Leuten aus Lautern weiss, war es wohl eher ein amerikansiches  Halbkettenfahrzeug vom Typ M3. An der Stelle vor der Firma Eichhorn und Walter, wo der Bach heute durch die Leitplanken gesichert ist, lagen damals große Steinquader, die man wohl als Panzersperre auf die B47 legte. Sehr wahrscheinlich wurde aus dem Waldstück, wo erst kürzlich die Tannen gerodet wurden, mit einer Panzerfaust oder mit einem Panzerschreck auf das Fahrzeug geschossen. 

Als Kinder haben wir genau an der Stelle, wo der Bach, von Gadernheim nach Lautern gesehen, rechts der B47 verläuft eine Bachreinigung mit der Schule gemacht. Ich kann mich noch erinnern, wie ich damals ein unglaublich schweres Rund aus Stahl weggeschleppt habe, der Laufrolle eines M3 nicht unähnlich. Leider kann ich mich nicht mehr ganz genau an das Teil erinnern. Es war jedoch aus schwerem massivem Stahl und völlig oxidiert. Falls nicht in den Jahrzehnten nach dem Krieg an dieser Stelle andere schwere Stahlteile entsorgt wurden (für LKWs oder Autos eigentlich zu schwer und massiv) halte ich es für durchaus denkbar, dass dies ein Stahlteil von diesem Panzer war. Leider wurde es entsorgt. 

Wie Veteranen einem forschenden Kollegen berichteten, haben auch versprengte Teile eines Artillerie-Regiments der Panzergreandier-Division (die genaue Bezeichnung der Einheiten liegt vor, muß jedoch noch verifiziert werden) die mit ein paar Artillerie-Geschützen rund um Gadernheim Stellung bezogen. Wohl aber einige Tage vor der Ankungt der Amerikaner um die Straßen Richtung Rhein mit Sperrfeuer zu belegen.

Ich habe früher mit alten Leuten gesprochen, die zumindest bestätigten, dass zetiweise Artillerie rund um Gadernheim in Stellung ging. Wie mir der Kollege sagte hätten die von ihm befragten Veteranen auch auf einer Karte eingezeichnet wo die Geschütze gestanden hätten. Scheinbar wohl auch eines im/am Forst. Das hat auch ein Einwohner aus Lautern bestätigt. Inwiefern die Einheit stimmt, weiss ich allerdings nicht. Fakt ist aber, dass diese Division im Odenwald gekämpft hat, vor allem später bei Eberbach und dann in den badischen Odenwald hinein, bis die Einheit dann an der Jagst zerschlagen wurde. 

Soweit meine Erinnerungen ohne Unterlagen. Ich habe zu Hause so Manches für das Lautertal notiert. Meist auch mehr, als in den einschlägigen Heimatbüchern zu finden ist. Habe auch an der ein oder anderen Stelle den Angaben nachgespürt und konnte auch ihren Wahrheitsgehalt belegen. Hier natürlich vor allem Dinge mit militärischem Hintergrund, da mich dies immer sehr interessiert hat.

Mit freundlichem Gruß 
Felix Klingenbeck"

Der Historiker möchte seine Materialsammlung zunächst gründlichen Studien in Archiven der Bundesrepublik und dem NARA in College Park, Washington unterziehen, bevor sie reif zur Veröffentlichung sind. Noch immer kommen weitere Materialien dazu, die jedoch aufgrund des zeitlichen Abstandes immer ungenauer werden. Die "studies" der kommandierenden Offiziere wurden jedoch als Projekt der Historical Division der US Army niedergeschrieben und liegen Klingenbeck vor. Aufwendig ist es, diese studies und die darin niedergelegten Informationen, welche Einheiten wann wo gestanden haben, mit den Zeitzeugenberichten abzugleichen. Erst dann ist an eine wissenschaftlich fundierte Veröffentlichung zu denken. Felix Klingenbeck spricht hier jedoch von einer mehrjährigen Arbeit.

M. Hiller

Ohne Nachhaltigkeit kann Klimaschutz nicht umgesetzt werden. Das Thema ist leider durch die von Putin angezettelten Zerstörungen in der Ukraine etwas aus dem Fokus geraten. Und mit punktuellen Aktionen wie der "Earth hour" am 26. März ist es sicher nicht getan: nur mal eine Stunde lang alle Lichter auszuschalten, bringt uns dem Klimaziel nicht näher.

Vielmehr ist es wichtig, Tag für Tag, Woche für Woche und Jahr für Jahr über Einsparmöglichkeiten nachzudenken. Darin liegt ein mächtiges Potential, um ein nachhaltiges Klimakonzept zu erstellen. Demonstrationen und Aktionen sind das eine, Umdenken in bezug auf das eigene Verhalten das andere. Im Begriff "nachhaltig" steckt ja bereits die Bedeutung einer dauerhaften Besserung drin. "Licht aus - Klimaschutz an" schafft das nicht.

Das Osterfest

Zu Ostern feiert die Welt das große Frühlingsfest: die Natur ist zu neuem Leben erwacht, alles erneuert sich, und die alte heidnische Glaube an die Wiedergeburt allen Lebens wird verkörpert vom Hasen, dem Symbol für Fruchtbarkeit.
Das Osterblümli, auch als Gänseblümchen (Bellis perennis) bekannt, schaut wieder überall zwischen den grünen Grashalmen hervor, auch die Osterglocken neigen ihre prächtig geschmückten Häupter, und über die Wiesen springt - wo er noch Lebensraum findet - der Hase.

Hier finden Sie Adressen, wo Sie helfen können:

 

Historisches

Krieg, Hunger, Katastrophen - wem kann man spenden?

Schülervertretung der GSS organisiert eine Ukraine-Hilfsaktion

Kriegsende in Gadernheim: die Erinnerungen von Günter Beilstein

Ukraine-Hilfe-Lautertal

Zum Nationalen Integritätsbericht von Transparency International Deutschland e.V.

Kriegsende im Lautertal 

Bergsträßer für die Ukraine

Bergstraße und Umgebung hilft dem Ahrtal

Tagebuch: Kriegsende in Gronau

Solidarität mit der Ukraine: Gastgeber gesucht!

Modautal hilft den Flutopfern im Stadtteil Zweifall in Stolberg

Manuskript über Ereignisse vor mehr als 60 Jahren

   

Die Feldpostbriefe des Johann Theodor Schirra

"Man kann vieles im Leben vergessen, aber diese Eereignisse bleiben immer haften. Möge dieser kleine Bericht das wiedergeben, was ich auf der ersten Seite geschrieben habe über den Mißbrauch der Jugend. Gewiß, es gab noch Schlimmeres, aber jeder Krieg ist purer Wahnsinn und wenn es in einem Krieg auch nur einen Toten gibt, dann ist es schon einer zu viel. - Möge die Menschheit einmal aufwachen und lernen, daß solcherlei Escapaden nicht den Menschen dienen, sondern die Menschen zerstören." Fritz Hechler aus Reichenbach, der mit 18 Jahren als Soldat nach Rußland mußte, in seinen persönlichen Erinnerungen 60 Jahre später. Siehe Manuskript über Ereignisse vor mehr als 60 Jahren

Das Foto zeigt Bilder der Grundschüler*innen der MPS Gadernheim

 

Draußen erwachen an Ostern die geheimen Wesen zum Leben, die zwischen den Steinen, eingekuschelt in weiches grünes Moos und verborgen unter dem Herbstlaub, ihren Winterschlaf geschlafen haben. Jetzt aber kitzeln die warmen Sonnenstrahlen sie an der Nase, und so herrscht bald ein emsiges Hin- und Hergehusche im Zauberwald! Zu Ostern putzen sich alle heraus und zeigen sich von ihrer allerbesten Seite!

Ostereier färben mit Naturfarben

Osterfest und Osterhase : Osterfeuer, Osterwasser und seltsame Osterbräuche

Märchenhaftes: Der salomonische Spruch des Osterdrachen und Der Dilldapp

De Ouschdehaaas: Tonaufnahme mit Lehrer Philipp Bickelhaupt aus Lindenfels, 1958: Als mer in de Schuul noch Platt schwätze durft...

Mein Name ist Hase, ich weiß von nix...: Was Rindvieh, Fuchs, Hund, Affe und Hase in der Steinmetzkunst bedeuten  

Nach Drucklegung meines Jahrbuchs 2021 "Kartografie Eisenbahn Ultramarin" trudelten weitere interessante Details ein:

vieles finden Sie bei Walter Kuhl: Zwei nie zustande gekommenen Bahnen durch den Odenwald rund um Lindenfels

Was bedeutet "Bellramschd"?

Bettel-Ramstadt? Pappel-Ramstadt? Bei der Suche nach der Antwort half mir das Pfungstädter "wandelnde Lexikon" Ernst Schulze auf die Sprünge: die Italiener, die beim Eisenbahnbau an der Strecke Darmstadt-Reinheim gearbeitet haben, legten in Nieder-Ramstadt eine Siedlung auf sieben Hügeln an, die sie "bella Ramschd" nannten. Damit legten italienische Gastarbeiter den Grundstock für die vielfältige Kulturlandschaft der kleinen Industriestadt, später kamen noch einige Nationalitäten hinzu: bei den Caparol-Farbwerken oder anderen Betrieben. Mehr dazu lesen Sie im Jahrbuch Spinnstubb 2.0 Nr. 3, 2023!

Modautal-Linie: Kraftpost mit Oberleitungsbussen

Im 30jährigen Krieg standen einem gemeinen Soldaten als tägliche Ration 2 Pfund Fleisch, 3 Pfund Brot, 1 1/2 Maß Bier oder 1 Maß Wein zu. Daraus läßt sich ersehen, wie anstrengend das "Kriegshandwerk" damals war. Das sind zwischen 1500 und 2500 Kilokalorien allein für das Fleisch, plus 3000 Kilokalorien für das Brot, plus 1000 Kilokalorien für den Wein bzw. das Bier (es sind die Kalorienangaben der Jetztzeit zugrundegelegt: https://www.kalorientabelle.net/kalorien/)

Ein einfacher Soldat verzehrte also über 5000 Kilokalorien pro Tag - Der Tagesbedarf eines modernen Erwachsenen bei gemäßigt körperlicher Arbeit liegt zwischen 2000 und 2800 Kilokalorien.

In Darmstadt mußten 1635 über 8000 Flüchtige und einquartierte Soldaten verpflegt werden, noch 1634 hatte die Stadt 2000 Einwohner. "Bei einer Brotration von 1 Pfund für Kopf und Tag stand nach einer Bestandsaufnahme vom 20. Februar 1635 die Stadt in fünf Wochen vor dem Nichts." (Chronik: Neutsch - aus seiner Geschichte, siehe "Das deutsche Erbübel der Untertänigkeit" und Neutsch: Höhendorf an der Hutzelstraße). Fleisch gab es nicht mehr, denn das Vieh war durch eine Seuche vernichtet worden.

 

Begeben Sie sich auf Zeitreise mit mir: es geht etwa 89 bis 77 Jahre in die Vergangenheit. Wer rechnen kann merkt: es geht um die Zeit zwischen 1933 und 1945, das tausendjährige Reich, Nationalschande oder wie auch immer wir aus heutiger Perspektive die Zeit nennen mögen. Sie wirklich zu beurteilen ist schwer. "Wie würde ich mich verhalten?" - diese Frage kann niemand von uns Heutigen wahrheitsgetreu beantworten.

Interessante Details entdeckt man beispielsweise, wenn man ein bißchen nachbohrt: so wurde die Neutscher Chronik von 1956 geschrieben von einem Mann, der 1933 in die NSDAP eintrat, 1937 ein Buch mit dem Titel "Zur Geschichte der Juden" veröffentlichte, extrem judenfeindlich und antisemitisch war. Dr. Adolf Müller (1890-1956), Leiter des Städtischen Archivs, der Stadtbibliothek und des Museums in Darmstadt. Nach 1945 wurde er nicht mehr in den städtischen Dienst übernommen. https://dfg-vk-darmstadt.de/Lexikon_Auflage_2/MuellerAdolf.htm

Müller lebte eine Zeitlang in Neutsch und schrieb dort die Geschichte des Dorfes auf. Einer seiner Vorfahren war aus Neutsch, einer der acht Neusiedler nach dem 30-jährigen Krieg, als das Dorf "bis auf einen Mann" ausgestorben war. Seine Sprache im Jahr 1949 ist - wie die vieler Zeitgenossen - noch stark geprägt vom nationalsozialistischen Geist: "Es lag nahe, daß der Historiker (=Müller) sich der Geschichte dieser Sippenheimat zuwandte, handelt sie doch vom Leid und der Freude der Menschen meines Blutes." Lesen Sie zur Geschichte Neutschs auch: Neutsch: Höhendorf an der Hutzelstraße

Das deutsche Erbübel der Untertänigkeit: Leitmotiv in Dr. Müllers Betrachtungen

Schon in der Überschrift des ersten Kapitels nach der kurzen erdgeschichtlichen Betrachtung lautet "Vom Schicksalskampf unserer Ahnen und dem deutschen Erbübel der Untertänigkeit". An mehreren Stellen zeigt sich Müllers Eskapismus in Mentalitäten außerhalb seines eigenen Landes, das ihm ganz offensichtlich zu eng war nach 1945. Er spricht vom "Grenzergeist" als ewigem Jungbrunnen der amerikanischen Nation: "Die Männer und Frauen der amerikanischen Grenze seien, wenn sie nicht hätten untergehen wollen, gezwungen gewesen, Fesseln überkommener Gewohnheiten und Gedanken zu zerbrechen und mutig, auch geistig, in unbekanntes Neuland vorzustoßen." Er bezieht sich dabei auf eine Vorlesung von Professor Frederik Jackson aus dem Jahr 1893.

Dr. Müller 1949: "Jahrhundertelang litten wir (die Deutschen) darunter, daß unsere Grenzen in Ost und West von unruhigen Nachbarn immer wieder bedroht wurden, weil das Reich im Innern zu viele Grenzen besaß. Die Vielzahl der Fürsten und Herren, die das Deutsche Folk mästete, schuf keinen Grenzergeist, sondern jene Untertänigkeit, an der das Reich schließlich zerbrach."
und: "Wie anders der amerikanische Pionier, der in den unermeßlichen Weiten der Prärie in einem elenden aus Rasenstücken erbauten Unterstand kampierend, trotz der ständigen Gefahr, von Indianern erschlagen zu werden, dennoch erfüllt sein durfte von dem köstlichen Gefühl, frei schalten und walten zu können, ein freier Herr auf freiem Grund, der nichts mehr wußte von Hypothek und Regreß und von Hochwohlgeborenen gnädigen Herren, denen man nur in submissester Untertänigkeit nahen durfte, weil sie sonst ungnädig wurden."

To boldly go where no man has gone before

Dieser Traum der Übriggebliebenen wurde - aus einer ganz anderen Richtung - geprägt in das Motto "to boldly go where no man has gone before" aus Star Trek (Raumschiff Enterprise). Man darf sich die Serie ruhig anschauen, sie spiegelt in märchenhafter Weise (nach langer langer Zeit, an einem Ort weit weg) die immerwährenden menschlichen Bestrebungen, die mit neuen Entdeckungen stets einhergehen: Expansion und Kolonisation, Versklavung und Deportation der jeweils anderen.

Der Bauer der Steinzeit: ein Leben in Freiheit?

Als die Jäger und Sammler seßhaft wurden, erbauten sie feste Häuser. Dr. Müller: "Der Bauer der Steinzeit lernte zuerst den Segen der Arbeit kennen. Er mußte planen. Sein Werk zwang ihn vorauszudenken. Der Boden, den er im Schweiße seines Angesichts urbar machte, lohnte die Mühe. Der Bauer hinterließ, wenn er starb, das feste Haus, die gerodeten Äcker, das gezähmte Vieh. So erwuchs allmählich aus der Arbeit die Freude am Besitz, am Boden, der Nahrung schenkte, wenn man nur treu seine Pflicht erfüllte. So erwuchs die Liebe zu diesem Boden, die köstlichste Frucht der Zeit, die Heimatliebe." Diese glücklichen germanischen Bauern erlebten dann mit der Invasion der Römer ihre erste Unterdrückung, wenn man Dr. Müller glaubt. Und so lautet die nächste Kapitelüberschrift "Wie die Bauern unfrei wurden".

Römische Besatzungszeit, die Zeit unter dem Kloster Lorsch und das Mittelalter

"König und Berufsheer entfernten sich innerlich (im 5. Jahrhundert) immer mehr von der tragenden Masse des Staates, dem bäuerlichen Volke. Anstatt Ackerland im Osten zu erobern, anstatt zu kolonisieren, was einem Bauernkönig mit Bauernsoldaten hätte gelingen können, zogen unsere Kaiser und ihre adeligen Reiter, die den Pflug verachteten, in das Zauberland Italia und verspielten in dem Kampfe mit dem Papsttum königliche Macht und deutsche Zukunft; denn in Italien wurde die deutsche Zersplitterung geboren, an der das erste Reich - und nicht nur das erste Reich - zerbrach."

Und wieder: "Wir erkannten in der Untertänigkeit, in der deutschen Knechtsseligkeit ein verhängnisvolles Erbübel." Dr. Müller sah den alten starken Uradel ehe- und kinderlos in den Klöstern verschwinden, und der neue Adel "erwuchs aus Dienern (Ministerialen) der hohen weltlichen und geistlichen Fürsten und ließ die alte germanische Freiheitsliebe vermissen."
„Die Herren raubten das Land, weil auch damals Gewalt vor Recht ging. Die Hagen-Münzenberg,..., die Rohrbach, Ruckershusen, Rabenolt von Tannenberg und Walbrunn, die nacheinander als Herren unserer Heimat auftraten, gehören allesamt entweder durch Verwandtschaft oder Lehensabhängigkeit zu den mit den Grafen von Katzenelnbogen versippten Herren von Bickenbach."

Neutsch gehörte vermutlich bis 874 zum Fronhof des Königs in Seeheim, kam dann zum Kloster Lorsch und wurde im 12. Jahrhundert an die Herren von Bickenbach bzw. Seeheim gegeben.

Die mittelalterlichen Weistümer (= verbindliche Rechtsüberlieferung, die mündlich bei regelmäßigen Zusammenkünften gepflegt wurde) beinhalteten lange Zeit eine wichtige Klausel, um Machtübernahmen zu verhindern: "Es soll alles so bleiben, wie es altes Herkommen ist." Dr. Müller: "Da ich, gewitzigt durch eigene Lebenserfahrung, besonders die Entstehung der deutschen Knechtsseligkeit untersuchen will, verfolgte ich das Geschick gerade dieses Artikels." Der Satz "Es soll alles so bleiben, wie es altes Herkommen ist" verschwand demnach zur Zeit des Schöffen Mathis von Nitz (Neutsch), Keller zu Lichtenberg. Dieser Mathis konnte sich nach Dr. Müller nicht gegen den gräflichen Diener und Keller zu Lichtenberg Hans Kulemann durchsetzen, und so verschwand der Satz nach 1474 aus dem Weistum. "Nun die Bremse des 2. Artikels (meint den Satz Es soll alles so bleiben, wie es altes Herkommen ist) dank der Gefügigkeit des untertänigen Mathis von Neutsch und seiner Genossen gefallen war, konnten ungestraft neue Herrenrechte, die kein altes Herkommen waren, verkündet werden. Wir werden sehen, daß die landgräfliche Regierung die Möglichkeit sofort ausnutzte."

Im Salbuch Starkenburg aus den 80er Jahren des 15. Jahrhunderts fand Dr. Müller ein Ortsverzeichnis der Zugehörigkeit zu den Dannbergischen Herren (Tannenberg/Seeheim): neben Seeheim, Bickenbach auf dem Sande, Malchen, zum Henchen (Hähnlein) und Gogenheym (Jugenheim) gehörten auch Beedenkirchen und Neutsch dazu, ebenso Kreidach, Auerbach und Pfungstadt. Darin heißt es, daß die Herren jederzeit ihren Knecht zum Eintreiben von Zins und Gült zu den drei ungebotenen Dingen von Neutsch ("kommen zu Nitz zu den drien ungeboden Dingen" = die für alle Zeiten festgesetzten drei Gerichtsversammlungen) entsenden dürfen. Diese Dinge - Thingversammlungen - fanden in Neutsch also auch in der hohen Gerichtsbarkeit (Gericht über Leib und Leben) vor Ort statt, obwohl dies dem Landgericht Ober-Ramstadt vorbehalten war. Dr. Müller verordnet diese Thingstätte dort, wo noch heute die Flurnamen "an der Pein" und "Galgenäcker" darauf hinweisen. Auch den Diebspfad, der zum Rämschter (Hügel bei Neutsch) führt, ordnet er hier ein und vermutet als Ort für die Thingstätte die flache Hügelkuppe des Rämschder. Dieser liegt direkt am Weinweg, der in Ost-West-Richtung Groß-Bieberau mit Lorsch, Gernsheim und Stockstadt verbindet. Weinweg kommt von Wagenweg, es war eine Fernstraße für den Handel und den Verkehr zwischen den verstreut liegenden Klosterbesitztümern. Um Neutsch herum hieß der Weinweg Gotteshäuschenweg. Ein weiterer Weg zum Rämschter war der Hasellauf, der vom Modautal herauf führte. Damit ist Neutsch als Gerichtsstätte nach Dr. Müller älter als Ober-Ramstadt. Der kleine Ort hatte eine gute Verkehrslage, die Fernstraße Weinweg führte direkt zum mittelalterlichen Rheinhafen, die Hutzelstraße bis Dieburg. Zudem wird der Rämschter im Dreieicher Weistum für den Bannforst Dreieich als Grenzpunkt genannt, wobei dort er dort Ramisberg heißt. Dr. Müller sieht in Ramis einen sehr alten Verweis auf die heiligen Vögel, die Raben.

Die Gerichtsbücher überliefern selten reizvolle menschliche Einzelheiten des bäuerlichen Lebens, da man auch damals schon beim Schriftverkehr mit der Herrschaft über einen Anwalt ging. "Die Schöffen, die in der Frühzeit Volksvertreter gewesen waren, wurden immer mehr Polizeiorgane des werdenden Absolutismus", so Müller. Die Schöffen verdienten nicht schlecht an den zur Anzeige gebrachten Vergehen, so daß wohl oft üble Nachrede im Spiel war. Abschließend konstatiert Dr. Müller: "Das altdeutsche Gerichtswesen kannte viele altüberlieferte Formeln und Symbole. Schlimm war, daß der Inhalt der Formeln und Sinnbilder sich immer mehr verflüchtigte. Bald war das alte Brauchtum nur noch Tarnung der Unfreiheit."

Im Kapitel des Bauernkrieges schreibt Dr. Müller zur darauf folgenden Gesetzeslage: "Es war alles beim alten geblieben... Das einzige Ergebnis des blutigen Bauernaufstandes 1524/25 war: das Ackerland, auf dem Untertanen gezüchtet wurden, war gejätet worden, rücksichtslos hatte der fürstliche Gärtner, unterstützt von der Kirche, das 'Unkraut', das noch genug Widerstandswillen gezeigt hatte, sich aufzulehnen gegen unbillige Willkür, ausgerauft. Dreihundert Jahre herrschte die ersehnte Kirchhofsruhe, dann empörte sich das Volk wiederum. Wir Neutscher sind stolz darauf, daß unsere Ahnen auch bei dem zweiten Aufstand in der vordersten Front standen." Mit dem zweiten Aufstand ist die Revolution 1848 gemeint.

Im Nachgang zum 30jährigen Krieg, der Pest und der Otzberger Fremdherrschaft durch die Franzosen schreibt Dr. Müller: "Wenn wir von hochgelegenen Neutscher Äckern den Otzberg in der Ferne ragen sehen, sei er uns eine Mahnung, auf der Hut zu sein. Trau, schau wem! Auch aus einfältiger Treue, aus Untertänigkeit gegen ein Fürstenhaus, gegen eine Kirche, gegen eine Partei, gegen einen Stand oder eine Klasse kann man seinem Volke zum Unheil werden, selbst wenn man aus den edelsten Beweggründen handelt." Der Satz vor diesem lautet jedoch wie folgt (über die Herrschaft auf dem Otzberg Mitte des 17. Jahrhunderts): "... Joachim Henning, der erste Zwingherr im Solde Frankreichs war ein Deutscher, sein Oberst ein Prinz Wittgenstein. Deutsche im fremden Sold! Deutsche als gefügiges Werkzeug fremder Machthaber..."

Der Herausgeber der Chronik: "Heimat schaffen in dieser verwirrten Zeit"...

Die Niederschrift des Dr. Müller, maschinenschriftlich in den Unterlagen des Neutscher Bürgermeisters vorhanden, wurde 1956 von Wilhelm E. Zinsel veröffentlicht: "Neutsch - aus seiner Geschichte". Pfarrer Wilhelm Emanuel Zinsel (*27.01.1901 +03.06.1977), Sohn von Eduard Zinsel, dem großherzoglichen Hoffotografen (siehe Zufallsfund: Fotos des Schönberger Fürstenhauses, „Aus der Zeit des Ausbruchs des Weltkriegs: Die großherzogliche Familie kommt am 2. August 1914 von der Abholung der Standarte und der Verabschiedung des 23. Garde-Dragonerregiments zurück", aufgenommen im Residenzschloß zu Darmstadt von Hofphotograph Ed. Zinsel. Dieser war Großherzoglich Hessischer Hofphotograph in der Riedeselstaße 39 in Darmstadt. https://www.ev-gemeindenetz-nb.de/home/ober-beerbach/neutscher-kapelle/

Zinsel war Mitinitiator der Gedenkstätte in Brandau in seiner Funktion als Geschäftsführer des Kreisverbandes Darmstadt im Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge. Gemeinsam mit dem Landrat des Landkreises Darmstadt Georg Wink wurde die Kriegsgräberstätte geplant, 1964-1966 unter Leitung des Architekten Dipl.-Ing. Heinz Dieffenbach errichtet und am 25.09.1966 eingeweiht. Am Volkstrauertag organisiert der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge Kreisverband Darmstadt-Dieburg hier die Gedenkfeier für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.

Pikantes Detail dabei ist, daß auch diese Organisation nach 1945 zunächst entnazifiziert werden mußte. Wikipedia berichtet von der Lobbyarbeit des Volksbundes 1933. Man wollte die Blutzeugen des Nationalsozialismus in die Arbeit des Volksbundes integrieren. Während die DDR eine Neugründung nach 1945 verbot, entstand die Organisation in Westdeutschland neu und wurde in der politischen Landschaft der BRD fest verankert. Nach der Wiedervereinigung wurden auch in den ehemaligen DDR-Bundesländern Landes- und Kreisverbände gegründet.

Zinsel ließ 1954 "dem Gedächtnis meiner toten und der Gefallenen des Dorfes eine Kapelle "zum Gedächtnis meiner Toten und der Gefallenen des Dorfes" erbauen. "Die Drucklegung der Geschichte des Dorfes möchte das Werk fortführen, Heimat zu schaffen in dieser verwirrten Zeit..."

Eine kritische Auseinandersetzung des Pfarrers Zinsel mit der von Dr. Müller gepflegten Sprache erfolgt nicht. Diese weist an vielen Stellen Anklänge an verinnerlichtes nationalsozialistisches Gedankengut auf, das nur oberflächlich durch reumütige Phrasen geschminkt wurde. Daß dieser Sprachduktus noch 1949 "normal" und "üblich" war, zeigt sich in zeitgenössischen Dokumenten (Kino, Rundfunk). Auch die Aliierten befleißigten sich einer aufgeregten Sprache, in der die Begriffe "Volk" und "Vaterland" häufig vorkommen. Aber sieben Jahre später, als Wilhelm E. Zinsel Müllers Manuskript unkommentiert veröffentlichte, hätte man eine inhaltliche Einordnung erwarten können. "Heimat zu schaffen in dieser verwirrten Zeit..." ist vielleicht nicht ganz die richtige Einordnung, vielmehr ist es die berühmte Schere im Kopf.

Nur der Gefallenen des Dorfes zu gedenken, ist nicht ausreichend. Zukünftige Gefallene zu vermeiden wäre eher angeraten. Dazu sind jedoch sämtliche Kräfte zu 100% erforderlich, um an diesem Ziel zu arbeiten. Die aktuelle weltpolitische Landschaft "verspricht" zahlreiche zukünftige Gefallenen, deren dann wieder gedacht werden kann.

Weiteres aus der Neutscher Chronik lesen Sie hier:  Neutsch: Höhendorf an der Hutzelstraße

Marieta Hiller, Februar 2022